Donnerstag, September 26, 2024
Die große Umfrage: Herbstlohnrunde
Am 25.09. hat die aktuelle Herbstlohnrunde mit der Metallindustrie begonnnen. Deren Gewerkschafter fordern 11,6 Prozent mehr Lohn und Gehalt - als Ausgleich für die sinkende Kaufkraft. (Credit: iStock)

Die aktuelle Herbstlohnrunde ist die schwierigste seit langem. Die hohe Inflation, steigende Zinsen, die schlechte Konjunkturprognose und nach wie vor hohe Energiekosten bieten divergente Argumente für Arbeitgeber*innen wie Arbeitnehmer*innen. Report(+)PLUS hat drei Experten befragt, mit welchen Erwartungen sie die Verhandlungen sehen.

Wie groß ist heuer der Spielraum in den Lohn- und Gehaltsverhandlungen?

Christian Knill
Obmann des Fachverbands Metalltechnische Industrie

Die Metalltechnische Industrie befindet sich derzeit in einer Rezession. Die Produktion sinkt, die Auftragseingänge sind stark zurückgegangen und jedes dritte Unternehmen in unserer Branche erwartet heuer ein negatives Betriebsergebnis. Wir erwirtschaften acht von zehn Euro im Export. Durch die im Vergleich zu anderen Euroländern höhere Inflation in Österreich und die vergleichsweise hohen Lohnkosten verlieren wir immer mehr Aufträge auf den Weltmärkten. Das wirkt sich mittelfristig sehr negativ auf die Position der Unternehmen aus. Diese schlechten Voraussetzungen nehmen uns für die Lohnverhandlungen jeglichen Spielraum.

Thomas Leoni
Fakultätsleiter Wirtschaft, FH Wiener Neustadt

Angesichts der wirtschaftlichen Situation sind die Rahmenbedingungen für die heurigen Lohnverhandlungen äußerst schwierig. Das spürt besonders die Industrie, wo die Auftragslage rückläufig ist und die auch im internationalen Vergleich hohe Inflation nicht in Form von höheren Preisen an die Kunden im Ausland weitergegeben werden kann. Geht es in »normalen« Jahren oft um Zehntelprozentpunkte, werden die Vorstellungen der verhandelnden Seiten heuer wohl um etliche Prozentpunkte auseinanderliegen. Das eröffnet aber auch einen gewissen Spielraum für flexible Lösungen: Beispielsweise könnte, wie von WIFO-Chef Felbermayr vorgeschlagen, ein Teil des Lohnabschlusses sofort, ein anderer Teil erst zu einem späteren Zeitpunkt ausbezahlt werden.

Josef Muchitsch
Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz


(Foto: GBH)

In allen Branchen gibt es Unternehmen, die Gewinne einfahren und denen es gut geht, und solche, denen es schlechter geht. Vor allem auf Grund der hohen Inflation, bei der die Regierung auf ganzer Linie versagt, sind die Lohnverhandlungen besonders schwierig. Es war sicher schon einmal leichter, Kollektivvertragsabschlüsse zu erreichen, aber es gibt genügend Spielräume. Die Menschen haben sich gerade in Zeiten der größten Teuerungskrise seit 75 Jahren eine faire Lohnerhöhung verdient.


Welches Gewicht hat ein Sinken der Kaufkraft?

Christian Knill: Eine hohe Kaufkraft ist aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sinnvoll, es geht um die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe ebenso wie den sozialen Frieden im Land. Aber: In dieser schwierigen Lage, in der wir uns zurzeit befinden, können das nicht die Betriebe alleine übernehmen. Wir sind nicht der erste Ansprechpartner für die Erhaltung der Kaufkraft, dafür sind die Politik und die Europäische Zentralbank zuständig.

Thomas Leoni: Ein Kaufkraftverlust wirkt sich unmittelbar vor allem auf die Konsummöglichkeiten von Haushalten mit niedrigerem Einkommen aus – dort, wo vom Einkommen nichts oder nur sehr wenig gespart werden kann. Die Auswirkungen auf Haushalte mit höheren Einkommen sind nicht so eindeutig, weil diese ihr Konsumniveau beibehalten können, indem sie ihre Sparquote reduzieren.


Thomas Leoni leitet die Fakultät Wirtschaft an der FH Wiener Neustadt. (Foto: FHWN)

Kurzfristig kann der Staat den Verlust an Kaufkraft kompensieren – das ist in den vergangenen beiden Jahren auch geschehen, weshalb sich die Haushaltseinkommen real (das heißt nach Abzug der Inflation) besser entwickelt haben als die Löhne. Steigen die Löhne langsamer als die Inflation, sind irgendwann negative Auswirkungen auf die Wirtschaftsdynamik aber unausweichlich. Die Löhne von heute beeinflussen zudem auch indirekt die Kaufkraft von morgen und übermorgen, weil sie die Höhe der Pensionen oder auch die Arbeitslosengeldansprüche mitbestimmen.

Josef Muchitsch: Ein Sinken der Kaufkraft wirkt sich katastrophal auf unsere Wirtschaft aus. Die Menschen legen ihr Geld ja nicht aufs Sparbuch, sondern kaufen Lebensmittel und bezahlen teure Strom- und Gasrechnungen. KV-Verhandlungen haben das Ziel, die Kaufkraft der Menschen zu erhalten. Das war immer gemeinsames Ziel der Sozialpartner – das muss auch so bleiben!


Wäre ein Lohnabschluss für einen längeren Zeitraum als ein Jahr sinnvoll?

Christian Knill: Wir haben heute eine völlig anders strukturierte Industrie als in den vergangenen Jahrzehnten und die Verwerfungen auf den internationalen Märkten stellen Länder und Unternehmen vor gänzlich neue Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund haben sich zuletzt auch alle wichtigen Wirtschaftsforschungsinstitutionen in Österreich dafür ausgesprochen, neue Lösungen zu suchen. Das gilt es, in den Verhandlungen zu berücksichtigen.


Christian Knill argumentiert von Seiten der Arbeitgeber. (Foto: Knill Gruppe/Kanizaj)

Thomas Leoni: Mehrjährige Lohnabschlüsse können in Krisenzeiten durchaus eine sinnvolle Option darstellen. So vereinbarten beispielsweise einige Branchen, darunter die Bauwirtschaft, im Zuge der großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 zwei- oder sogar dreijährige Abschlüsse. Das kann die Planungssicherheit der Unternehmen erhöhen und ihnen mehr Zeit für die Anpassung auf höhere Kosten einräumen.

Josef Muchitsch: Letztlich geht es darum, zusätzlich zur durchschnittlichen Inflation der letzten zwölf Monate ein paar Zehntel draufzulegen, um die Kaufkraft zu erhalten und einen Reallohnverlust zu verhindern. Es gibt viele Möglichkeiten, Lohnabschlüsse abzubilden und über unterschiedliche Durchrechnungszeiträume gute Ergebnisse für die Beschäftigten zu erzielen. Jede Gewerkschaft hat hier ihre eigenen Zugänge und Traditionen. Wir haben über 800 Kollektivverträge in diesem Land. Viele Wege können ans Ziel führen!

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