Logistik 4.0 ist auf dem Vormarsch. Viele Unternehmen scheuen jedoch noch vor einer kompletten Transformation ihres Systems zurück, erklärt Veit Kohnhauser, Geschäftsführer des Vereins Netzwerk Logistik, im Report(+)PLUS-Interview.
Welche Veränderungen erkennen Sie in der Logistikbranche?
Veit Kohnhauser: Zu beobachten ist eine zunehmende Vernetzung aller Partner in den Lieferketten. Plattformlösungen wie Transport- und Frachtbörsen wachsen. Die traditionell sehr heterogene Logistikbranche wird sich weiter in Richtung offener Logistiksysteme entwickeln müssen.
Wo liegen die Herausforderungen für eine zukunftstaugliche Logistik?
Kohnhauser: Seit der Jahrtausendwende hat die Logistik viele Krisen bewältigt, von der Finanz- bzw. Eurokrise, über den Brexit, Covid, Chipmangel bis zum Ukraine-Krieg. Jetzt geht es darum, unsere Lieferketten nachhaltiger und resilienter zu machen. Eine besondere Herausforderung besteht darin, körperlich anstrengende und monotone Tätigkeiten weiter zu automatisieren und unattraktive Arbeitsbedingungen zu reduzieren. Nur so haben wir die Chance, die notwendigen Arbeitskräfte zu finden und die Versorgungs- und Entsorgungssicherheit für Unternehmen und Menschen aufrechtzuerhalten.
Wie lässt sich Logistik 4.0 umsetzen?
Kohnhauser: Eine Schlüsselrolle kommt digitalen Technologien zu, wie Robotik, KI und digitalen Zwillingen. Künstliche Intelligenz ist aber nicht für jedes logistische Problem automatisch die richtige Lösung, oft reichen auch einfache mathematische Berechnungen oder logische Verknüpfungen. Angesichts der Unmenge an Produkt- und Lieferdaten und teils hochautomatisierten komplexen Lager- und Sortieranlagen wird aber KI zweifellos eine Schlüsseltechnologie werden.
Wie weit ist die Transformation?
Kohnhauser: Beim Tausch und der Weiterentwicklung ihrer bestehenden Softwarelösungen zögern viele Unternehmen noch. Der Fortschritt in Richtung Logistik 4.0 variiert je nach Branche und Unternehmen. Einige Unternehmen haben bereits erhebliche Fortschritte gemacht, während andere noch in den frühen Stadien der Transformation sind. Manche scheuen Risiko und Kosten, die mit einem Softwarewechsel wie einem ERP-System, Lagerverwaltungs- oder Transportmanagementsystem verbunden sind. Das bedeutet ein großes Hemmnis, wenn offene Informations- und Datendrehscheiben für die Logistik 4.0 realisiert werden sollen.
Gerade während der Covid-Krise wurde im Handel massiv in neue E-Commerce-Lösungen investiert. Dieser Boom ist nun vorbei und die Unternehmen konzentrieren sich wieder stärker darauf, bestehende Anlagen zu optimieren, Retrofit-Maßnahmen zu implementieren und so die Datenverfügbarkeit z. B. über zusätzliche Sensorik bei bestehenden Anlagen zu verbessern. Das Ziel ist, weiter zu digitalisieren, ohne allerdings gleich in komplett neue Logistiksysteme zu investieren, und stattdessen die Nutzungsdauer der bestehenden Anlagen zu verlängern.
Wegbereiter
Die Digitalisierung in der Transportlogistik erfordert laut dem Verein Netzwerk Logistik zahlreiche Änderungen, um den gesamten Prozess effizienter und transparenter zu gestalten:
- Bereitschaft zur Teilung von Daten in der Lieferkette mit anderen Unternehmen
- Stärkung der Daten- und IT-Systeme zur Vermeidung von Systembrüchen und Datenlücken in der gesamten Lieferkette
- Konsequente Automatisierung von Prozessen
- Abbildung der Segmentierung der Kundenanforderungen in IT- und Transportmanagementsystemen
- Schulung und Weiterbildung der Mitarbeiter*innen