Die Menschen in Europa werden in den kommenden Jahren laut einer aktuellen Studie der Managementberater von A.T. Kearney immer weniger mit Bargeld zahlen. Stattdessen wird der Anteil bargeldloser Zahlvorgänge drastisch zunehmen und die Anbieter der verschiedenen Zahlungsmethoden vor große Herausforderungen stellen.
Der Untersuchung zufolge wird die Anzahl bargeldloser Zahlungsvorgänge in den 27 Staaten der Europäischen Union von derzeit über 90 Milliarden bis zum Jahr 2020 auf mehr als 175 Milliarden steigen, was einem Wachstum von 8 Prozent pro Jahr entspricht. Zum Vergleich: In den vergangenen Jahren war der Markt mit nur 5 Prozent jährlich gewachsen.
„Die dürren Jahre sind vorbei“, sagt Studienautor Andreas Pratz, Partner bei A.T. Kearney. „Der Haupttreiber des Wachstums kommt aus dem E-Commerce: Immer mehr Menschen kaufen im Internet ein, und das geht natürlich nur selten mit Bargeld. Außerdem rechnen wir mit großem Wachstum alternativer Bezahlmodelle. Dabei können in der Regel höhere Margen durchgesetzt werden als es im klassischen Zahlungsverkehr auch angesichts der regulatorischen Rahmenbedingungen zuletzt üblich war“. Bekannte alternative Bezahlmethoden sind PayPal, Giropay oder Sofortüberweisung.
Weltweit betrachtet wird derzeit rund ein Drittel aller 280 Milliarden bargeldlosen Zahlungen in Europa getätigt. Für den einzelnen Bürger heißt das: Von den im Durchschnitt jährlich etwa 800 Bezahlvorgängen pro Kopf, werden derzeit noch 600 bar bezahlt. Der Anteil von Barzahlungen wird der Studie zufolge bis 2020 auf 60 Prozent sinken und der Anteil der bargeldlosen Zahlungen steigen.
Davon profitieren werden Banken, Telekommunikationsanbieter, Händler sowie neue Anbieter, die im bargeldlosen Zahlungsverkehr in Europa aktiv sind. Ihre Erträge in diesem Segment werden sich A.T. Kearney zufolge von etwa 37 Mrd. Euro im Jahr 2010 auf bis zu 65 Mrd. Euro im Jahr 2020 fast verdoppeln. Zwar bleibt der Preisdruck auch angesichts der regulatorischen Rahmenbedingungen hoch. Innovative Bezahlmethoden im Internet oder via Smartphone („E- und M-Commerce“) bieten aber zugleich neue Ertragschancen. So erwarten die Autoren der Studie, dass bis 2020 bis zu ein Drittel der Erlöse auf Anbieter alternativer Methoden entfällt, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt voraussichtlich nur ein Fünftel aller Zahlungen ausmachen werden. Beispiele sind elektronische Geldbörsen (Wallets) oder mobile Lösungen für Smartphones.
An der Vielzahl neuer Anbieter und Bezahllösungen im Markt wird deutlich: Im Wachstumsmarkt bargeldloser Zahlungsverkehr wird auch künftig mit harten Bandagen um Wachstum, Marktanteile und Kundenbeziehungen gekämpft. Derzeit schon liefern sich Kreditkartenkonzerne, Mobilfunkbetreiber, Technologie-und Telekommunikationsfirmen sowie Banken ein hartes Wettrennen um das digitale Portemonnaie der Verbraucher. Ihr Ziel: Bargeld durch die elektronische Brieftasche zu ersetzen. „Vor dem Hintergrund der erwarteten Marktdynamik gilt es, schnell viele Kunden zu erreichen, denn die Zahlungslösung wird zunehmend zum Anker der Kundenbeziehung“, so Justin Krampe, Berater bei A.T. Kearney.
Um auf die Marktdynamik sowie die neuen Angreifer angemessen zu reagieren, sollten die Anbieter von Zahlungsmethoden drei Faktoren in den Mittelpunkt ihrer Strategie stellen: Kunde, Komfort, Kosten. So sollten sich Zahlungslösungen verstärkt an konkreten Kaufsituationen ausrichten: Der Kauf eines Gebrauchtwagens etwa stellt Händler und Käufer im Punkto Sicherheit und Komfort vor andere Herausforderungen als eine über Ratenkredit bezahlte Küche oder der Kauf eines Bustickets. Anbieter müssen außerdem die Händlerbedürfnisse berücksichtigen: Für einen Supermarkt etwa lohnt sich verstärkt bargeldloses Bezahlen oft erst, wenn dadurch eine Kasse geschlossen werden kann. Entscheidend für den Erfolg wird nicht zuletzt sein, wie bequem der Konsument eine Lösung nutzen kann. Neue Anbieter werden sich zudem nur durchsetzen und traditionelle nur behaupten können, wenn sie Kosten und Risikomanagement im Griff haben, sowie schnell groß genug sind, um im Markt bestehen zu können.
„Banken werden ihre starke Rolle im Zahlungsverkehr zwar behalten, da sie über die besten Finanzbeziehungen zu den Kunden verfügen“, sagt A.T. Kearney-Partner Andreas Pratz. „Sie sollten aber auf der Hut sein, da die Anbieter alternativer Zahlungsarten und auch Telekommunikationsunternehmen ein größeres Stück vom Kuchen erobern wollen“. Wachstum sieht er sowohl in reifen als auch in bisher weniger entwickelten Märkten. Ein bemerkenswerter Trend, schließlich sind die Branchen Handel, Telekom und Banking in den vergangenen Jahren kaum gewachsen.
Nach wie vor groß sind die regionalen Unterschiede in Europa. Besonders hartnäckige Traditionalisten sind seit jeher die Deutschen. Während hierzulande gerade einmal 9 Prozent aller Internetkäufer die Kreditkarte bevorzugen, sind es in England oder Italien über zwei Drittel. Für ihre Studie haben die Experten von A.T. Kearney mehr als 50 Zahlungsverkehrsexperten und Entscheidungsträger in Unternehmen befragt und parallel ihr Prognosemodell für den Zahlungsverkehr in Europa deutlich erweitert. Zudem kann A.T. Kearney auf ein führendes Zahlungsverkehrsbenchmarking und auf die Erfahrung aus über 100 Payments-Projekten in EMEA in den letzten Jahren aufbauen.