Kunststoff-Kreislaufsysteme können Unternehmen helfen, das Image ihrer Marken zu pflegen. Ein Kommentar von Michael Urban, Chief Sustainability Strategist, Lombard Odier
Alljährlich verliert die Wirtschaft bis zu 120 Mrd. US-Dollar, die sich aus dem Recycling von Kunststoffabfällen erwirtschaften ließen. Doch Millionen von Tonnen dieser potenziell wertvollen Ressource landen entweder auf Müllhalden, werden verbrannt oder gelangen in die Umwelt. Die ökologischen Kosten von Plastikmüll, vor allem die Auswirkungen auf Meeresflora und -fauna, sind ausreichend bekannt. Oft übersehen werden jedoch die unzähligen Chancen, die diese Art von Abfall bietet, und die Möglichkeiten, von denen Einzelhandelsunternehmen mit der Schaffung eines Kunststoff-Kreislaufsystems profitieren könnten. Dabei gibt es bereits erste vielversprechende Ansätze.
Neues aus Altem herstellen
Über Jahrzehnte war die mechanische Verarbeitung, bei der Kunststoffabfälle zerkleinert, erhitzt und zu neuen Gegenständen geformt werden, das vorherrschende Verfahren im Kunststoffrecycling. Bei hochwertigen Abfallströmen, etwa den für die meisten Erfrischungsgetränke verwendeten Flaschen, bleibt die mechanische Methode am effektivsten. Minderwertigere Materialströme, wie z.B. Folien, lassen sich jedoch häufig nicht auf diese Weise wiederverwerten. Für sie stellt das chemische Recycling eine immer attraktivere Alternative dar.
Im April dieses Jahres wurde in einem Artikel in der Zeitschrift Nature über die Entwicklung eines neuen Enzyms – FAST-PETase – berichtet, mit dem sich Kunststoffabfälle in nur einer Woche vollständig abbauen lassen. Abgesehen von dem Vorteil einer höheren Geschwindigkeit gegenüber anderen kunststoffverarbeitenden Enzymen benötigt FAST-PETase auch deutlich weniger Energie. Dies stellt sowohl einen ökologischen als auch einen wirtschaftlichen Vorteil dar.
Weder das mechanische noch das chemische Recycling bieten aber die Möglichkeit einer unendlichen Wiederverwertung, denn bei beiden Verfahren tritt im Laufe der Zeit eine Verschlechterung des Endproduktes ein. Da jedoch Innovationen bei der Sortierung mittlerweile sauberere, differenziertere Recyclingströme versprechen und Fortschritte im Recyclingprozess selbst erzielt werden, wird sich diese Zeitspanne verlängern, sodass Kunststoffe öfter den Kreislauf von Verwendung bis Recycling durchlaufen können.
Weniger Müll als Grunddevise
Für Einzelhandelsunternehmen könnte die Umstellung auf ein produktiveres Kunststoffsystem mit zahlreichen Vorteilen verbunden sein. Ein geringeres Abfallaufkommen könnte die Herstellungskosten senken, die steuerlichen Effekte neuer regulatorischer Anforderungen minimieren und Marken zugleich helfen, die Kundenbeziehung zu festigen.
Firmen wie das chilenische Start-up Algramo und das britische Unternehmen Loop helfen Herstellern dabei, von diesem Wandel zu profitieren, indem sie die Infrastruktur aufbauen, die für eine „Nachfüllrevolution“ erforderlich ist, und für Konsumenten eine breite Auswahl an Produkten in nachfüllbaren Markenbehältern bereitstellen. Für den Endnutzer bedeutet die „Verpackung fürs Leben“ von Algramo den Vorteil geringerer Preise, da die Kosten für den Behälter vom Nachfüllpreis in Abzug gebracht werden, während sie es den Herstellern markengebundener Nachfüllprodukte ermöglicht, aus Erstkäufern mehr Stammkunden zu gewinnen.
Derzeit ist das Unternehmen in fünf Ländern mit Versuchsstationen in großen Supermarktketten vertreten. Dabei bedient sich Loop eines pfandbasierten Rückgabesystems, bei dem die Behälter gesäubert und erneut eingesetzt werden können, anstatt sie einem Recyclingprozess zuzuführen. Loop beabsichtigt, dieses Jahr weiter zu expandieren, und bietet Frühanwendern im Zuge dessen die Möglichkeit, von einer zunehmenden Konsumentennachfrage nach umweltfreundlichen Produkten zu profitieren.
In den Wandel investieren
Dem Finanzsektor kommt bei der nachhaltigen Ausrichtung der Kunststoffbranche eine zentrale Funktion zu: Zwar sind es vor allem Innovationen in der Produktion und im Recycling, die häufig in den Schlagzeilen stehen, aber auch die Infrastruktur braucht deutlich mehr Aufmerksamkeit. Die dafür erforderlichen Beträge werden hoch sein, aber für die Anleger ist die sich daraus ergebende Gelegenheit umso größer. Gerade dieser bis zum Jahr 2040 auf 1,2 Bio. US-Dollar geschätzte kumulierte Investitionsbedarf bedeutet, dass das Kunststoffproblem ideal für marktbasierte Lösungen ist. Insgesamt gilt es, die Vorreiter zu identifizieren, welchen diesen Wandel bereits begonnen haben und zu den langfristigen Gewinnern gehören werden. Anlegern kommt bei dieser Transformation eine wichtige Funktion zu.