Martin Wagner, Geschäftsführer der Verbund Energy4Business GmbH: »Wir bemühen uns, Partnerschaften einzugehen, die über die reine Stromlieferung hinausreichen.« Über die Attraktivität von Eigenstromanlagen, Contractingmodellen und Konzepten für die Industrie.
Bei den massiven Preisanstiegen im Großhandel mit Energie im vergangenen Jahr erschien es für Industrie- und Gewerbebetriebe sehr attraktiv, eine eigene Stromerzeugung zu etablieren. Mittlerweile sind die Preise wieder gesunken und gehen tendenziell weiter zurück. Ist damit auch der Boom bei der Nachfrage nach Eigenanlagen vorbei?
Martin Wagner: Unternehmen sind auf Planbarkeit angewiesen und daher interessiert, sich durch eigene Stromproduktion gegen Verwerfungen auf den Großhandelsmärkten abzusichern. Genau das ermöglichen wir mit unseren Angeboten. Hinzu kommt: Österreich hat ambitionierte klimapolitische Ziele. Auch die Unternehmen müssen dazu beitragen, diese zu erreichen. Die Energiewende wird nur gelingen, wenn wir uns im Produktionssektor entsprechend aufstellen. Das heißt, die derzeit noch mit CO2-Emissionen belastete Energieerzeugung muss zurückgehen.
Den Ersatz bildet zu einem guten Teil die Bereitstellung von Strom mittels Photovoltaik. Und diese ist für Privatkund*innen ebenso attraktiv wie für institutionelle Investoren. Die Industrie ist in einer besonders guten Lage, weil hier die Produktion und der Verbrauch an einem Ort erfolgen können. Die Photovoltaik bietet den großen Vorteil, dass die Stromerzeugung direkt beim Verbraucher stattfinden kann.
Hauptsächlich nachgefragt wurden in den vergangenen Monaten Photovoltaikanlagen, weil sie relativ rasch zu realisieren sind. Ist das nach wie vor die beliebteste Eigenerzeugungstechnologie für Unternehmen, die »neu einsteigen« wollen?
Wagner: Ja. Die PV ist eine etablierte Technologie. Die Anlagen lassen sich an die unterschiedlichsten örtlichen Gegebenheiten anpassen und durch die Ausweitung der Produktion hat sich das Preisniveau stabilisiert. Allerdings sind Komponenten wie Wechselrichter manchmal schwer verfügbar, das verursacht ausgedehnte Wartezeiten, lässt sich aber derzeit kaum verhindern.
Wie lange dauert es zurzeit, eine Anlage zu realisieren?
Wagner: Als Verbund Energy4Business sind wir vor allem im Bereich von Großanlagen mit Leistungen von mehr als einem Megawatt Peak (MWp) tätig. Das ist ein klassisches Projektgeschäft, bei dem man längere Vorlaufzeiten einplanen muss. Insgesamt ist ausgehend von der Bedarfserhebung bis zur Inbetriebnahme der Anlage mit etwa neun Monaten zu rechnen. Wir haben solche Projekte bereits mit vielen Kund*innen erfolgreich umgesetzt.
Eine der ersten Anlagen war die damals größte PV-Anlage Österreichs mit 15 MW Leistung, die wir gemeinsam mit der OMV unweit des Erdgasspeichers Schönkirchen-Reyern errichteten. Für die Lenzing AG realisierten wir in Oberösterreich eine der größten PV-Anlagen auf einer ehemaligen Deponie. Insgesamt funktioniert unser Modell sehr gut. Der Austausch mit unseren Kund*innen über die Projektlaufzeiten hinweg gibt uns die Möglichkeit deren Bedürfnisse noch besser kennenzulernen und entsprechende Lösungen anzubieten.
Lässt sich Ihr Modell als Contracting beschreiben?
Wagner: Im Prinzip ja. Wir analysieren, welchen Strombedarf unser Kunde hat und welche Möglichkeiten für die Platzierung einer Photovoltaikanlage bestehen, sei es auf Dächern, sei es auf Freiflächen. Dann erfolgt die Planung: Wie ist die Anlage zu dimensionieren, wie viel des erzeugten Stroms lässt sich direkt verbrauchen, wie viel wird möglicherweise ins Netz eingespeist? Der Kunde stellt die Fläche für die Anlage zur Verfügung. Ihre Finanzierung und ihren Bau übernehmen wir.
Der Kunde bezieht von uns den Strom über die vereinbarte Vertragslaufzeit hinweg, üblicherweise etwa 20 Jahre lang. Dafür bezahlt er eine Contracting-Fee je verbrauchter kWh. Natürlich fließen in unsere Wirtschaftlichkeitsrechnungen mögliche Förderungen der öffentlichen Hand ein. Lassen sich solche lukrieren, wird der Strom aus der Anlage für den Kunden entsprechend günstiger. Nach Vertragsende geht die Anlage in das Eigentum des Kunden über. Sie hat dann noch eine gute Restlaufzeit.
Für Industrie und Gewerbe wären grundsätzlich auch Bürgerenergiegemeinschaften ein Thema. Bieten Sie Unterstützung bei deren Etablierung und Betrieb an?
Wagner: Dieses Thema beschäftigt uns intensiv. Wir evaluieren derzeit, welche Rollen wir im Zusammenhang mit Energiegemeinschaften einnehmen können. Wenn wir für einen Industriebetrieb eine PV-Anlage errichten, sind eventuell Anrainer betroffen. Die Etablierung einer Energiegemeinschaft bietet die Möglichkeit, diese an der Nutzung der Anlage zu beteiligen und damit die Akzeptanz des Projekts zu steigern.
Konzentrieren Sie sich mit Ihren Angeboten auf bestimmte Branchen?
Wagner: Nein. Verbund betreut rund ein Viertel der österreichischen Industriekunden. Wir kennen also sehr viele der relevanten Unternehmen gut. Und wir bemühen uns, Partnerschaften einzugehen, die über die reine Stromlieferung hinausreichen. Das geht von Eigenversorgungsanlagen bis zu Elektromobilitätskonzepten. Bei der Entscheidung, ob wir ein Projekt umsetzen, spielt der Stromverbrauch des Kunden ebenso eine Rolle wie die Möglichkeit, das jeweilige Konzept zu skalieren. »Klassische« Branchen, die sich gut eignen, sind unter anderem die Stahlindustrie, die Petrochemie und die Papierindustrie. Auch in der Autozulieferbranche wird im Moment sehr viel gemacht. Interessant sind für uns weniger Einzelprojekte, als vielmehr Partnerschaften und Gesamtkonzepte.
Eines ist klar: Das Bild der Energieversorger hat sich gewandelt. Es geht nicht mehr nur um einen möglichst günstigen Strompreis, sondern um umfassende Dienstleistungen, um die Integration der Energiewirtschaft mit ihren Kunden. Da muss eins plus eins nicht immer zwei ergeben. Man kann auch manchmal auf drei kommen.
Sie sprachen die Elektromobilität an. Wie sieht es mit Ihren diesbezüglichen Aktivitäten aus?
Wagner: Verbund hat mit Smatrics ein sehr potentes Unternehmen, das für Dritte bereits seit vielen Jahren E-Ladeinfrastruktur aufbaut und betreibt. Ausgehend davon, haben wir ein Betreibermodell erarbeitet, das sich sehr gut bewährt. Viele Unternehmen werden künftig größere Flotten an Elektrofahrzeugen halten. Wir analysieren, wie sich deren Strombedarf entwickeln wird und konzipieren die zu dessen Deckung nötige Ladeinfrastruktur. Das kann bei 20 Stationen beginnen und bis etwa 100 und mehr Ladepunkte hinaufgehen. Dieses Modell haben wir bei Lenzing ebenso angewandt wie bei der NÖM und bei einem großen deutschen Unternehmen an mehreren Standorten. Die E-Mobilität muss in die Gänge kommen.
Wie sind Sie mit den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Realisierung von Eigenerzeugungsanlagen zufrieden? Für große Anlagen bringt die UVP-Novelle eventuell Erleichterungen. Aber beispielsweise das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz (EABG) steht noch aus…
Wagner: Alle diese Gesetzesinitiativen gehen in die richtige Richtung, wenn auch vielleicht nicht mit der wünschenswerten Geschwindigkeit. Die Problematik ist aber erkannt. Nun müssen alle, von der Politik bis zu den Unternehmen, gemeinsam schauen, was für die Umsetzung der Energiewende getan werden kann.