Sonntag, Dezember 22, 2024
Telekom-Austria-General Hannes Ametsreiter arbeitet an einem Festnetz, das wieder Gewinne bringt, und hat mit Finanzierungsfragen, Personalnöten und immer neuen Strategiewechseln zu kämpfen.Die Telekom Austria stellt ihr Netz komplett auf IP um. Müssen die Kunden nun Angst vor einer geringeren Sprachqualität in der Festnetztelefonie haben? Fix ist: Es soll alles einfacher werden.

Saftige Wiesen, grasende Kühe. Ein rüstiges Bergsteigerpaar erklimmt glückstrahlend den Gipfel. Im Hintergrund werden die Glasfaserstränge ausgerollt. Österreich ist auf dem Weg in die Breitbandzukunft. Eine Milliarde Euro wird der heimische Providerprimus Telekom Austria in den nächsten Jahren in sein Glasfasernetz investieren, heißt es in dem Werbespot. Man hat dafür auch einen Namen gefunden: »GigaNetz« soll es heißen, Österreichs größtes Breitbandnetz mit wahrhaft gigantischem Potenzial.

Der ungebremste Hunger nach größeren Leitungskapazitäten ist überall zu beo­bachten, nicht nur in Österreich. Während sich der Datenverkehr jährlich verdoppelt, umfasst die Größe des weltweiten digitalen Universums bereits 500 Mrd. Gigabyte – eine Zahl, die selbst in der Astronomie kaum begreifbar ist. Jede Sekunde erweitern 4.000 neue Webadressen den globalen Website-Dschungel. Die Technologieanalysten von Artur D. Little sehen für 2015 einen Bandbreitenbedarf von mächtigen 50 Mbit/s im Download und 22 Mbit/s im Upload in den Haushalten. Und das ist noch konservativ geschätzt. Einzelne Provider wie die Wienstrom-Unternehmung blizznet bieten bereits 100 Mbit/s synchron in beide Richtungen. Zum Vergleich: Damit ließe sich eine DVD in Spielfilmlänge in sechs Minuten aus dem Netz ziehen. Die enorme Saugkraft ist aber nicht nur für Produktpiraten interessant: Die Netze der nächsten Generation werden ganz legal Breitbanddienste wie Onlinevideotheken, IPTV, Speicherservices und Videoplattformen in High-Definition-Qualität bedienen. Die Pixel-Ära ist vorbei. Man darf sich jetzt auf gestochen scharfe Bilder freuen. Und die brauchen fette Leitungen.

Neben kunstvoll gewählten Marketingausdrücken wie dem »GigaNetz« der TA geistert derzeit ein weiteres Kürzel durch die Gänge der Telekommunikationsausrüster. Es wird als Stein der Weisen gesehen, der das gebeutelte Festnetzgeschäft mit seinen sinkenden Umsätzen nun wieder vergolden kann. Es ist das »NGN«, das »Next Generation Network«. Doch was ist das eigentlich? Während bislang die Sprachtelefonie noch in einem separaten Netz in den Providerinfrastrukturen abgewickelt wird, läuft der Transport von Video und Daten bereits auf Basis des Internet-Protokolls. Ein wirklich einheitliches IP-Netz wird künftig aber auch die Sprachdienste servicieren. Die Einheitsplattform soll Kosten einsparen und die Produktentwicklung vereinfachen. Gerade die in heiß umkämpften Märkten lebenswichtige »time to market« wird durch den leistungsfähigen Untergrund beschleunigt. Das Netz der Zukunft wird an jeder Stelle, bis zum Endkunden in den Haushalten mit IP werken, und das auf Breitbandbasis.

Die regulatorische Rahmenbedingungen müssen abgeklärt sein, sodass eine Wirtschaftlichkeitsrechung bezüglich Rollout von Next Generation Access angestellt werden kann, meint Walter Goldenits, Technikvorstand der Telekom.Finanzierung mit Fragezeichen
Trotz der blendenden Aussichten und der erwarteten Effizienzsteigerung im Netz ist der Infrastrukturausbau für die Telekom ein mehr als heißes Thema. Auf einem Markt, in dem der ehemalige Monopolist in seiner Produktpolitik aufgrund der Regulierung nicht frei agieren konnte, durften nie Gewinne auf Teufel komm raus gescheffelt werden. Solche Rücklagen fehlen nun, und jeder investierte Euro muss auch bei den Aktionären argumentiert werden. Eine Garantie für den prognostizierten Breitbandbedarf gibt es nicht. Wohl deshalb geht man beim rot-weiß-roten Provider den eingeschlagenen Weg erstmal Schritt für Schritt. Da fließt die beworbene Investitionsmilliarde bei näherer Betrachtung zunächst nur zu einem Teil in den Glasfaserausbau. »Es wird keinen Glasfaserrollout österreichweit geben«, bestätigt Walter Goldenits, Technikvorstand der Telekom. »Unser Ziel ist, eine Infrastruktur zu errichten, die auch genutzt wird. Die Investitionen müssen sich klarerweise rechnen.« Die schnelle Glasfaser wird aktuell in Villach, Klagenfurt und dem 15. und 19. Bezirk in Wien ausgebaut. In Kärnten wird der Ausbau vom Land gefördert, und in Wien rechnet sich der Technologiesprung aufgrund der hohen Dichte der Haushalte sowieso.

Doch muss es nicht immer Glas sein – auch aus dem mittlerweile 125 Jahre alten Kupfernetz kann mit modernstem Equipment noch einiges herausgeholt werden. Dazu ist lediglich die Umrüstung der Technik in den Wählämtern der Telekom nötig. Genau diese Netzumstellung bildet in diesen Wochen und Monaten den größten Anteil an der Aufbauarbeit des NGN. Sind die Vermittlungsstellen erst einmal entsprechend ausgerüstet, wird die Telefonie für 2,3 Millionen Festnetzkunden endgültig in der IP-Wolke angelangt sein. Und das Beste daran: Die Telefone in Haushalten müssen nicht getauscht werden. Der Technikwechsel passiert rein im Hintergrund.

„Wir können garantieren, dass die Qualität der Telefonie nicht leiden wird“, verspricht Martin Fluch, Leiter des Programms Next Generation Network Voice.Doch Sprachtelefonie und IP – geht das denn gut? Haben nicht viele bereits in der Vergangenheit ihre Erfahrungen mit der miesen Sprachqualität in der Internettelefonie gemacht? »Wir können garantieren, dass die Qualität der Telefonie nicht leiden wird«, verspricht Martin Fluch, Leiter des Programms Next Generation Network Voice. Schließlich gäbe es zu den prinzipiell wilden Voice-Verbindungen der Vergangenheit im Internet einen signifikanten Unterschied: Die Sprachdienste innerhalb des IP-Netzes der TA werden stets  sogenannte Ende-zu-Ende-Services sein. Störende Dritte, auf deren Leitungsqualität man keinen Einfluss hat, spielen bei der Zustellung eines Anrufs meist keine Rolle. Und sollte ein Anruf auch einmal über die Landesgrenzen hinaus gehen, wird man sich auch in Zukunft auf die Qualitätssicherung bei den jeweiligen Partnerprovidern verlassen können. Entsprechende Qualitätslevels waren bislang im Internet kein Thema, sollen aber auf das Internet der nächsten Generation aufgesetzt werden.

Strategien im Umbau
Der Trend zu einem einzigen Netz spiegelt sich aktuell auch in der Diskussion um die strategische Aufstellung des gesamten Konzerns, der Telekom Austria Gruppe, wider. Nach dem erfolgreichen Aufbau des Mobilfunkmarktes in den vergangenen Jahren wird noch heuer die mobilkom wieder mit ihrer Festnetzschwester Telekom Aus­tria TA AG fusionieren. Die Rückbesinnung auf ein einheitliches Auftreten in Funk- und Festnetzen ist europaweit zu beobachten. Auch die Deutsche Telekom etwa hat bereits angekündigt, ihre Sparten wieder verheiraten zu wollen. TA-Konzernchef Hannes Ametsreiter hätte jedenfalls die richtigen Produkte bereits am Markt platziert. Das Kombiangebot mit Fest-, Mobil- und Datenleitung ist bei den Kunden beliebt und bei der Konkurrenz gefürchtet. Mit dem Bundle konnte nun erstmals überhaupt der Rückgang der Festnetzabmeldungen gestoppt werden. Der Grund des Erfolges des Kombipakets ist nicht nur sein Preis. »Die Internetanwender wollen zwei Dinge: Technologie muss einfach zu bedienen sein und funktionieren. Sie wollen sich nicht mit Technologie herumschlagen, sondern sich darauf verlassen können, dass sie funktioniert«, weiß Kurt Tutschku, Stiftungsprofessor für Future Communication der Telekom Austria am Institut für Distributed and Multimedia Systems der Universität Wien. »Eine moderne Kommunikationsinfrastruktur ist die unerlässliche Basis der Wissensgesellschaft«, so Tutschku. Und: Das zukünftige Internet werde von den Benutzern zunehmend als ein effizientes Netzwerk von Anwendungen, Inhalten und Funktionen betrachtet.

Die Vision: Die Technologien werden in den Hintergrund rücken. Die Konsumenten werden wieder Konsumenten sein dürfen. Und der Nutzwert endlich wieder die Nutzung bestimmen. Doch auch dafür gibt es keine Garantie.

Mehr zum Thema NGN im Interview mit Harald Himmer, Alcatel-Lucent, hier.

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