Helmut Fallmann, Gründer und Vorsitzender des Vorstandes (CEO) der Fabasoft AG, setzt das europäische Modell einer länderübergreifenden Zusammenarbeit im Softwaresektor im Regionalen um – mit einem Ökosystem für dokumentenzentrierte Geschäftsprozesse.
Sie setzen auf ein eigenes Beteiligungsmodell zur Unterstützung von Unternehmertum in Europa. Was sind Ihre Beweggründe?
Helmut Fallmann: Wenn ich an mein Studium zurückdenke, gab es damals schon das Dreieck in der Informatik am Markt: Aus den USA kommt die Systemsoftware wie Betriebssysteme und Datenbanken, aus Asien stammt eher die Hardware – von Chips bis zu Computern – und Europa ist die Hochburg der Anwendungen. Heute ist im Bereich der Anwendungen im globalen Maßstab nur ein europäisches Unternehmen wirklich groß. Das ist SAP und sie machen das großartig – wir benötigen aber mehr dieser Leuchttürme der Digitalisierung in Europa. Es gäbe verschiedene Formen, das zu finanzieren. Auf der Venture-Capital-Ebene werden wir aufgrund der Größenordnungen nicht mit den USA konkurrieren können.
Und die Banken braucht man in die Finanzierungsgleichung nicht nehmen. Sie verstehen das Geschäft eines Schuhfabrikantens, weil es die Schuhe im Lager zählen können. Bei Software funktioniert das nicht. Mit den herrschenden Regularien in Europa sind Banken zu keinem Vehikel fähig, das ein Wachstum von Softwareunternehmen finanzieren könnte. Für uns hat es mehr Logik, in unserer Rolle als Softwareanbieter direkt mit Partnern und den Anwenderinnen und Anwendern strategisch zusammenzuarbeiten.
Dieses vorsichtige Agieren bei Finanzierungen in Softwareunternehmen würden Sie nicht auf den deutschsprachigen Raum beschränken?
Fallmann: Unser Umgang mit Risiko ist, forsch ausgedrückt, in ganz Europa irreparabel – ausgenommen vielleicht Großbritannien. Risiko haben wir nicht in unseren Genen, sehr wohl aber die Tendenz zur Stigmatisierung: Wenn jemand etwas falsch gemacht hat, probieren wir es mit Sicherheit nicht wieder. Man kann das anhand der Entwicklung der Börsen für Wachstumskapital sehen. Nouveau Marché in Paris oder der Neue Markt in Deutschland haben nicht funktioniert, weil wir bereits bei den Zulassungskriterien geschlampt hatten. Heute gibt es sie einfach nicht mehr, was auch einen Wohlstandsverlust für Europa bedeutet. Mit Börsen könnte man wachsende Unternehmen nachhaltig unterstützen, dass diese nicht nach Nordamerika oder nach Asien verkauft werden.
Eine weitere Möglichkeit wäre eine Art Fonds der großen Industriebetriebe Europas, über den strategische Beteiligungen für den Aufbau einer Softwareindustrie ermöglicht werden. Mit Gaia-X gibt es eine ähnliche Bewegung, um eine starke Softwareindustrie aufzubauen.
Man kann aber auch Wachstum in Europa in einem kleinen Rahmen sichern. Wir suchen Unternehmen, die zu uns passen und überzeugen sie, in unserem Ökosystem zu agieren. Die Idee ist, dass sie damit im Gegensatz zu einem Alleingang um ein Vielfaches erfolgreicher sind.
Auf welchen Beteiligungsumfang setzen Sie hier? Ist dies rein auf Kapital beschränkt?
Fallmann: Wir unterstützen stets mit Mehrheitsbeteiligungen, aber in jeder Form – mit finanziellen Mitteln, im Marketing, bei Geschäftsprozessen, Zertifizierungen, Software, Plattformen und vieles mehr. Alle diese Faktoren, die auch das Teilen von Know-how oder Controlling-Ressourcen beinhalten, stehen für den Begriff »Smart Money.«
Eine erste Beteiligung mit dem entsprechenden Lernprozess für uns war das Unternehmen Mindbreeze meines Bruders Daniel Fallmann, der seit Jahren erfolgreich Technologien für Enterprise Search und Wissensmanagement entwickelt. Die erste Akquisition eines Unternehmens, das wir mit unserem Scale-up-Ansatz zum Erfolg führen wollen, war dann Xpublisher im Jahr 2019. Dessen Gründer Matthias Kraus ist in meinem Buch »Vom Scale-up zum unternehmerischen Lebenswerk« (Anm. siehe Kasten) porträtiert. Er spricht heute von der besten Entscheidung in seinem Berufsleben, einen Weg gemeinsam mit Fabasoft zu gehen. Für uns war es die beste Entscheidung, ihn an Bord zu holen. München als Sitz von Xpublisher ist aus meiner Sicht auch in einer geografisch guten Distanz zu Linz.
Was ist unter einem Ökosystem bei Fabasoft zu verstehen?
Fallmann: Fabasoft ist seit Jahrzehnten mit Lösungen für die Verwaltung und private Kunden erfolgreich, wir hatten uns aber stets im Marketing für unsere Produkte schwergetan. Der B2B-Marketingprofi Hans Mühlbacher, ehemaliger Institutsleiter Marketing der Universität Innsbruck und Gründer des Unternehmens Imark, hatte uns dann geholfen, ein neues System zu definieren und zu beschreiben. »Proceco« ist unser Ökosystem integrierbarer Lösungen für dokumentenintensive Geschäftsprozesse, in dem alle beteiligten Firmen fair vertreten sind und auch gemeinsam an seiner Weiterentwicklung arbeiten.
Wir sehen unsere Zukunft im weiterhin organischen Wachstum mit eigenen Anwendungslösungen, aber auch mit Akquisitionen. Diese Kombination bringt uns aktuell einen Erfolg und tatsächlich habe ich in meinem Job noch nie so einen Spaß gehabt, wie derzeit. Ich bin jetzt in einer Phase, wo ich junge Menschen erfolgreich machen kann. Das ist richtig cool.
Bild: Helmut Fallmann will mit dem Ökosystem Fabasoft in den nächsten drei Jahren 100 Millionen Euro in Umsätzen schaffen. (Fotos: Milena Krobath)
Welche Herausforderungen entstehen mit dieser Zusammenarbeit?
Fallmann: Der Softwareteil unseres Ökosystems, die Fabasoft Cloud, besteht ungefähr aus 20 Millionen Codezeilen. Eine typische Anwendung besteht aus gut 100.000 Lines of Code. Ein Entwicklungsteam benötigt also auch eine perfekte Dokumentation über die 20 Millionen Codezeilen zur Architektur und den unterschiedlichen Schnittstellen, damit man autonom überall auf der Welt für dieses Ökosystem entwickeln kann. Das war eine für uns nicht bewältigbar Aufgabe – bis wir die Geschäftsführer mit ihren Teams eingebunden haben. Mit den vielen Blicken von außen schaffen wir jetzt eine sauberste Dokumentation. Auch auf Marketing-Seite generieren wir derzeit so viele Leads, dass wir kaum mit der Produktion nachkommen. Das Geschäft läuft hervorragend. Wenn wir Lieferprobleme haben, dann aufgrund von Personalmangel. Aus diesem Grund setzen wir immer stärker auf eine Zusammenarbeit im Dienstleistungsbereich (Anm. »Professional Services«) mit Partnern und konzentrieren uns auf die Weiterentwicklung unseres Produkts. Auch aus diesem Grund ist es so wichtig, eine saubere Dokumentation des Produkts zu haben.
Eine Herausforderung ist sicherlich auch, so unterschiedliche Ideen und Wünsche aus den Bereichen Publishing, E-Government, Industrie, Personalakten und mehr unter einen Hut zu bringen. Unser CTO Oliver Albl hat das aber gut im Griff. Er entscheidet gemeinsam mit den Geschäftsführern und Stakeholdern, welche Wegrichtungen priorisiert werden. Dazu müssen wir auch noch schneller Engineering-Kapazität aufbauen, was aufgrund der Personalsituation in der IT eine Herausforderung ist. Allein der Fachkräftemangel ist aus unserer Sicht ein Grund für Akquisitionen, etwa mit einer Mehrheitsbeteiligung an dem Unternehmen 4teamwork AG mit Sitz in Bern im Vorjahr.
Das bringt uns dann auch zu einer teilweise doch beträchtlichen Distanz zu Entwicklungsteams. Fabasoft war ja bewusst stets regional aufgestellt. Die persönlichen Treffen unserer Führungskräfte finden jetzt in Innsbruck statt. Es ist ein fairer Schnittpunkt für die Anreise aus München, Bern und Linz und steht symbolisch auch für eine faire Zusammenarbeit.
Die setzen mit dem Fabasoft-Modell das angestrebte europäische IT-Ökosystem bereits im Kleinen um. Wo sehen Sie Ihre Grenzen hier?
Fallmann: Es funktioniert in unserer Nische der dokumentenzentrierten Geschäftsprozesse bereits hervorragend. Wir wollen unsere Lösungen über den deutschsprachigen Raum hinaus künftig etwa auch in Frankreich anbieten. Mit dem Team in der Schweiz lernen wir jetzt in der französischsprachigen Schweiz, der Romandie, wie man mit dem französischen Markt umgeht, um weiter zu expandieren. Als Anbieter ist unsere Strategie auf ganz Europa und auch auf die USA ausgerichtet. Seit mein Sohn dort lebt und mit den Fortune 500 im Bereich Sustainability arbeitet, verstehe ich auch, wie der amerikanische Markt tickt.
Wir sprechen hier auch immer von Unternehmerinnen und Unternehmern, die ein Lebenswerk aufbauen wollen und nicht von jemanden, der auf einen Exit hinarbeitet. Letzteres ist eine Welt, die auch anderer Partnerschaften und Expertisen bedarf. Meine Welt des Unternehmertums mag manchen altertümlich erscheinen. In der Start-up-Szene in Österreich vertrete ich damit wahrscheinlich eine Minderheitsmeinung.
Sie unterscheiden stark zwischen Start-up und Scale-up.
Fallmann: Ein Start-up bewertet man aufgrund einer Vision, aber noch ohne Geschäftsvolumen. Bei einem Scale-up sind bereits Geschäft, Organisation und Produkt vorhanden. Man hat zur Bewertung eine Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung und einen Businessplan, der bereits zwei, drei Jahre lang gehalten hat und funktioniert. Beim Extrapolieren eines Plans kann immer etwas passieren, aber es gibt ein solides Fundament und nicht nur den Glauben. Rund 90 Prozent der Unternehmungen im Start-up-Bereich führen nicht zu einem Erfolg. Das ist generell nichts Verwerfliches, doch bedeutet das in Europa immer noch eine Stigmatisierung der Gründer. Mein Ansatz ist, auf eher wenige Investments zu setzen und auch Geduld zu haben.
Wir wollen junge Entrepreneure erfolgreich machen – mit einem ordentlichen Gehalt als Geschäftsführerin oder Geschäftsführer ebenso wie mit einer Unternehmensbeteiligung. Typischerweise sind das 20 %, aber es kann auch bis 40 % gehen. Damit partizipieren sie in Gewinnausschüttungen und an der Wertsteigerung des Unternehmens.
Wie können Unternehmen generell dem Fachkräftemangel begegnen?
Fallmann: Für Fabasoft gesprochen adressieren wir dieses massive Problem mit einer Reihe an Maßnahmen. Unser Employer Branding ist mittlerweile richtig gut. Wir zahlen auch mehr als andere. Und wir teilen unseren Personalbedarf auf mehrere Standorte: Wien, Linz, Graz, Bern, St. Gallen, München, Frankfurt, Berlin, Erfurt, Chicago und Washington D.C. Wenn wir überall Fachkräfte gewinnen, können wir schon gut wachsen. Mit jedem Standort gewinnt man neues Potenzial. Und je besser eine Akquisition funktioniert, desto besser wird unsere Geschichte auch nach außen erzählt. Erfolg macht erfolgreich. Wir finden damit die Menschen, die zu uns und unserem Wertesystem passen.
Dazu gehört auch ein Miteinander nicht nur im Homeoffice, das es selbstverständlich auch bei uns gibt. Wir wollen uns auch persönlich begegnen, gemeinsam zu Mittag essen oder einen Kaffee miteinander trinken – zumindest an drei Tagen in der Woche. Auch unsere betriebliche Kinderbetreuung in Linz führt dazu, dass Menschen gern im Büro sind. In der Modernisierung von Büros setzen wir auf Zonen für die Kommunikation, die in der Pandemie sehr gelitten hat. Bei jedem Umbau probieren wir etwas Neues aus.
Dann sehe ich eine gewisse Durchlässigkeit bei den Arbeitsstellen auch als riesige Chance für eine Unternehmensgruppe. Sie eröffnet Karrieremöglichkeiten und lässt Menschen mit ihren Fähigkeiten die jeweils besten Aufgaben finden.
Welche Ziele haben Sie sich mit Fabasoft und auch persönlich gesetzt?
Fallmann: Nach ungefähr 50 Millionen Euro Umsatz rund um meinen Fünfziger ist mein Ziel nun, bis zu meinem sechzigsten Geburtstag – in drei Jahren – 100 Millionen Euro mit der Unternehmensgruppe zu erwirtschaften. Voriges Jahr haben dazu noch viele gelächelt. Ich bin überzeugt, dass man heuer sehen wird, dass das nicht nur eine Fantasie ist. Auch danach will ich dafür sorgen, die Gruppe für das weitere Wachstum richtig aufzustellen. Wir sehen uns dazu erst an einem Anfang. Aktuell füttern wir das Wachstum mit Mehrheitsbeteiligungen. Es wird eine Zeit kommen, in der wir unser Ökosystem öffnen, um von wiederkehrenden Umsätzen leben zu können. Wir werden dann Partnerschaften auch ohne direkte Beteiligungen einfach im Ökosystem agieren lassen. Uns geht es aber nicht um die Rolle einer offenen Plattform wie etwa Microsoft Azure, auf der mitunter Mitbewerber um Kunden rittern, sondern um einen kuratierten Diskurs.
Wir arbeiten an einem Ökosystem, in dem Anwendungen in Harmonie und Synergie funktionieren. Mit diesem Ansatz werden wir Kunden tatsächlich die besten Anwendungen für Bereiche wie etwa Personalakt für verschiedene Länder bieten können. Keinesfalls wollen wir eine Plattform mit unfairem Wettbewerb aufbauen, auf der Unternehmen allein über ihre Größe andere ruinieren können. Es gibt ja verschiedene Taktiken, wie man Märkte erobert. Wir alle haben in Europa Erfahrungen mit der Globalisierung gemacht: Wertschöpfung in der Photovoltaik in China, die mit europäischen Fördergeldern aufgebaut wurde, oder die Produktion von Antibiotika, die einfach aus Kostengründen aus Österreich verschwunden ist. Das ist weder nachhaltig noch eine sichere Standortpolitik. Wir wollen bewusst einen anderen Weg gehen.
Buchtipp