Deutschland ist zwar in der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ein europäisches Schlusslicht, jedoch im Bereich künstlicher Intelligenz gibt es ein paar spannende Entwicklungen. Ein Kommentar von Christian Rupp.
In der Landesverwaltung von Baden-Württemberg (F13), Freien Hansestadt Hamburg (LLMoin), in der Landeshauptstadt Müchen (MUCgpt) oder der Stadt Braunschweig werden Sprachmodelle als Textassistenten mit Zusammenfassungsfunktion oder Rechercheassistent (Kabinettsvorlage) und Fließtextgernerierung (Vermerkomat) eingesetzt. Am berühmtesten ist wohl F13 vom Heidelberger Unternehmen Aleph Alpha, welches neben Mistral AI aus Frankreich, zu den Hoffnungsträgern der europäischen KI-Landschaft zählt und kürzlich mit einer Fördersumme von knapp 500 Millionen Euro aus Baden-Württemberg bedacht wurde. Der Name F13 steht übrigens für die dreizehnte Funktionstaste, die es an Rechnern ja noch nicht gibt.
Auch die GovTech Szene ist Dank des GovTech Campus Deutschland, welcher in Berlin und anderen Standorten ein riesiges Zentrum für KI geschafften hat, welches auch die Lernwelt der Digitalakademie des Bundes beinhaltet, sehr aktiv. Kürzlich hat auch der Salzburger Landeshauptmann Haslauer das Gebäude besichtigt und sich für eine Partnerschaft interessiert. Die Palette reicht von Summ AI für barrierefreie Webseiten (bereits in einigen hundert Gemeinden/Städten haben das KI-Tool für leichte Sprache im Einsatz) und Aiconix ,transkribiert und untertitelt audiovisuelle Inhalte und Live-Streamings auch für den Österreichischen Rundfunk (ORF), über Convaise, KI für elektronische Formulare, und GovRadar, KI für Auschreibungserstellung, bis zu Little Bird (KI für Kindergartenvergabe) und Polyteia (KI Datenplattform), um nur einige zu nennen. Der gemeinnützige Verein GovTech Campus Deutschland würde übrigens vom BMI als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland mit zahlreichen Bundesländern gegründet und finanziert.
AVASAG steht für Avatar-basierter Sprachassistent zur automatisierten Gebärdenübersetzung. In dem KI-Projekt wird eine Übersetzungslösung für deutschen Text in Deutsche Gebärdensprache entwickelt. BIGEKO steht für Bidirektionale Gebärdensprach-Kommunikation per KI-basierter Übersetzung von Text und Gebärdensprache der Uni Augsburg. Der KGA-Baukasten (Kommunaler Gebärdensprachen Avatar) ermöglicht die Erstellung von Gebärdensprach-Videos mit Avatar zur barrierefreien Ausgestaltung von kommunalen Webseiten ohne eigene Expertise in Deutscher Gebärdensprache (DGS).
„Frida“ lautet die Abkürzung für die „Frankfurter Regelbasierte Intelligente Dokumentenerstellungs-Assistenz“ in elektronisch geführten Verfahren zu Verkehrsordnungswidrigkeiten. Die Software kann relevante Daten aus Akten herauslesen und Entwürfe von Protokollen, Urteilen und Beschlüssen erstellen. Mit „FraUKe“, kurz für Frankfurter Urteils Konfigurator Elektronisch, gibt es zudem am Amtsgericht Frankfurt am Main das bundesweit erste Richterassistenztool, bei dem KI bei der Urteilfindung hilft. FraUKe unterstützt bei Massenverfahren, etwa zum Thema Fluggastrechte. Ebenfalls zur Bewältigung von besonders umfangreichen Verfahren wurde beim Landgericht Frankfurt die Nutzung des intelligenten Strukturierungs- und Durchsuchungstools des Anbieters Codefy getestet. „OLGA“, der IBM KI-Massenverfahrensassistent, unterstütz das Oberlandesgericht Stuttgart bei der Fallbearbeitung in Dieselabgasverfahren.
Aber auch in vielen anderen Verwaltungsbereichen kommt KI zum Einsatz:
Das System „WasteAnt“ in Bremen ist in der Lage, den Abfallstrom kontinuierlich auf Störstoffe zu überprüfen und kann auf diese Weise Meldung über die Qualität einer Abfalllieferung geben. Je weniger Fehlstoffe sich im Abfall befinden, desto geringer das Risiko von Störungen, die zu hohen Wartungskosten sowie einer geringeren Auslastung der Entsorgungsanlage führen. Ähnlich funktioniert „KI-Waste“, ein Forschungsprojekt des Know-Centers in Graz.
Seit Frühjahr 2023 werden in Barleben, Sachsen-Anhalt, Bilddaten der Streckenaufzeichnung von Kommunalfahrzeugen von einem Algorithmus auf Schäden an der Straßenoberfläche hin analysiert und automatisch 15 Schadensklassen geordnet. Auch in Menden (NRW) werden die Müllfahrzeuge mit KI ausgestattet.
Das Stadtarchiv Heilbronn nutzt seit 2023 das KI-Verfahren DeepVA von Chainless zur automatisierten Verschlagwortung von Fotos, eine Aufgabe, die manuell nicht mehr leistbar ist.
In der Dokumenten- beziehungsweise Postbearbeitung ist die Stadt Bergheim mit KI unterwegs. Dort digitalisiert der zentrale Posteingang physische Briefpost und Faxe. Eine KI wertet die Dokumente dann zusammen mit zentral eingehenden E-Mails aus, um sie automatisiert zu beantworten oder den richtigen Ämtern weiterzuleiten. Zu den vollautomatisierbaren Prozessen gehören beispielsweise die Beantwortung von einfachen Anfragen oder Stammdatenänderungen.
Der Katastrophenschutz macht sich ebenfalls KI zunutze. In Bayern im Landkreis Landshut sowie in den Kommunen Veitsbronn und Adelsdorf und in Baden-Württemberg laufen Frühwarnsysteme des Anbieters Spekter für Unwetter und Hochwasser. Algorithmen und Sensoren vor Ort messen Niederschlagsmuster und Abflussverhalten von Flüssen und Kanälen in Echtzeit. Sobald kritische Werte erreicht werden, löst das Frühwarnsystem sofort Alarm aus und informiert Rettungskräfte, Bürgerinnen und Bürger über die drohende Gefahr von Rückstau, Überflutung und Sturzflut.
Auch die Österreicherin und Professorin Maria Wimmer, Uni Koblenz, testet gerade KI im Projekt „Smarter Weinberg“ in den steilsten Hangweinlagen in Europa. Ebenso spannend die Ausgründung vom Frauenhofer Institut, ConstellR beschäftigt sich mit KI und einem eigenen Satelliten um Daten aus dem All für den zielgerichteten Wassereinsatz in der Landwirtschaft zu nutzen.
Weiter geht es mit KI-gestützte Luftbildauswertung nach Drohnenbeflug von Baumkronen (BaKIM Stadt Bamberg in Bayern), KI-Überwachung von Spielplätzen und Schulhöfen in Gelsenkirchen (NRW), KI-gesteuerte Ampelanlage in Hamm (NRW) für Fahrräder, KI Brandschutz für den Aachner Dom (NRW), und so weiter und so fort.
Viele Menschen denken beim Begriff KI an Roboter. Als erste Kommune in Deutschland setzt die Stadt Ludwigsburg in ihrem Bürgerbüro einen sprechenden Serviceroboter ein. Der digitale Helfer mit dem Namen „L2B2“ begrüßt im Eingangsbereich des Bürgerbüros, fährt selbstständig über die Flure und begleitet die Besucherinnen und Besucher zu den entsprechenden Abteilungen. Im Ruhrgebiet werden soziale Roboter wie die „RuhrBots“ in öffentlichen Einrichtungen getestet.
Über den Autor
Christian Rupp ist ehemaliger Exekutivsekretär des Bundes für E-Government im Bundeskanzleramt und Digitalstratege (CDO) der Wirtschaftskammer in Österreich. Er ist einer der erfahrensten Experten in Europa für die digitale Transformation. Derzeit ist er unter anderem Chief Digital Officer (CDO) bei Prosoz Herten und gehört dem Vorstand im Nationalen E-Government Kompetenzzentrum (NEGZ) in Berlin an, sowie dem wissenschaftlichen Fachbeirat von fit4internet in Österreich.
Der Universitätslektor, Gastdozent und internationaler Vortragende für Digitalisierung ist der erste österreichische Absolvent und Ambassador für den EU-geförderten KI-Masterstudiengang „International Master in AI for public service“ (AI4Gov) der Universidad Politecnica di Madrid und Politecnico di Milano in Kooperation mit der Friedrich-Alexander-Universität und Tallinn University of Technology.