Mittwoch, November 20, 2024
Resilienz - wie Organisationen krisenfest werden (Teil 2: Nachhaltigkeit)
Es diskutierten Martin Szelgrad (Report Verlag), NAbg. Elisabeth Götze (Grüner Klub im Parlament), Peter Lenz (T-Systems), Michael Swoboda (ETC), Anna Leitner (Global 2000) und Christoph Heinzel (Heinzel Energy).

Lieferkettenrichtlinie, Informationssicherheitsgesetze und Berichtspflichten: Zwei Publikumsgespräche in einem Stück zu den Herausforderungen bei nachhaltigen Maßnahmen für die Widerstandsfähigkeit von Organisationen, Liefer- und Produktionsketten. Über Resilienz aus Sicht von Nachhaltigkeits- und Klimaschutzgesetzen, Lieferketten, Energie- und Rohstoffsicherheit und den Arbeitsmarkt diskutierten am 13. November bei A1 in Wien Expert*innen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Lesen Sie hier den Nachbericht zum Schwerpunkt Nachhaltigkeit.


Die Gesprächsrunden zu Cybersicherheit (Teil 1) gibt es in diesem Nachbericht (Link).

 

Elisabeth Götze, Abgeordnete zum Nationalrat, Sprecherin für Wirtschaft und Innovation, Grüner Klub im Parlament

Was kommt aus Ihrer Sicht auf die Wirtschaft und Unternehmen hinsichtlich einer notwendigen Krisenfestigkeit zu?

»Resilienz hat sehr viel damit zu tun, nicht zu warten, bis alles Mögliche über mich hereinfällt, sondern vorausschauend, strategisch zu planen und zu handeln. In meiner Funktion als Wirtschaftssprecherin der Grünen ist es meine Aufgabe, gute Rahmenbedingungen für Unternehmen zu schaffen und auch vorauszuschauen, mit welchen Krisen und welchen Herausforderungen wir für die Wirtschaft rechnen. Die Themen sind vielfältig, angefangen bei der Klimakrise, über Kriege, die derzeit viele andere Themen überlagern, Covid, Lieferketten und auch Fachkräftemangel. Beim Thema Klima haben wir eine ökosoziale Steuerreform umgesetzt, die Unternehmen bei ökologischen Investitionen unterstützt.

Unternehmen brauchen Unterstützung für einen notwendigen Wandel. Solange Gas und andere fossile Energieträger vergleichsweise günstig sind, wäre es rein betriebswirtschaftlich gesehen absurd, in Alternativen zu investieren. Langfristig ist der Umstieg aber essenziell. Zur Unterstützung der Unternehmen bei der Dekarbonisierung gibt es den Transformationsfonds, sowie zahlreiche weitere Förderungen, insgesamt mehr als fünf Milliarden Euro bis 2029. Damit können die Betriebe langfristig planen.

Der Standort Europa und Österreich, aber auch die Unternehmen werden so von Energiepreisentwicklungen unabhängiger und damit resilienter – wenn man es richtig macht und sich bei neuen Technologien wie grünem Wasserstoff nicht in neue Abhängigkeiten begibt. Wenn schon, dann sollten wir künftig zumindest diversifiziert abhängig sein. Das heißt, möglichst viel im eigenen Land umsetzen und unterschiedlichste Lieferanten und Partner aus verschiedenen Regionen zu haben. 

Für die Resilienz am Fachkräftemarkt hat mittlerweile auch die Politik eingesehen, dass wir bessere Rahmenbedingungen in Bezug auf Kinderbetreuung brauchen. Und mit dem neuen Bildungsbonus für Menschen in Arbeitslosigkeit können diese das ohnehin eher schwach dotierte Arbeitslosengeld aufstockten. Wir fördern damit auch den Umstieg in neue Berufe zum Beispiel für die Energiewende.«

Peter Lenz, Managing Director T-Systems Austria

Welchen Hebel bietet die Digitalisierung bei der Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen auch in den Bereichen Nachhaltigkeit und Lieferketten?

»Auf der einen Seite gibt es vielfältige, komplexe Einflussfaktoren, die unsere Welt, die aber auch Unternehmen verändern. Dafür gibt es jede Menge Tools, die bei der Bewältigung dieser Herausforderungen unterstützen. Bei den künftigen Anforderungen an Lieferketten ist beispielsweise die Transparenz über die Herkunft eines Produkts und dahinterliegende Prozesse ausschlaggebend. Mit dem Monitoring und Tracking von Rohmaterialen und Komponenten werden Unternehmen viel besser in ihrem Markt aufgestellt sein. Oder die Vermeidung von Verschwendung im Nahrungsmittelsektor: In manchen Bereichen geht mitunter die Hälfte der Produktmengen aus unterschiedlichen Gründen auf dem Weg bis zu den Endverbraucher*innen verloren. Jedes Prozent Verschwendung, das man auch mit Hilfe von Digitalisierungslösungen verhindern kann, bringt uns da einen Schritt weiter. 

Der Faktor Nachhaltigkeit erfasst nun auch Geschäftsbeziehungen. Die Österreichischen Bundesbahnen sagen bereits deutlich, nachhaltige Lieferanten und Partner bei Ausschreibungen positiv zu bewerten. Die ÖBB sind hier sicherlich Vorreiter, aber es zeigt: Das ist bereits gelebte Praxis. Die Lieferanten müssen klarerweise ihre nachhaltige Lieferkette auch nachweisen – mit Hilfe von Digitalisierungswerkzeugen.«

Eine Krisenfestigkeit von Organisationen ist auch eine Frage der verfügbaren Fachkräfte – wie geht es Ihrem Unternehmen hinsichtlich von Frauen in technischen Berufen?

»Zweifelsfrei sind Unternehmen, die sehr unterschiedlich und divers aufgestellt sind, krisenfester als andere. Man hat dadurch vielfältigere Zugänge zu Themen. Gemischte Teams sind in jeder Form bereichernd. Dass T-Systems in Österreich zwei Frauen und zwei Männer in der Geschäftsführung hat, ist kein Zufall, sondern bewusst herbeigeführt und unterstützt. Hier geht es auch um eine Vorbildwirkung, denn die IT ist leider immer noch eine Männerdomäne. Mit 30 % Frauenanteil über die gesamte Organisation hinweg sind wir im Branchenvergleich auf dem richtigen Weg.

So etwas funktioniert aber nur, wenn gleichzeitig der oder dem Einzelnen flexible Arbeitszeitmodelle geboten werden, angepasst an die jeweilige Lebenssituation. So ist in der IT-Branche auf Wunsch auch Homeoffice relativ einfach umsetzbar. Es gilt aber flexibel zu sein: Ein Modell für alle verpflichtend – das ist die schlechteste Option für die Menschen.«

Haben Sie ein Beispiel aus Ihrem Haus, wie auch IT-Unternehmen nachhaltiger werden? 

»Die IT-Industrie ist bekanntermaßen ein großer Energieverbraucher – in erster Linie von Strom. Wir haben in unserem großen Gebäude in Wien, das wir gemeinsam mit der Schwesterfirma Magenta nutzen, mit einer Investition von mehreren Millionen Euro die Kühlung des Rechenzentrums erneuert. Das Ergebnis sind 30 % Energieeinsparung. In einem nächsten Projekt geht es um Solarpaneele am Dach, die rund 10 % des Eigenbedarfs decken können. Und in einer großen Veranstaltungshalle, die in der Nachbarschaft in St. Marx geplant wird, könnten wir Abwärme aus unserem Rechenzentrum anbieten. Über Wärmetauscher könnte das Gebäude beheizt oder gekühlt werden. Es gibt so vielfältige Möglichkeiten – sie gehen bis auf die Ebene von Programmiersprachen. Denn manche Computersprachen benötigen weniger Energie als andere. Es geht nur noch ums Tun.«

Michael Swoboda, CEO Enterprise Training Center ETC

Wie krisenfest sind Unternehmen in Österreich hinsichtlich der Ausbildungen ihrer Mitarbeiter*innen – Stichwort Fachkräfte?

»Der Fachkräftemangel ist das Schreckgespenst jedes Arbeitgebers. Ich bin aber kein Freund davon, gleich alles als Krise zu definieren. Ich sehe vielmehr eine unglaubliche Chance in diesem Bereich. Mitarbeiter*innen sind das Kapital von Unternehmen schlechthin. Nun haben in den letzten Jahren viele Unternehmen den scheinbar einfacheren Weg gewählt, ihre Fachkräfte am Jobmarkt zu lukrieren. Die Ausbildung der Menschen hat stets anderswo stattgefunden. Wenn Unternehmen aber wieder selbst in die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter*innen investieren, werden wir den Fachkräftemangel zumindest zu einem merkbaren Teil entkräften können. Denn auch die Auslagerung von Kompetenzen und Fähigkeiten an Dritte etwa in Form von Outsourcing bringt Unternehmen in eine Abhängigkeit.

Mit den Tools der Digitalisierung und den Menschen, die diese anwenden können – bei ETC helfen wir Unternehmen, genau diese Chance zu ergreifen –, kommen wir ebenfalls dem Fachkräftemangel in gewissen Bereichen bei.

Beim wichtigen Thema Frauen in technischen Berufen setzen wir seit Jahren Initiativen um. Es gilt, das Vorurteil aufzulösen, Technik sei nur etwas für Männer. Es gibt keinen einzigen Grund, warum eine Frau nicht mindestens genauso gut im Programmieren oder in der Netzwerkadministration sein kann. Wir sprechen hier von einem Riesenpotenzial für Unternehmen, für unterschiedlichste Herausforderungen aufgestellt zu sein.«

Anna Leitner, Campaignerin für Ressourcen und Lieferketten Global 2000

Was können wir beim Thema Lieferketten auf der EU-rechtlicher Ebene erwarten? Worauf sollten sich Unternehmen einstellen? 

»Das Lieferkettengesetz darf man nicht als für sich stehende Richtlinie der EU betrachten. Vielmehr ist es in einem Kanon drängender Themenbereiche zu sehen. Die menschliche Zivilisation hat bereits sechs von neun planetaren Grenzen überschritten, darunter fallen der Klimawandel, der Verlust der Artenvielfalt, Wasserverbrauch oder weltweite Abholzungen. Es ist klar, dass wir so nicht mehr weitermachen können. Es braucht einen Wandel zu einem nachhaltigen Wirtschaften. Damit sind aber nicht Bienenstöcke auf Bürogebäuden gemeint, sondern strukturelle Änderungen in Geschäftsmodellen.

In diesem Kanon regelt die »Corporate Sustainability Reporting Directive« die Berichterstattung von Nachhaltigkeitskennzahlen in Unternehmen. Mit dem Lieferkettengesetz, der »Corporate Sustainability Due Diligence Directive«, bekommen wir einen zusätzlichen Rechtsrahmen, bei dem es nicht nur um das Berichten, sondern um konkrete Umsetzungen geht. Das birgt auch massive Vorteile für Unternehmen. Man weiß aus Studien, dass Unternehmen einen Vorteil auf ihren Märkten haben, wenn diese ihre Lieferanten kennen. Transparenz in der eigenen Wertschöpfungskette schützt vor unternehmerischen Risiken – etwa bei Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden an Produktionsstandorten. Prinzipiell ist es ähnlich wie bei der Cybersecurity, die einfach eine Sorgfalt in den Unternehmen einfordert. Da wie dort geht es um ein präventives Handeln, um ein längerfristiges Planen und Agieren. 

Das Lieferkettengesetz wird derzeit noch verhandelt. Es wird in den nächsten Jahren als Standard für einen fairen Wettbewerb sorgen. Denn bislang sind jene, die ihre Kosten nicht an die Umwelt oder Arbeitskräfte auslagern, im freien Markt im Nachteil. Mit dem Gesetz kommt überdies eine zivilrechtliche Haftung und damit die Möglichkeit für Betroffene negativer Auswirkungen, auch auf internationaler Ebene ihr Recht einzufordern.«

Christoph Heinzel, Managing Director Heinzel EMACS Energie

Sie setzten mit Heinzel Energy Erzeugungsanlagen von erneuerbarem Strom in der Industrie um – direkt dort, wo Energie verbraucht wird.

»Die Papier- und Zellstoffproduktionsstandorte der Heinzel-EMACS-Firmengruppe haben sehr energieintensive Prozesse. In dieser Branche rechnet man – je nach Standort – den Energiebedarf nicht in Megawatt- sondern in Gigawatt- und sogar Terawattstunden. Wir haben uns deshalb schon lange darüber Gedanken gemacht, wie unser von Haus aus sehr nachhaltiges Geschäft – Papier besteht aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz und die meisten unserer Produkte werden aus Altpapier produziert – ressourcenschonend auch mit Energie versorgt werden. Gleichzeitig setzt die Papierindustrie seit jeher auf nachhaltige Wasserkraft. Wir haben darüber hinaus dann zunächst Windkraft- und später Photovoltaik-Großanlagen errichtet. Ziel ist, einen Teil des Strombedarfs der Anlagen mit den Erneuerbaren vor Ort zu beliefern. Wir tun das nicht ausschließlich für unsere eigenen Produktionsanlagen, sondern auch für Anlagen in der Automotive-Industrie, für metallverarbeitende Betriebe oder Landwirtschaften.

Für unsere ersten PV-Großanlagen vor nicht einmal zehn Jahren wurden wir teilweise noch belächelt. Letztes Jahr hat sich dann offenkundig herausgestellt, dass sich das auch wirtschaftlich ausgezahlt hat. In dieser Zeit der extremen Energiepreise sind viele Unternehmen auf uns zugekommen, um sich über Eigenerzeugung zu informieren. Ich merke aber, dass das Interesse mit den sinkenden Strompreisen leider schon wieder nachlässt.

Sicherlich war hier auch etwas Glück dabei oder einfach unternehmerisches Risiko, das sich am Ende bezahlt gemacht hat. Wir streben natürlich 100 % Erneuerbare und CO2-Neutralität in allen unseren Geschäftsbereichen an. Es gibt vielfältige Möglichkeiten für diesen Weg, auch bei unseren Schwesterfirmen in der Papierindustrie und auch für alle andere Branchen. Es benötigt Hirnschmalz und Investitionen um seine Ziele zu erreichen. Man muss konkret handeln und umsetzen, nicht nur darüber sprechen und philosophieren. Sicherlich sind auch Förderungen ein Anreiz, um neue Technologien salonfähig zu machen. In gewissen Bereichen hätte es vor einigen Jahren ohne Förderungen nicht funktioniert.

Für uns ist wichtig, dass gesetzliche Vorgaben wie zuletzt das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz oder die Marktpreis-Verordnungen stets rasch Klarheiten schaffen und umgesetzt werden, um Sicherheit für Investitionen zu bieten. Wir sind hier in Österreich glücklicherweise in einem Staat mit Rechtssicherheit. Deshalb dürfen auch in Krisen – und die Herausforderungen werden sicherlich mehr – nicht willkürlich Spezialabgaben eingeführt werden, ganz egal für welche Branche. Das wäre für den Wirtschaftsstandort eine Gefahr.«

Die Veranstaltung wurde von A1, Bacher Systems, T-Systems und Cyber Trust Austria unterstützt.

Fotos: Milena Krobath

Weitere Fotos zum Event unter https://www.flickr.com/photos/award2008/sets/72177720312682637/

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