Gibt es objektive Kriterien zur Bewertung von Kunst - und wenn ja, warum nicht? Diese Frage ist nicht so paradox wie sie klingt. Sie spiegelt die allgemeine Sprachverwirrung beim Gebrauch der Begriffe Preis und Wert. Für Hubert Thurnhofer ist das passende Werkzeug zur nachvollziehbaren Bewertung eine Pyramide.
„Gute Kunst lässt sich immer zu hohen Preisen verkaufen“, ist eine jener Feststellungen, die einen direkten, kausalen Zusammenhang zwischen Preis und Wert suggerieren. Wie immer bringt Klaus Albrecht Schröder die Diskussion prägnant auf den Punkt: „Man kann das Ökonomische nicht vom Ästhetischen trennen. … Relevanz bemisst sich am Preis. ... Es gibt Künstler, nicht unbedeutende, die sagen die besten Künstler sind die teuersten, die zweitbesten sind die zweitteuersten, usw.“ Ich bin seit über 20 Jahren in der Kunstszene tätig und war offen gestanden immer der Meinung, dass Preis und Wert nicht viel miteinander zu tun haben. Mittlerweile habe ich meine Meinung revidiert und bin zu der Überzeugung gelangt: Preis und Wert haben überhaupt nichts miteinander zu tun!
Tatsache ist, dass beide Begriffe im normalen Sprachgebrauch ebenso wie in den Medien und in der Fachliteratur fast immer kausal aufeinander bezogen sind: wenn hoher Preis, dann hoher Wert. In den Medien findet sich fast in jedem Bericht über den Kunstmarkt eine völlig indifferente Verwendung der Begriffe „Preis“ und „Wert“. Aktuelles Beispiel: „61 Millionen Euro: Newman-Gemälde erzielt Rekordwert bei Auktion … Damit wurde nicht nur der Schätzpreis von 50 Millionen Dollar weit übertroffen, sondern auch ein neuer Barnett-Newman-Auktionsrekord aufgestellt.“ Rekord-Wert statt Rekord-Preis.
Es ist nachvollziehbar, dass Verkäufer von Kunstwerken mit unverständlich hohen Preisen einen gewissen Legitimationsbedarf sehen, umso mehr, als mittlerweile sogar Insider der Szene nicht mehr nachvollziehen können, warum manche Preise in astronomische Höhen steigen. Bereits legendär ist die Aussage von Gerhard Richter (einer der teuersten lebenden Künstler), nachdem im Oktober 2011 sein Bild „Kerze“ bei Christie´s um 10,45 Mio. Pfund (fast 12 Mio. Euro) versteigert wurde: „Das ist genauso absurd wie die Bankenkrise – unverständlich, albern, unangenehm.“
Es gibt keine Wertsteigerung, sondern nur Preissteigerung
Unter der Prämisse, dass ein hoher Preis einen hohen Wert widerspiegelt, setzen die meisten Berichte über Rekordpreise die Preis=Wert-Formel voraus, doch in keinem einzigen Bericht findet sich eine Analyse des Wertes. Meistens spricht man über „Bewertung von Kunst“ und meint die „Bepreisung“, neudeutsch: das Pricing. Diese Begriffe klar auseinander zu halten ist die erste und wichtigste Voraussetzung für eine objektive Bewertung von Kunst. Wenn man weiters berücksichtigt, dass es keine Wertsteigerung gibt, sondern nur eine Preissteigerung, dann ist man auf dem richtigen Weg zu einer tollen Sammlung. Denn unbeeinflusst von der Hysterie rund um „Weltrekordpreise“ wird man unweigerlich entdecken, dass höchst wertvolle Kunstwerke zu extrem niedrigen Preisen zu bekommen sind.
Kunstmarkt-Pyramide
Auch wenn jedes Kunstwerk einmalig ist, so sind Preisvergleiche möglich. Die Kunstmarkt-Pyramide segmentiert den Markt (genauer gesagt: die Märkte) in fünf Ebenen und ermöglicht eine schnelle Einordnung eines Künstlers und damit eine grobe Zuordnung zu einem Preislevel. Jeder der ein Auto kauft, hat einen Überblick über das Preislevel in jener Klasse, die grundsätzlich für den Kauf in Frage kommt. Diesen Überblick sollten sich auch Kunstkäufer für die Marktsegmente verschaffen, in denen sie beabsichtigen Werke zu kaufen. Den Faktencheck kann heute jeder mit einem Smartphone direkt in einer Ausstellung erledigen. Man kann ein Kunstwerk auch reservieren lassen und die Angaben zum Künstler und sein Werk zu Hause in aller Ruhe prüfen.
Das Buch zum Thema
Die Kunstmarkt-Formel
Hubert Thurnhofer
ISBN 978-3-7357-7052-3
Print: 19,80 Euro, E-Book 10,99 Euro