Schauplatz Reklame in TV und Printmedien: Abgesehen von der Werbung für Hörgeräte und Pensionsvorsorge sind alle Werbeträger gesegnet mit knackiger Modellstatur, dynamisch lächelnd und vor allem jugendlichen Alters. Die propagierte Botschaft hat ein klares Leitmotiv, das unreflektiert subtil unter die Haut geht: Bist du jung, dann bist du cool und ok! So muss unsere Gesellschaft sein! Ein Gastkommentar von Herbert Strobl.
Szenenwechsel zu statistischen Daten: vielleicht langweiliger, aber mit mehr Verlässlichkeit als Werbebotschaften. Österreichs Bevölkerung wächst, gleichzeitig verschiebt sich die Altersstruktur. Während derzeit 18 % der Bevölkerung über 65 Jahre alt sind, werden es 2030 bereits mehr als 25 % sein. Die Auswirkungen dieses demografischen Wandels sind noch nicht im allgemeinen Bewusstsein angekommen.
Welche Bedeutung könnte diese kognitive Dissonanz zwischen Schein und Sein konkret für das zukünftige Recruiting von Mitarbeitern haben? Recruiting-Verantwortliche sprechen heute gerne vom »War for Talents«, also dem zunehmenden Kampf um Fachkräfte und die besten »High Potentials« für ihr Unternehmen, wenn das Angebot am Arbeitsmarkt immer schwerer zu finden ist. Gemeint sind damit aber wohl nur »ungeschliffene Rohdiamanten«, die 25 Jahre jung sind, mindestens ein, zwei abgeschlossene Studien haben, dabei Auslandskompetenz und zehn Jahre Berufserfahrung vorweisen können – die »eierlegende Wollmilchsau« eben. Andererseits werden 45+-Jährige, bereits »fertig geschliffene Diamanten«, nicht mal mehr zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, weil sie als zu alt gelten.
Hinter vorgehaltener Hand wird neben dem höheren Kostenfaktor von älteren Mitarbeitern und der Chimäre der abnehmenden Leistungsfähigkeit oft noch das Argument der »nicht mehr vorhandenen Formbarkeit« genannt. Im Kern geht es wohl darum, dass Unternehmen die neuen Mitarbeiter neben ihren fachlichen Qualifikationen vor allem passend zur bestehenden Firmenkultur aussuchen. Und was nicht passt, kann ja noch – zumindest in Grenzen – passend gemacht werden. Karrieretechnisch gilt dann vor allem in Konzernen wieder »up or out«, während für ältere Jobaspiranten wohl die Haltung »you can't teach an old dog new tricks« vorherrscht.
In diesem Denken ist der Wurm drin. Einerseits ist es unrichtig, dass Ältere per se weniger produktiv sind. Ihre vielleicht abnehmende körperliche Leistungsfähigkeit können sie in vielen Fällen durch Erfahrung über relevante Umstände und Prozesse mehr als kompensieren. Idealerweise gibt es eine gute Mischung aus jugendlichem Elan und gereiftem Wissen, die in einer respektvollen Weise miteinander kooperieren können, weil es die Unternehmenskultur zulässt. Andererseits passiert Rekrutierung weitgehend noch nach klassischen Kriterien, während sich die Einstellung der Generation Y in einigen Bereichen grundlegend von früheren Wertehierarchien zu unterscheiden scheint. Sie denkt individualistischer, globaler, ist projektbezogener und weniger hierarchiebereit. Ihre Motivations- und Loyalitätsbegriffe sind für Unternehmen zunehmend schwieriger in den Griff zu bekommen, zumal die Generation Y auch tendenziell bereit ist, eher der Führung zu folgen, der sie folgen will, nicht mehr nur der, der sie folgen muss.
Der altersbedingte Verzicht auf die vielfältigen Kompetenzen der Generation X führt nicht nur gesellschaftlich in die Sackgasse. Wenn sich Unternehmen ausschließlich auf die vorhandenen jungen Talente konzentrieren, scheint das zwar wie das Licht am Ende des Recruiting-Tunnels zu sein, aber mit einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass es sich dann dabei eher um die ominöse Lokomotive handelt.
Der Autor
Herbert Strobl ist Managementberater und Entwicklungsbegleiter mit Schwerpunkt auf Führung, Veränderung und Unternehmenskultur. Er verfügt über 20 Jahre eigene Führungserfahrung in internationalen Konzernen und arbeitet als systemischer Unternehmensberater, Executive-Coach und Wirtschaftsmediator. www.herbertstrobl.cc