Baustoffe und Nachhaltigkeit – Fachverband Steine-Keramik schafft neue Basis für Gebäudebewertung. Ein Gastkommentar von Dr. Carl Hennrich.
Die Stein- und keramische Industrie übt mit ihren Baustoffen Einfluss auf das Baugeschehen in Österreich aus. Dieser Einfluss erstreckt sich auch auf die engagierten Klimaziele der österreichischen Bundesregierung. Die Qualität der errichteten und sanierten Gebäude hat nämlich wesentliche Auswirkungen auf die ökologische, ökonomische und soziale Dimension der nachhaltigen Entwicklung Österreichs. Während der Energieaufwand für den Betrieb eines Gebäudes und die Gesamtenergieeffizienz von Bauwerken im Rahmen der EU-Gebäuderichtlinie und des Energieausweises im Vordergrund stehen, werden die Umweltbelastungen, die mit der Herstellung der Gebäude verbunden sind, aber auch die dauerhaften ökonomischen und sozialen Wirkungen erst in Ansätzen erfasst. Im Normenausschuss CEN/TC 350 ( »Sustainability of Construction Works«) wird auf europäischer Ebene mit intensiver österreichischer Beteiligung bereits an Methoden für eine umfassende Gebäudebewertung gearbeitet (»Integrated Performance of Buildings over its Life Cycle«). Mit der Forschungsinitiative »Nachhaltigkeit massiv« leisten die österreichischen Hersteller massiver Baustoffe einen wesentlichen Beitrag zur europaweiten Diskussion um eine integrative Lebenszyklusbetrachtung von Gebäuden.
Neue Wege
Der Anspruch, die Gebäude auf Basis von Lebenszyklusbetrachtungen zu bewerten, ist äußerst ambitioniert. »Nachhaltigkeit massiv« zeigt einerseits neue methodische Zugänge zu offenen Fragen auf, wie etwa die Lebensdauer von Bauteilen oder die ökologischen Belastungen der Transporte ab Werkstor erfasst werden können. Andererseits wird auch deutlich, dass ihre Implementierung in bestehende Gebäudebewertungssysteme heute nur unzureichend möglich ist. Defizite bestehen sowohl in der Datengrundlage als auch in der Auswahl der Untersuchungsfelder sowie in der Gewichtung der identifizierten Kriterien und Indikatoren zueinander. Die Weiterentwicklung von bestehenden Gebäudebewertungssystemen in Richtung eines einfachen Instruments zur Messung und Kommunikation der ökologischen, ökonomischen und sozialen Qualität von Bauwerken ist für die Bauwirtschaft von höchster Bedeutung. Investoren, aber auch Förderstellen haben Bedarf an Informationsinstrumenten, die möglichst einfache »Ratings« bedingen. Was dabei unter Nachhaltigkeit verstanden wird, kann jedoch sehr verschieden sein. Aus Gründen der Transparenz ist es daher so lange wie möglich zu vermeiden, Daten zu stark zu aggregieren. Wenn Aggregationen vorgenommen werden, hat dies wirkungsorientiert und auf naturwissenschaftlicher Basis zu erfolgen.
Eine zentrale Grundlage für jedes Bewertungssystem, das die »Integrated Performance of Buildings« abbildet, ist die umfassende Ökobilanzierung auf Produktebene. Handlungsbedarf besteht hier nicht nur durch deren Erfordernis im Rahmen von Gebäudebewertungssystemen, sondern auch durch die zu erwartenden (ökonomischen) Folgen der Ressourcenbeanspruchung auf globaler Ebene sowie der Bauprodukterichtlinie. Hersteller, die über die erforderlichen Informationen verfügen, können damit auch bestehende Potenziale zur Optimierung ihrer Produkte und Produktionsprozesse erkennen. Die Generierung zusätzlicher Daten hat allerdings nur dann Wirkung, wenn die daraus abgeleiteten Informationen richtig interpretiert werden und wenn damit Produkte und Bauweisen verbessert werden. Um den Erfolg von Bewertungssystemen auf Ebene von Produkten und Gebäuden zu gewährleisten, ist eine breite Akzeptanz und damit einhergehend ein erhöhtes Know-how bei Herstellern, PlanerInnen und sonstigen Stakeholdern im Baugeschehen erforderlich.
Zur Optimierung von Bauaufgaben sind Planungstools, mit denen eine wissenschaftlich fundierte Nachhaltigkeitsperformance zum jeweiligen Planungsstand einfach erkennbar wird, von besonderer Bedeutung. Die Industrie kann so dazu beitragen, dass die Potenziale der verschiedenen Bauweisen besser genutzt werden. Umfassende Planungstools erlauben es auch, die Eigenschaften der Bauprodukte und Bauweisen entsprechend darzustellen. Für die Massivbauweisen bieten ihre Langlebigkeit und Wertbeständigkeit, der geringe Wartungsaufwand sowie die hohe Speichermasse, wodurch Sommertauglichkeit ohne energieaufwendige Kühlung sichergestellt werden kann, besondere Chancen. Mit einem umfassenden Bewertungs- und Planungstool sind darüber hinaus entsprechende Weiterentwicklungen zu erwarten.
Neue Grundlagen
Die Nachhaltigkeitsbewertung wird als Versuch, ökologische, wirtschaftliche und soziale Aspekte zu integrieren, weiterhin ein Spiegelbild der allgemeinen Nachhaltigkeitsdiskussion sein. Und diese ist bekanntlich ein permanenter Aushandlungsprozess. »Nachhaltigkeit massiv« hat mit den vorliegenden Ergebnissen neue Grundlagen für die weitere und breitere Diskussion eingebracht, die für die Hersteller massiver Baustoffe die Basis für die Weiterentwicklung ihrer Bauprodukte, Bauteile und Systemlösungen und deren Einsatz in den modernen Bauweisen darstellen. Im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung zugunsten einer nachhaltigen Bauwirtschaft ist dieser Prozess mit der Forschungsinitiative »Nachhaltigkeit massiv« jedoch nicht abgeschlossen. Vielmehr sieht der Fachverband der Stein- und keramischen Industrie damit einen ersten und wesentlichen Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion auf europäischer und österreichischer Ebene. Er lädt auch weiterhin ein, sich an dieser Diskussion zur Entwicklung eines umfassenden Gebäudebewertungssystems aktiv zu beteiligen.
Zur Person: Dr. Carl Hennrich Geschäftsführer des Fachverbands der Stein- und keramischen Industrie