Sonntag, Juni 30, 2024
»Der kritische Faktor ist der Fachkräftemangel«
Hans Unterdorfer, zuvor CEO der Tiroler Sparkasse, wechselte im September 2022 in den Vorstand der Erste Bank Oesterreich. (Credit: Erste Bank)

An der Kreditnachfrage gemessen, ist die Stimmungslage in Österreich noch erstaunlich optimistisch. Die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung bieten für KMU gute Wachstumschancen, meint Hans Unterdorfer, Firmenkundenvorstand der Erste Bank Oesterreich, im Report(+)PLUS-Interview.

Die Unternehmen hatten und haben in den letzten Jahren mit vielfältigen Krisen und Herausforderungen zu kämpfen. Trotzdem ist die Stimmungslage überwiegend positiv. Wie lässt sich das erklären?

Hans Unterdorfer: Österreich hat starke KMU, die sehr innovativ und resilient sind. Viele sind familiengeführte Unternehmen und haben einen starken Kern. Die Kreditnachfrage ist eines der Stimmungsbarometer, hier sehen wir eine positive Entwicklung. Wir sind häufig bei Kundenterminen, wo die Unternehmer*innen über die großen Herausforderungen und Krisen sprechen. Fragt man dann, wie es im eigenen Betrieb läuft, kommt sehr oft die Antwort: »Eh nicht so schlecht.« Die Unternehmen erweisen sich als extrem flexibel und stehen in Österreich nach wie vor sehr solide da. 

Ein Problem, das nahezu von allen Unternehmen, unabhängig von der Branche, genannt wird, ist der Arbeitskräftemangel. Ist das fehlende Personal eine Wachstumsbremse? Und was bedeutet das für den Wirtschaftsstandort Österreich?

Unterdorfer: Wir hören sehr oft, dass die Unternehmen mehr machen könnten, wenn sie die nötigen Arbeitskräfte zur Verfügung hätten. Der kritische Faktor ist aber der Fachkräftemangel: Unternehmer*innen können sich bis zu einem gewissen Grad mit neuen Technologien und Digitalisierung helfen und Prozesse optimieren. Aber wenn es ans Kerngeschäft geht, braucht z. B. ein Elektroinstallationsbetrieb ausgebildete Fachkräfte, die installieren können. Der Arbeitskräftemangel ist ein großes Thema, aber der Standortfaktor sind tatsächlich die fehlenden Fachkräfte. Diese demografische Entwicklung beschäftigt ganz Europa. Ich denke, das Problem ist nur mit noch mehr Technologisierung und einem offenen Arbeitsmarkt zu lösen.

Die Oesterreichische Nationalbank beobachtet seit Mitte 2022 eine rückläufige Entwicklung bei Investitionskrediten. Wie sieht es in Ihrem Haus aus?

Unterdorfer: Die Erste Bank verzeichnet im KMU-Bereich ein Wachstum von 3,2 Prozent. Das ist nicht mehr der große Anstieg wie 2022, als auch die gesamte Konjunktur anzog. Die Investitionen gehen mit dem Wirtschaftswachstum Hand in Hand. Gerade im Energiebereich steigen jetzt aber viele Unternehmen auf erneuerbare Energieformen um, unabhängig von einer etwas geringeren Auftragslage. Eine Photovoltaikanlage auf einer Produktionshalle ist eine Zukunftsinvestition, die sich einfach rechnet. 

Ist es für Unternehmen schwieriger, an Kredite zu kommen?

Unterdorfer: Wir haben weder unsere Vergaberichtlinien oder unseren Ansatz geändert und sind weiterhin offen für Business. Wenn es einen Rückgang gibt, ist er der Konjunkturentwicklung geschuldet, aber nicht einem veränderten Verhalten gegenüber unseren Kund*innen. 

Welche Rolle spielen bei der Kreditvergabe Nachhaltigkeitskriterien?

Unterdorfer: Eine große Rolle, und zwar aufgrund von zwei Aspekten: Wegen der hohen Energiepreise achten die Unternehmer*innen mehr auf Energieeffizienz. In Österreich wurden bereits 50.000 Wärmepumpen installiert, da hat es einen ordentlichen Schub gegeben. Für uns ist Nachhaltigkeit aber ebenfalls ein wichtiges Thema, denn die Erste Bank hat sich selbst strenge Ziele gesetzt – insofern ist es ein idealer Fall von »Angebot trifft Nachfrage«. 

Ab 2025 wird die Nachhaltigkeitsberichterstattung zum zentralen Thema. Wie können sich Unternehmen darauf vorbereiten?

Unterdorfer: In Österreich werden 2025 rund 2.000 Unternehmen von der Berichtspflicht betroffen sein. Im Grunde geht es darum, schon jetzt die Informations- und Datenlage herzustellen. Wir führen mit Unternehmen seit längerer Zeit ESG-Dialoge, in denen wir ganz gezielt auf dieses Thema eingehen. Wir sehen das auch als Möglichkeit, mit unseren  Kund*innen in einen aktiven Austausch zu treten und sie zu unterstützen. Zunächst steht das Sammeln und Strukturieren der Daten im Vordergrund. Mittelfristig wird Nachhaltigkeit ein gutes Argument für die Positionierung der Unternehmen werden.

Wie gut sehen Sie die österreichischen Unternehmen diesbezüglich aufgestellt?

Unterdorfer: Es ist eine große Herausforderung, das sieht man deutlich. Das Bewusstsein ist da und die Unternehmen haben einen guten Überblick über ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten, aber sie kämpfen noch mit der Datenstruktur und der richtigen Herangehensweise. Wir arbeiten eng mit der Oesterreichischen Kontrollbank zusammen, die den »ESG Data Hub« ins Leben gerufen hat, wo Unternehmen ihre Daten strukturiert anlegen können. Das ist sicher eine gute Möglichkeit für den Einstieg. Wir sind Partner der ÖKB, weil sie als Garantiebank sehr stark in die grüne Transformation eingebunden ist. 

Welche Instrumente bieten Sie für ESG-Finanzierungen an?

Unterdorfer: Es ist unsere Verantwortung als Bank, hier voranzugehen. Dieser Bereich bietet aber auch Riesenchancen für die Unternehmen. Für die Transformation im Energiebereich gibt es gute Investitionsmöglichkeiten, für die u. a. die Europäische Investitionsbank hohe Finanzierungen zur Verfügung stellt. In den nächsten zehn Jahren werden allein für den Netzausbau mehr als 15 Millionen Euro benötigt. Darin steckt viel Potenzial gerade für KMU, die zuliefern und Serviceleistungen in diesem Bereich anbieten. Der erste Anstoß war für einige Unternehmen zunächst der hohe Energiepreis. Durch die Beschäftigung mit dem Thema gehen viele aber gleich mehrere Schritte weiter: Zur neuen Produktionsstätte kommt dann z. B. eine Photovoltaikanlage, ein Wärmenutzungs- und Abwassersystem und ein Mobilitätskonzept für die Mitarbeiter*innen. 

Mit George Business stehen seit dem Frühjahr eine ganze Reihe von digitalen Services den Firmenkund*innen zur Verfügung. Wie ist die Resonanz?

Unterdorfer: Mittlerweile stehen wir bei 12.000 Unternehmen mit 63.000 User*innen. Nächste Entwicklungsschritte sind in Planung. Ein Beispiel: Mit dem Schweizer Unternehmen Yokoy, das KI-basierte Abrechnungssysteme entwickelt, haben wir eine Partnerschaft geschlossen. Das ist wirklich eine tolle Sache und vor allem für Unternehmen mit intensiver Reisetätigkeit interessant. Der Mitarbeiter macht ein Foto von der Bahnkarte, das wird von der KI sofort gecheckt und automatisch verbucht. Ich erlebe immer zwei Reaktionen – zuerst Erstaunen, dass es so etwas gibt, und dann großes Interesse am Leistungsumfang. George Business bietet mehr als Zahlungsverkehr, es ist ein Prozesssupport für die Unternehmen. 

FinTechs galten früher als mögliche Konkurrenten der etablierten Banken. Sind sie inzwischen Partner auf Augenhöhe?

Unterdorfer: Wir bringen das Beste aus zwei Welten zusammen. Yokoy ist einer der Spezialisten unter den FinTechs, die echten Mehrwert stiften. Wir sind selbst ein digitales Unternehmen mit der Kernkompetenz Banking. Ein neuer Partner muss zu unserem Universum passen. 

Welche Auswirkungen hat die zunehmende Digitalisierung auf die Bankenlandschaft?

Unterdorfer: Digitalisierung ist in der Gesellschaft angekommen. Vielen Unternehmen ist das Thema wichtig. 94 Prozent der österreichischen Haushalte haben einen Internetanschluss, 57 Prozent kaufen online ein. 67 Prozent nutzen Social Media oder andere Kanäle für Kommunikation. Wir setzen stark auf Digitalisierung – qualitative Beratung bieten wir aber in der Filiale ebenso wie persönliche Beratung für Unternehmer*innen. Bei Pensionsplanung, Wohnungskauf oder einer geplanten unternehmerischen Investition ist die persönliche Beratung unerlässlich. Eines ist sicher: Die Digitalisierung wird weiter voranschreiten. Wie die Bankfiliale der Zukunft aussehen wird, wissen wir nicht.

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