Sonntag, Februar 23, 2025
Wohin die Fake-Reise geht

Der Markt für gefälschte Waren wächst rasant. Nicole Jasmin Hofmann, Geschäftsführerin der Sentryc GmbH, berichtet über das steigende Risiko für Unternehmen und Konsument*innen – auch durch Social Media und Metaverse.

Fälschungen schmälern den immateriellen Wert eines Unternehmens, seinen Umsatz sowie die Wettbewerbsfähigkeit. Konsument*innen sehen sich einem steigenden Risiko ausgesetzt – durch gefälschte Autoteile, elektrische Komponenten, Medizinprodukte und vieles mehr.

Der Softwareanbieter Sentryc führte 2022 eine qualitative Umfrage durch, an der Unternehmen aus der IT, aus dem Baugewerbe und Maschinenbau sowie aus der Automobilindustrie und der Finanzdienstleistungsbranche teilnahmen. Der jährliche Schaden durch Fälschungen wurde dabei zumeist zwischen einer Million und 50 Millionen Euro beziffert. Mehr als 60 Prozent der Befragten gaben an, es seien bereits Kopien ihrer Produkte im Umlauf gewesen, die Gefahrenpotenzial für Endkund*innen beinhalten. Die gute Nachricht: Dank des aktiven Einsatzes von Markenschutz-Software entdeckten Betrogene einen nicht unerheblichen Teil der Plagiate.

Vier Strömungen

Heute verschränken sich reale und digitale Welt erwartungsgemäß noch weiter. Konsument*innen nutzen immer häufiger Online-Räume. Doch die Weiterentwicklung des virtuellen Einkaufens schlägt auch für Plagiator*innen neue Schneisen frei. Dies fordert Markenhersteller, Industrie sowie Beteiligte im Markenrecht heraus. Vier wesentliche Entwicklungen und Handlungsansätze lassen sich daraus ableiten.

1. Strömung: Fakes im Social Commerce

Betriebe verkaufen ihre Produkte zunehmend direkt über Social Networks wie Facebook, Instagram und Facebook und implementieren Social-Commerce-Strategien. Gehypte Produkte fördern eigene Shopping-Dynamiken und locken Fälscher an. Die Accounts der Produktpiraten – von Software-Algorithmen gesteuerte Social-Bots – benutzen die gleichen Hashtags wie die Verkäufer*innen der Originale.

Auch Superapps wie WeChat oder Alipay bieten Raum für Nachahmer. Neben Messenger-Funktionen decken diese Apps E-Commerce- und Payment-Features ab. Aufgrund ihres nahezu geschlossenen Systems inklusive Zahlungsabwicklung dienen sie als lohnende Plattform für gefälschte Produkte. Raubkopierer nutzen die komplexe und intransparente Struktur der App für ihre Zwecke aus. Superapps sind bislang vor allem im asiatischen Raum zu finden, doch der Weg zum europäischen Markt ist bereits vorgezeichnet.

Der österreichische Zoll beschlagnahmte 2022 gefälschte Produkte mit einem Originalwert von 6,7 Millionen Euro. (Bild: Christian Kinlechner/ Polizei Frankfurt-Main)

Die EU plant mit dem Digital Services Act (DSA) ein neues Gesetz, das Plattform-Anbieter verpflichtet, die Identität von Händlern festzustellen und als illegal gemeldete Produkte zu verbannen. Hersteller werden aufgefordert, selbst gezielte Maßnahmen zum Markenschutz zu ergreifen – etwa mithilfe von Brand Protection Software, die soziale Medien überwacht und verdächtige Produkte meldet.

2. Strömung: Brand Abuse im Metaverse

Viele Marken drängen bereits ins Web3 und etablieren Auftritte auf unterschiedlichen Plattformen. Das Metaverse bietet Markenherstellern enormes Absatzpotenzial, doch müssen die neuen Gestaltungsräume rechtlich, regulatorisch und gesellschaftlich teilweise erst neu erschlossen werden. In Bezug auf Cyberkriminalität und Betrug stehen sie schutzloser und schadensanfälliger als andere digitale Plattformen da. Sicherheitslücken zu schließen, kommt große Bedeutung zu.

Wie kann die nächste Stufe des Internets nachhaltig gesichert werden? Inhaber*innen geistigen Eigentums sollten sich dringend rechtlich beraten lassen, ob und wie sie ihre Marken beispielsweise für virtuelle Produkte und Dienstleistungen registrieren lassen können. Weil die Überwachung mehrerer Plattformen erheblichen Aufwand bedeutet, stellen vorausschauende Unternehmen für das Web3 neben einem Marketing- auch ein juristisches Budget bereit.

3. Strömung: Bewusste Kaufentscheidungen

Einer Studie der Unternehmensberatung EY zufolge sind vor allem 26- bis 32-jährige dem Kauf gefälschter Produkte nicht abgeneigt. Der Grund: der niedri­gere Preis. Gleichzeitig akzeptieren Konsument*innen bei Plagiaten aber auch eine geringere Qualität. In der Kaufentscheidung schwingt selten das komplette Wissen über das Phänomen Plagiat mit: Entlang der Lieferkette über die Rohstoffbeschaffung bis hin zum Vertrieb leiden Mensch und Umwelt unter den prekären Bedingungen, Endverbraucher*innen spüren mitunter gesundheitliche Folgen.

Die Autorin: Nicole Jasmin Hofmann ist Geschäftsführerin der Sentryc GmbH. (Bild: Sentryc)

Rechtlich liegt die Verantwortung beim Hersteller und Markeninhaber. Um der Gefährdung von Menschenrechten, Klimaschutz und Gesundheit entgegenzuwirken, klärt umfangreiche Information – verbreitet über Pressearbeit, Beiträge auf Websites und Partner-Onlineshops – die Käufer*innen auf. 

4. Strömung: Risikomanagement

Im Risikofeld zwischen Cyberangriffen, Reputationsverlust und Betrug spielen Markenrechtsverletzungen eine große Rolle. Firmen wissen, dass sich Plagiate und Brand Abuse auf den Umsatz auswirken. Damit es zu keinen unternehmerischen Fehleinschätzungen des Risikos kommt, nimmt firmeninterne Transparenz einen wichtigen Stellenwert ein. Folgende Annahme greift hier: Sobald ein Produkt am Markt gefragt ist, existiert ein wirtschaftliches Interesse, dieses zu kopieren. Daher gilt es schon bei der Produktion, die Vielzahl von technischen, mechanischen und prozessualen Möglichkeiten zu nutzen, um Fälschungen zu erschweren.

Verteilung der Fertigungsschritte auf unterschiedliche Produktionsstätten, eindeutige Identifikationsmerkmale wie Wasserzeichen sowie software- und KI-gestützte Überwachung der Handelsplätze und Absatzmärkte stellen einen Teil der Methoden dar. Firmen sollten prüfen, ob sie in puncto Sicherheit und Sorgfaltspflicht alles tun, um Fakes zu unterbinden, und kritisch ihr Risikomanagement und Präventionsmaßnahmen hinterfragen. Auch Rechtsabteilungen sollten sich zukünftig verstärkt auf das Thema konzentrieren.

Fazit

Um Verlusten durch Fälschungen vorzubeugen, müssen Hersteller und Markeninhaber aktiv gegen Plagiate vorgehen. Betriebsinterne Rechtsabteilungen oder erstattete Strafanzeigen helfen zwar im Nachgang, doch bewegt sich die Kopie dann schon auf dem Markt. Wie die Ergebnisse der eingangs erwähnten Studie zeigen, setzt aktuell ein Umdenken in der Überprüfung der Marktsituation sowie in der Durchsetzung der Produkt- und Markenrechte ein. Jetzt heißt es, den Onlinemarkt und neue Kanäle kontinuierlich zu überwachen, um Plagiator*innen einen Schritt voraus zu sein. 

(Titelbild: iStock)


Das Unternehmen

Die Sentryc GmbH ist ein 2019 gegründetes Technologieunternehmen mit Sitz in Berlin. Das 35-köpfige Team um Geschäftsführerin Nicole Jasmin Hofmann bietet Unternehmen mit einer eigenentwickelten Markenschutz-Software eine digitale Lösung, mit der sich Produktpiraterie und Markenmissbrauch auf Online-Marktplätzen aufdecken und stoppen lässt. Dafür stellen die Online-Expert*innen eine Cloud-Lösung zur Verfügung, die Internetseiten nach Produkten durchsucht, potenzielle Fälschungen identifiziert, dokumentiert und automatisiert zur Löschung meldet.

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