Gemeinsam mit der ARA veranstaltet der Report Verlag im Laufe des Jahres eine dreiteilige Diskussionsreihe zum Thema »Urban Mining«. Ende Juni wurde über Konsumgüter und Recycling sowie Rohstoffströme diskutiert.
Vor über 100 Teilnehmern sprachen Georg-Dieter Fischer, Obmann Fachverband der papierverarbeitenden Industrie (PPV), Thomas Maier, Geschäftsführer Elektro Recycling Austria (ERA), Christian Strasser, Geschäftsführer PET to PET Recycling, Susanne Lontzen, Public Affairs & Kommunikation Coca-Cola Hellenic, und Roland Pomberger, Professor Montanuniversität Leoben. Christop Scharff, Vorstand Altstoff Recycling Austria (ARA) begrüßte das Fachpublikum im Reitersaal der Österreichischen Kontrollbank. Wirtschaftsjournalist Martin Szelgrad, Report, moderierte.
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(+) plus: Wie ist der Status quo beim Recycling von Papier und Pappe? Wie sehen dazu die Stoffkreisläufe in Österreich aus?
Georg-Dieter Fischer: Im Sinne des Urban Mining sehen auch wir den Rohstoff Altpapier quasi auf der Straße liegen, den wir nur noch aufzuheben müssen – Österreich ist dazu sehr gut organisiert. Das ist auch enorm wichtig, da im Sektor eine Unterdeckung an Altpapier herrscht. Die heimische Wirtschaft ist stark exportorientiert und mit ihren Papiererzeugnissen ein großer Player in Europa. Fünf Millionen Tonnen Papier werden in Österreich jährlich produziert, wovon aber nur ein kleinerer Teil, 660.000 Tonnen, im Inland bleibt. Der heimische Bedarf liegt wiederum bei rund zwei Millionen Tonnen, rund 1,3 Mio. Tonnen werden folglich importiert.
Seit 1993 ist die Verpackungsverordnung auf Basis des Abfallwirtschaftsgesetzes in Kraft, die zu einer Wiederverwendung oder Verwertung von Verpackungen verpflichtet. Bereits Jahre davor gab es aber schon ein Agreement zwischen der österreichischen Papiererzeugung und dem Altpapierhandel, um garantiert Altpapier auch wieder in der Produktion einzusetzen. Der Grund: Dieser Altstoff ist knapp und muss für die heimische Wirtschaft gesichert werden.
(+) plus: Wird Altpapier aus Österreich auch exportiert?
Fischer: Wie bei vielen Stoffströmen heute sind auch die Ströme bei Altpapier international und kennen keine Grenzen. Österreich ist dazu Nettoimporteur, es gibt aber auch Exporte, etwa nach Deutschland und Italien. Das Gros dieses Sekundärrohstoffs kommt aber aus dem Ausland – trotz unserer leidenschaftlichen und perfekten Sammeltätigkeit. Papier und Wellpappe sind Kreislaufprodukte. Bei der Wellpappe haben wir Sammelraten von nahezu 100 Prozent. Altpapier ist alles andere als Müll und ist zu einem international notwendigen Gut geworden. Aktuell ist der Preis gut, die Tonne wird mit längst über 100 Euro gehandelt. Die großen Treiber in den internationalen Handelsströmen sind die Märkte in Übersee und vor allem China, das massiv Ströme aus Europa anzieht. Auch in Indien wird gerade eine große Recyclingindustrie aufgebaut. In Asien gibt es freilich nicht die uns bekannten Sammelsysteme, somit muss Altpapier importiert werden. Die Ökobilanz auf diesen internationalen Warenwegen ist trotzdem gut, da am Schiffsweg Container in Retourfrachten genutzt werden, die andernfalls leerstünden. Letztlich unterliegen diese Entwicklungen aber immer einem Angebot und der Nachfrage. Eines steht dabei fest: Altpapier ist wertvoll und wird immer einen Preis haben.
(+) plus: Wie groß ist der Recyclingmarkt bei Elektrogeräten? Welche Teile eines Elektrogeräts sind überhaupt wiederverwertbar?
Thomas Maier: In Österreich werden jährlich rund 160.000 Tonnen Elektrogeräte über die Ladentische verkauft und eingesetzt. Diese Zahl betrifft die »Schnelldreher« – Waschmaschinen, Fernseher, Computer und vieles mehr. Darin nicht enthalten sind Elektronikbestandteile, die in anderen Teilen wie etwa einer Heizung verbaut werden und entsprechend länger im Gebrauch sind. Über unsere Sammel- und Verwertungssysteme wird in etwa die Hälfte der Altgeräte wieder eingesammelt. Ein gewisser Teil der Elektrogeräte landet nach wie vor im Restmüll. Aber das ist ein relativ kleiner Anteil. Auf Deponien landet kaum Material, wir sehen aber ein gewisses Problem mit dem Abfluss von Altgeräten ins Ausland.
Lange Zeit hatte man sich im Recycling auf Metallbestandteile wie Kupfer, Aluminium und Eisen konzentriert. Die Verarbeitungstechnologien sind aber zunehmend verbessert und erweitert worden. Heute kommen wir auch mit dem Recyclen von Kunststoffgehäusen dem »Cradle to Cradle«-Konzept immer näher, wo etwa aus Druckergehäusen wieder Druckergehäuse produziert werden. Unsere Recyclingraten in der stofflichen Wiederverwendung von gesammelten Geräten liegen deutlich über jenen Zielen, die von den Verordnungen und den entsprechenden Normen vorgeben sind. Zwischen 65 und 75 Prozent Recyclingrate ist vorgeschrieben. Wir liegen bei über 90 Prozent.
(+) plus: Immer öfter landen Altgeräte aus Europa auf Deponien in Afrika und werden so zu einem Umwelt- und Gesundheitsproblem. Müssen sich auch die Österreicher sorgen, dass auf heimischen Boden unsachgemäß entsorgte Geräte in Afrika landen?
Maier: Zunächst muss man dazu feststellen, dass es in Regionen wie Osteuropa und auch Afrika eine sehr große Nachfrage nach Altgeräten gibt, die repariert und weiter verwendet werden. Ich sehe Regionen in Afrika derzeit weniger als abfallwirtschaftliche Herausforderung, die es zweifelsfrei auch gibt, sondern als kräftigen Markt für Gebrauchtwaren. Es ist ein Markt, den es in dieser Form in Österreich eigentlich kaum noch gibt. Hierzulande werden bestenfalls Waschmaschinen repariert und danach wieder jahrelang eingesetzt. In einer 2010 veröffentlichten Studie des deutschen Wirtschaftsministeriums wird gezeigt: In Nigeria sind 65 Prozent der Elektrogeräte in den Haushalten Gebrauchtgeräte aus Europa, Asien und den USA. Auf diesen Markt haben sich weltweit tätige Händler spezialisiert, die Waren verschiedenster Qualität einkaufen und vertreiben. Im Vergleich zu den anfallenden Mengen in Europa – drei Millionen Tonnen jährlich – sind die importierten Volumina in Afrika dennoch gering, beispielsweise mit 40.000 Tonnen in Ghana.
Ich möchte hier nicht für Gesamteuropa sprechen, doch wenn Altgeräte in österreichischen Sammelbetrieben abgegeben werden, ist es fast ausgeschlossen, dass davon etwas auf einer Deponie in Afrika landet.
(+) plus: Mehrwegflaschen oder Einwegflaschen: Diese Diskussion wurde lange Zeit sehr intensiv geführt. Was war letztendlich für den Siegeszug der PET-Flaschen verantwortlich?
Christian Strasser: Die Diskussion um die Getränkeverpackungen wurde tatsächlich immer sehr emotional geführt. Mehrweg oder Einweg war fast schon eine Glaubensfrage. Internationale Studien haben dann gezeigt, dass Einwegflaschen nicht zwingend eine schlechtere Ökobilanz haben müssen. Vor allem dann nicht, wenn es ein funktionierendes Kreislaufsystem gibt. Dann schneiden Einwegverpackungen, also PET-Flaschen, sogar etwas besser als Mehrwegflaschen aus Glas ab. Deshalb hat die Politik gemeinsam mit der Getränkeindustrie relativ früh die Basis für ein Bottle-to-Bottle-Recyclingsystem gelegt. Damit hat die Getränkeindustrie dem Konsumenten die Wahlfreiheit gesichert.
2006 haben sich die größten PET-Hersteller an einen Tisch gesetzt und beschlossen, das Bottle-to-Bottle-Recyclingsystem nicht in fremde Hände zu legen, sondern selbst zu realisieren. Das war die Geburtsstunde der PET to PET Recycling Gmbh. Im August 2007 ist das Unternehmen in Betrieb gegangen und wir konnten die Getränkeindustrie mit lebensmitteltauglichen Flakes versorgen. Wir haben dann bald festgestellt, dass wir bei rund 30 Prozent Recyclateinsatz eine Grenze erreicht haben. Weil wir die Recyclatquote steigern wollten, haben wir uns für den Aufbau und Einsatz einer zweiten Anlage entschieden, die jetzt seit 2010 in Betrieb ist. Damit können wir jetzt unterschiedliche Recyclattypen anbieten. Die Recyclateinsatzquoten sind damit auf weit über 50 Prozent gestiegen. Für den Konsumenten ist nicht erkennbar, welche Recyclattypen zum Einsatz kommen und wie hoch der Recyclatanteil ist. Das Produkt sieht immer gleich aus und erfüllt dieselben hohen Anforderungen. Man kann festhalten, dass Österreich mit dem Bottle-to-Bottle-Projekt über ein absolutes Vorzeigeprojekt verfügt. Es wird uns von internationalen Delegationen auch immer wieder bestätigt, dass es sich dabei um eine sehr sinnvolle und nachahmenswerte Lösung handelt.
(+) plus: Was hat bei Coca-Cola Hellenic Österreich den Ausschlag gegeben, die Produkte weitestgehend in Einwegflaschen abzufüllen?
Susanne Lontzen: Am Ende des Tages entscheidet immer der Konsument, welche Verpackung wir anbieten. Unser Ziel als Getränkehersteller und Abfüller ist es, dass wir dem Konsumenten unsere Produkte »in Armeslänge« anbieten können, wie das in der Fachsprache heißt. Und zwar in der Verpackung, die der Konsument wünscht. Diese Verpackung soll leicht, einfach zu transportieren und bruchsicher sein. Die Konsumenten in Österreich haben es einfach. Dank des gut funktionierenden Recyclingsystems können Sie guten Gewissens zwischen den verschiedenen Verpackungsmaterialien wählen. Es werden heute sieben oder acht von zehn PET-Flaschen getrennt gesammelt und wieder aufbereitet.
(+) plus: Coca-Cola ist einer der ganz großen internationalen Player. Wie sieht es mit dem PET-Flaschenrecycling international aus?
Lontzen: International zeigt sich ein völlig anderes Bild. In Österreich sind wir nicht zuletzt dank der ARA wirklich in einem gelobten Land. In vielen Ländern wird wenig oder gar nicht gesammelt und da spreche ich nicht von Asien oder Afrika. Schon wenn man über die Grenze nach Ungarn oder die Slowakei blickt, sieht man, dass jede Sammelstruktur fehlt. Je weiter man in den Osten kommt, umso schlimmer wird es. Hier gilt es, eine entsprechende Infrastruktur aufzubauen, um Verpackungen zu sammeln und wiederzuverwerten.
(+) plus: Wie hat sich aus Sicht des Wissenschafters die Wiederverwertungsgesellschaft in Österreich entwickelt?
Roland Pomberger: Ich hatte eigentlich Riesenglück. Ich habe vor rund 20 Jahren als junger Bergbauingenieur begonnen, mich mit der Abfallwirtschaft zu beschäftigen. Denn damals waren die Rohstoffpreise so niedrig, dass ich dieses Betätigungsfeld für spannender hielt. Damit konnte ich die gesamte Entwicklung in Österreich beobachten. Anfang der 90er gab es in der Branche nichts, außer vielleicht ein paar Deponien. Selbst das erste nationale Abfallgesetz wurde erst 1991 verabschiedet. In diesen 20 Jahren hat sich sehr viel getan und man kann mit Sicherheit sagen, dass Österreich über den gesamten Zeitraum Innovationsführer war, von der getrennten Sammlung über die verschiedenen Sammelsysteme, von der thermischen Verwertung bis zum Recycling. Heute können wir sagen, dass die österreichische Abfallwirtschaft in der Phase der Industrialisierung angekommen ist. Abfallverwertungsanlagen sind heute Industrieanlagen. Abfall wurde als Rohstoff erkannt und wird auch so genützt. Das ist auch nötig, wenn man sich etwa die Seltenen Erden ansieht. Die zwar gar nicht so selten, wie der Name vermuten lässt, aber sehr schwer abzubauen. Dazu kommt die große Abhängigkeit von China. Die Seltenen Erden kommen in fast jeden Elektrogerät vor, aber teilweise nur im ppm-Bereich. Das rückzugewinnen ist sehr schwierig. Es gibt zwar schon Ansätze, wird aber noch nicht umgesetzt. Da gibt es noch enormen Forschungsbedarf.
Es wird zwar eine Recyclinggesellschaft angestrebt, auch politisch, aber da muss man schon auch die Frage stellen dürfen, ob wir in der Praxis immer das Richtige machen. Bei genauerer Betrachtung erkennt man etwa, dass intelligente Recyclinglösungen nicht immer unterstützt werden. Die getrennte Sammlung ist eine unglaublich wichtige Sache und sollte weiter verstärkt werden. Je differenzierter die Sammlung ist, umso mehr Rohstoffe stehen uns zur Verfügung. Derzeit leiden wir ein bisschen unter der Geiz-ist-geil-Gesellschaft. Alles wird auf das Ökonomische und Monetäre reduziert. Wir sollten wieder mehr über Energie- und Ressourceneffizienz sprechen. Dann würde man schnell erkennen, dass wir die Sammlung energetisch völlig überbewerten. Die Energie, die in die differenzierte Sammlung fließt, ist viel geringer als die Energie, die in den gesammelten Materialien steckt. Wenn wir sortenreine Abfälle in entsprechenden Mengen haben, dann können diese hochwertig verarbeitet werden.
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