Mittwoch, Juli 17, 2024
Lehren aus der Signa-Pleite
Fotos: iStock, Rita Newman, ZDF/Jana Kay, AKV Europa

Mit der Insolvenz der Signa Holding wurde im Benko-Imperium ein Domino der Insolvenzen ausgelöst. Ein verschachteltes Firmennetzwerk, die Heldensaga vom erfolgreichen Unternehmer und beste Kontakte in die Politik sorgten dafür, dass die Missstände nicht bereits früher zum Thema wurden. Welche Lehren ziehen wir aus dem Fall Signa? Report(+) hat drei Expert*innen um Ihre Einschätzung gebeten.


1. Hätte die Großinsolvenz verhindert werden können?

"Das ist vor allem eine Frage des Zeitpunkts. Nach über zehn Jahren aggressivem Expansionskurs bei gleichzeitig hohen Gewinnausschüttungen hatte die Signa-Gruppe quasi keine Reserven mehr, um im geänderten Marktumfeld mit höheren Zinsen zu überleben. Hinzu kommt, dass die gezielte Intransparenzstrategie der Signa-Manager es in der Krise besonders schwierig gemacht hat, neue Investor*innen mit frischem Kapital zu finden. Mit anderen Worten: Das Geschäftsmodell der Signa-Gruppe war spätestens seit Mitte der 2010er-Jahre nicht nachhaltig und eine existenzielle Krise nur noch eine Frage der Zeit."

Leonhard Dobusch, Professor für BWL an der Universität Innsbruck und wissenschaftlicher Leiter des Momentum Instituts – Think Tank der Vielen


"Meines Erachtens ja! Die Ursachen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – sind aus meiner Sicht durchaus vielschichtig: Zunächst ist die Null- bzw. Negativzins-Politik der EZB zu nennen, ohne die es die fiebrige Vermögenspreisinflation der letzten Jahre wohl nicht gegeben hätte. Das billige Geld hat kein Investment besser gemacht, aber massiven Druck auf Investoren ausgeübt, renditeträchtige Investments zu finden. Dieser Druck führte dann dazu, dass Investments nicht mehr mit der nötigen Sorgfalt geprüft wurden (Due Diligence). Aus den Bilanzen der Signa Prime und Signa Development soll sich ja herauslesen lassen, dass schon einige Jahre die Kosten nicht mehr verdient wurden und die Gewinne ausschließlich auf Aufwertungen beruhten, nichtsdestotrotz aber munter »Gewinne« ausgeschüttet wurden."

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Alfred Nemetschke, Nemetschke Huber Koloseus Rechtsanwälte


"Grundsätzlich kann nicht jede Insolvenz vermieden werden. Für uns als Gläubigerschutzverband ist jedoch wesentlich, dass diese Verfahren gesetzmäßig ablaufen und die Gläubiger nicht durch nachteilige Rechtsgeschäfte geschädigt werden. Bei einem Unternehmen wie Signa, das auf rasantes Wachstum konzentriert war, bestand immer ein hoher Liquidationsbedarf. Die zentrale und weiterhin offene Frage ist jedoch, ob bzw. wann von Seiten der Geschäftsleitung dieser Paradigmenwechsel hätte erkannt werden müssen und ob allen Gläubigern die gleichen vollständigen Informationen zur wirtschaftlichen Lage des Unternehmens geboten wurden. Eine Insolvenz wäre nur vermeidbar gewesen, wenn der Signa-Konzern sein Geschäftsmodell grundsätzlich geändert hätte."

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Cornelia Wesenauer, Teamleiterin Insolvenz bei AKV Europa – Alpenländischer Kreditorenverband

2. Braucht es strengere Gesetze für Firmengeflechte?

"Neben einer Angleichung der Regeln für AGs und GmbHs, wann sie als »große Kapitalgesellschaft« klassifiziert werden, braucht es jedenfalls strengere Strafen für gezielte und wiederholte Verletzung von Transparenzpflichten, wie zum Beispiel der Offenlegung von Jahresabschlüssen. Jenseits dieser kleineren Nachschärfungen braucht es eine Diskussion über strengere Transparenzregeln für große Unternehmensgruppen, die sich von öffentlichen Kapitalmärkten fernhalten – ganz besonders im Bereich von Immobilienmärkten und ihren immer wiederkehrenden Boom-Bust-Zyklen." Leonhard Dobusch

"Ich bin grundsätzlich kein großer Freund von Anlassgesetzgebung, aber dass es möglich war, die Konzernbilanzierungspflicht auszuhebeln, gibt doch zu denken. Ob höhere Strafen wirklich helfen, wage ich zu bezweifeln. Im Übrigen kann jeder ins Firmenbuch schauen und feststellen, ob die Bilanzen fristgerecht vorgelegt wurden und wenn nicht, seine Schlüsse daraus ziehen. Grundsätzlich ist es aber durchaus überlegenswert, Konsolidierungspflichten nicht mehr von der Größe einer Konzernmuttergesellschaft abhängig zu machen. Zu hinterfragen ist auch die Dreimonatsfrist für Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung sowie die Einführung eines Konzerninsolvenzrechts in Erwägung zu ziehen." Alfred Nemetschke

"Arbeitsteilige Leistungserbringungen und Gegenverrechnungen sind innerhalb von Konzernstrukturen nicht ungewöhnlich. Bei einem Konzerngeflecht mit über 1.000 Gesellschaften wie im Fall von Signa ist die Nachvollziehbarkeit für Außenstehende jedoch herausfordernd. Durch die nicht zeitgerechte Vorlage von Jahresabschlüssen im Firmenbuch und mangels einer (konsolidierten) Bilanz für den gesamten Signa-Konzern war eine wünschenswerte Transparenz nicht gegeben. Das Justizministerium strebt deshalb an, den Strafrahmen bei Verstoß gegen die Offenlegungspflichten von Jahresabschlüssen zu erhöhen. Im Hinblick auf die Wahl der Gesellschaftsform als »GmbH« sollen in Zukunft Unternehmen nicht zu Unrecht von den geringen Strafrahmen für kleine Unternehmen profitieren, sodass Zusammenrechnungen nach §221 Abs 4a UGB auch für solche Mutterunternehmen angeordnet werden können, die keine Aktiengesellschaften sind, sondern GmbHs. Der AKV befürwortet diese Bestrebungen." Cornelia Wesenauer


3. Geht die Pleite auch zu Lasten der Steuerzahler*innen?

"Die Folgen einer Insolvenz in der Größenordnung der Signa-Gruppe lassen sich grob in drei Bereiche einordnen: 1. Unmittelbare Kosten für Mitarbeiter*innen, Gläubiger*innen und Investor*innen. 2. Mittelbare Kosten durch Steuerausfälle, Umschulungskosten und Weitergabe von Kosten durch unmittelbar betroffene Unternehmen wie zum Beispiel große Versicherungen an ihre Kund*innen. 3. Mögliche makroökonomische Konsequenzen durch verstärkten Druck auf Immobilienpreise. Zumindest ein Teil der über die Jahre ausgeschütteten oder aus dem Signa-Geflecht abgeflossenen Gelder basierten auf überhöhten Mieten. Mieten, die letztlich auch die Kund*innen der Warenhäuser und staatliche Hilfszahlungen in Deutschland und Österreich wesentlich mitfinanziert hatten." Leonhard Dobusch

"Die direkten Auswirkungen sind für Steuerzahler*innen meines Erachtens überschaubar, die indirekten – man denke nur an die Auswirkungen auf den Finanzplatz und Immobilienmarkt – durchaus gravierend. Ob auch strafrechtlich relevante Verfehlungen die Insolvenz (mit-)verursacht haben, wird von den Insolvenzverwaltern und der zuständigen Staatsanwaltschaft aufzuklären sein. Anzeichen dafür stehen aber doch recht deutlich an die Wand geschrieben. Und die Rolle des faktischen Geschäftsführers hätte auch schon viel früher hinterfragt werden können." Alfred Nemetschke 

"Jede Pleite geht auch zu Lasten der Steuerzahler*innen, weil diese Auswirkungen auf die gesamte Marktlage und Volkswirtschaft hat, auch wenn die angemeldeten öffentlichen Abgaben im Verhältnis zu den sonstigen Verbindlichkeiten in den Signa-Insolvenzen geringer sind. Auch ein Ausfall bei den sonstigen Gläubigern beeinträchtigt deren Geschäftsergebnisse, sodass geringere Steuern anfallen oder über Verlustvorträge Steuerzahlungen überhaupt vermieden werden können." Cornelia Wesenauer

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