Schwächelnde Konjunktur und steigende Kosten: Einige Leitbetriebe der österreichischen Industrie reduzieren massiv Personal, während andere ihre Standorte ausbauen. Was ist das beste Krisenrezept?
Der Technologiekonzern AVL List spart am Stammsitz in Graz 130 Stellen ein, Magna Steyr trennt sich von 500 Beschäftigten, nachdem bereits im Dezember 450 gekündigt wurden. Spätestens seit auch der Leiterplattenspezialist AT&S den Abbau von weltweit 1.000 Mitarbeiter*innen, davon 200 bis 250 in den Werken Leoben und Fehring, ankündigte, ist von einer Krise der steirischen Industrie-Schwergewichte die Rede.
Die Ursachen für den Personalabbau sind freilich unterschiedlich. Magna wurde durch die Pleite des US-Start-ups Fisker – der Produktionsstopp des Elektro-SUV Ocean in Graz brachte 294 Millionen Euro Verlust – aus der Bahn geworfen. Einige Aufträge laufen aus, neue Projekte sind noch nicht in Sicht. Auch AT&S kämpft mit der Auslastung.
AVL List machen die hohen Personal- und Energiekosten zu schaffen. Konzernsprecher Markus Tomaschitz sprach mit Blick auf die schwächelnde deutsche Autoindustrie davon, dass man sich »vor diesen Entwicklungen nicht verschließen« könne. Der Verbrennermotor ist in Europa ein Auslaufmodell, Entwicklungsbudgets werden in Richtung E-Mobilität verschoben. Auch AVL List stellte sich in den letzten Jahren bereits breiter auf – 60 Prozent des Geschäfts entfallen inzwischen auf Wasserstoff- und Elektroantriebe, Batterie- und Softwareentwicklung, etwa für autonome Fahrsysteme oder Simulationen.
Lohneffekt sticht nicht
AT&S-Chef Andreas Gerstenmayer (Bild) nannte auch die hohen Lohnabschlüsse als Grund: »Die letzten vier Jahre haben uns in Österreich 32 Prozent Lohn- und Gehaltssteigerungen beschert. Das führt zu einem massiven Kostendruck.« Dieses Argument will Peter Kalt, Leiter für Forschung und Entwicklung der Robert Bosch AG, nicht gelten lassen: »Personalkosten sind nicht alles. Wir profitieren in Österreich von dem hohen Ausbildungsniveau der HTLs, Universitäten und Fachhochschulen.« Für diese Topqualität seien höhere Entwicklungskosten durchaus gerechtfertigt. Diese liegen in Österreich zudem noch unter jenen in Deutschland.
Die Bosch-Gruppe baut ihre Präsenz in Österreich weiter aus: Im vergangenen Jahr erhöhte das Unternehmen seinen Personalbestand um fünf Prozent auf fast 3.300 Mitarbeiter*innen. Im Bereich Forschung & Entwicklung wurden zuletzt 440 neue Stellen geschaffen. »Österreich hat sich innerhalb der Bosch-Gruppe als bedeutender Engineering-Standort etabliert«, bekräftigt Helmut Weinwurm, Vorstandsvorsitzender der Robert Bosch AG. In Wien, Linz und Hallein betreibt das Unternehmen internationale Kompetenzzentren. Bosch feiert heuer sein 125-jähriges Bestehen in Österreich und hält am Wachstumskurs fest. 2023 konnte mit einem Umsatz von rund 1,4 Milliarden Euro das Vorjahresniveau knapp gehalten werden; in der gesamten Bosch-Gruppe stieg der Umsatz um 3,8 Prozent auf 91,6 Milliarden Euro. Die F&E-Investitionen in Österreich kletterten um 16 Prozent auf 190 Millionen Euro.
Bild: Helmut Weinwurm, Robert Bosch AG, rechnet mit einem herausfordernden Jahr.
»Mit einer Forschungsquote von 14 Prozent spielt Österreich in der absoluten Topliga«, sagt Weinwurm. Die Mittel flossen in die Infrastruktur des Werks Hallein und das Linzer Engineering Center. Weitere 28 Millionen sind für den Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur und die Nutzung von Ammoniak geplant. Bosch treibt diese Technologien für den weltweiten Einsatz voran – u. a. bei Elektrolyse-Stacks zur Wasserstoffherstellung, Brennstoffzellen-Antrieben in Fahrzeugen, wasserstofftauglichen Industriekesseln, Komponenten für Wasserstoff-Tankstellen sowie einer neuen Generation von Einspritzsystemen für Großmotoren.
Österreich-Chef Weinwurm geht davon aus, dass Wasserstoff ab 2027/28 bei Schwerfahrzeugen, Schiffen sowie Industrieanwendungen, die Großmotoren erfordern, eine wichtige Rolle spielen wird. Das Unternehmen ist in vier Bereichen – Mobility, Industrial Technology, Consumer Goods und Energy & Building Technology – präsent. Diese Sektoren entwickelten sich 2023 höchst unterschiedlich. Das laufende Geschäftsjahr dürfte ähnlich herausfordernd werden, so Weinwurm: »Mit konjunkturellem Rückenwind ist nicht zu rechnen.« Im ersten Quartal 2024 lag der Umsatz der Bosch-Gruppe auf dem österreichischen Markt deutlich unter dem Vorjahresniveau.
Wankende Leuchttürme
Die wirtschaftliche Lage bilde sich zunehmend auch am Arbeitsmarkt ab, meint Stefan Stolitzka, Präsident der steirischen Industriellenvereinigung. Die exportorientierte Industrie sei besonders stark von weltwirtschaftlichen Transformationsprozessen abhängig, bestätigt der Ökonom Michael Steiner: »Diese Entwicklung geht an den großen Playern, den Industrie-Leuchttürmen nicht spurlos vorüber.«
Einige Leitbetriebe behaupten dennoch ihre Stellung: So will der Sensorspezialist ams-Osram bis 2030 knapp 600 Millionen in den Standort Premstätten investieren, 250 neue Jobs sind geplant. Ende Juni eröffnet der Chiphersteller NXP in Gratkorn ein neues Hightech-Kompetenzzentrum mit 250 Arbeitsplätzen.
Bild: Tanja Kienegger Geschäftsführerin von Siemens Mobility Österreich, sprach zuletzt von einem »absoluten Rekordjahr« und kündigte weitere Investitionen an: »Unsere Werke platzen aus allen Nähten.«
AT&S sucht ebenfalls – so paradox es klingt – trotz des Stellenabbaus weiter Personal. Für die beiden in Aufbau befindlichen Werke in Leoben und Kulim benötigt das Unternehmen höher qualifizierte Fachkräfte, die in der sensiblen Herstellung von sogenannten Substraten, kleinsten Leiterplatten für Computerchips, eingesetzt werden können. Auch von Magna gibt es ein Lichtsignal: Volkswagen lässt zwei Modelle für die US-Elektromarke Scout von Magna entwickeln. Bauen will der VW-Konzern den neuen SUV und Pick-up jedoch selbst – in den USA.