Samstag, Mai 18, 2024

Deutschland ist in Europa bei Patenten rund um Wasserstoff führend. Österreich verfügt über viel Know-how in der Forschung – zur massentauglichen Herstellung und Nutzung ist es aber noch ein weiter Weg.

Im 18. Jahrhundert entdeckten Wissenschafter, dass Wasser mithilfe von Strom in seine Elemente Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt werden kann. Die Möglichkeit, Wasserstoff zur Energieversorgung zu nutzen, konnte sich angesichts anderer Energiequellen nicht durchsetzen, denn die Herstellung des Gases ist aufwendig und teuer. In Hinblick auf die Klimawende und um von russischen Gaslieferungen unabhängig zu werden, haben Wasserstoffprojekte zuletzt weltweit an Fahrt aufgenommen. 

Laut einer gemeinsamen Studie des Europäischen Patentamts (EPA) und der Internationalen Energieagentur (IEA) liegen Japan (24 %) und die Europäische Union bei Patenten im Bereich Wasserstofftechnologien im Aufwärtstrend, während die USA an Boden verlieren. Südkorea und China befinden sich auf niedrigem Niveau. In der EU ist Deutschland (11 %) bei der Speicherung, Verteilung und Umwandlung sowie bei Endanwendungen von Wasserstoff führend. Insgesamt zeigt die Auswertung der Patentdaten eine massive Verlagerung zu emissionsarmen Methoden, insbesondere bei den Elektrolyseverfahren gab es einen Innovationsschub. 2020 entfielen fast 80 Prozent der internationalen Patentanmeldungen auf alternative Technologien, die dem Klimaschutz dienen sollen.

Die innovativsten Regionen konkurrieren nun um die erste Phase der industriellen Einführung. Europa hat als Standort für Investitionen in neue Produktionskapazitäten gute Karten. Vor allem das Interesse der Chemie- und Automobilindustrie ist groß. Die Big Player dieser Branchen haben sich durch langjährige Beschäftigung mit dem Thema Wasserstoff einen Vorsprung verschafft. Der Linde-Konzern, spezialisiert auf die Erzeugung von Wasserstoff sowie Speicher-, Verteilungs- und Umwandlungstechnologien, belegt im Ranking der weltweit führenden Patentanmelder den zweiten Platz. BASF rückte mit emissionsarmen Technologien zur CO2-Abscheidung, -Nutzung und -Speicherung auf den fünften Platz. Siemens (Rang 6) und Bosch (Rang 11) befinden sich mit dem Fokus auf grüne Wasserstofferzeugung und Endanwendungen in den Bereichen Brennstoffzellen und Elektrolyse ebenfalls im Spitzenfeld. 

Internationale Vorreiter

Aktuell werden 95 Prozent des Wasserstoffs mit fossilen Energieträgern (»grauer Wasserstoff«) hergestellt – nur knapp fünf Prozent aus Elektrolyse, davon wiederum nur ein Bruchteil mit erneuerbarem Strom (»grüner Wasserstoff«). Das soll sich durch Investitionen in riesige Energieprojekte ändern. Während die Erzeugung von Strom aus Wind, Sonne und Wasser saisonalen Schwankungen unterliegt, könnte Wasserstoff das fehlende Glied sein, um diese Lücke zu schließen. Das farblose Gas lässt sich auch längere Zeit speichern, transportieren, in Pipelines über große Distanzen verteilen sowie später zurückverstromen.

In Stovstrup in Dänemark entsteht um rund acht Milliarden Euro unter der Leitung von GreenGo Energy einer der weltweit größten integrierten Energieparks mit Solar- und Windkraftwerken. Herzstück ist eine 2-GW-Elektrolyse, die jährlich über eine Million Tonnen Wasserstoff produzieren soll. Mit dem Projekt »Megaton« will sich Dänemark als Vorreiter in der noch jungen P2X-Industrie (Anm.: Erneuerbarer Strom aus Wind, Wasser oder Sonne wird in einen Energieträger umgewandelt) und Wasserstoffwirtschaft positionieren. 

In Dänemark entsteht ein riesiger Energiepark mit Solar- und Windkraftwerken sowie einer Wasserstoff-Elektrolyseanlage. (Bild: GreenGo Energy)

Der französische Wasserstoff-Pionier Lhyfe und das Joint Venture JET H2 Energy verfolgen mit dem Aufbau einer ganzheitlichen Infrastruktur für die Wasserstoffwirtschaft ambitionierte Pläne. In der Dekarbonisierung des Mobilitäts- und Logistiksektors entwickelt sich Schwäbisch Gmünd zu einer Modellregion für eine zentrale Versorgungsinfrastruktur.»Als Enabler emissionsfreier Mobilität planen wir, ein flächendeckendes Wasserstofftankstellennetz in Deutschland, Dänemark und Österreich aufzubauen. Um dies auch langfristig erfolgreich zu gestalten, bedarf es funktionierender Wasserstoffökosysteme und enger Partnerschaften«, sagt Elena Hof, Public Affairs Managerin bei JET H2 Energy.

Bei der Fertigung von Elektrolyseuren, Brennstoffzellen und deren Komponenten will Baden-Württemberg künftig eine Schlüsselrolle einnehmen. Das deutsche Bundesland hat in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Markteinführung rund 500 Millionen Euro an Fördermitteln für die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie ausgegeben bzw. zugesagt. 2021 hat Lhyfe eine erste industrielle Anlage zur Herstellung von grünem Wasserstoff in Betrieb genommen. Die weltweit erste Offshore-Anlage trat im September 2022 in die Testphase. 

Forschung im Spitzenfeld

Auch Österreich verfügt über viel Know-how und könnte im internationalen Spitzenfeld mitspielen. Am HyCentA (Hydrogen Center Austria, dem größten außer­universitären Zentrum im Bereich Wasserstoff in Österreich, forschen 160 Wissenschafter*innen an neuen Verfahren und deren Anwendung in der Industrie. Die aktuelle Generation der Wasserstofftechnologie sei inzwischen so weit, »dass man sie jetzt in den Markt überführen kann«, sagt Alexander Trattner, CEO der HyCentA Research GmbH, eines Tochterunternehmens der TU Graz. Als nächsten Schritt gelte es, »Fabriken für die Fertigung zu bauen und Industrialisierungsprozesse besser zu verstehen«.

Europas größte Single-Stack-Anlage versorgt die Mpreis-Zentrale in Völs bei Innsbruck mit Wasserstoff. (Bild: MPreis)

Grüner Wasserstoff könnte energieintensive Branchen wie die Stahl- oder Ziegelproduktion erheblich entlasten. Allerdings stellt der große Bedarf an Strom aus erneuerbaren Quellen ein Problem dar. Der derzeit in Österreich geplante Ausbau an erneuerbaren Energieträgern reicht bei weitem nicht aus, um den Strombedarf zu decken – der Strom für die Erzeugung von grünem Wasserstoff ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. Die Managementberatung Strategy& schätzt das Potenzial von grünem Wasserstoff in Hinblick auf die Dekarbonisierungsziele der österreichischen Industrie für 2040 auf rund 80 Terawattstunden. Johannes Schneider, Experte für Industriegüter und Energieversorgung bei Strategy& Österreich, geht davon aus, »dass 75 Prozent des Wasserstoffbedarfs importiert werden müssen.«

Entlang der Wertschöpfungskette würden sich zusätzliche Chancen für Markteinteilnehmer*innen – z. B. beim Aufbau der Infrastruktur, der Elektrolyse sowie in Handel, Transport oder Speicherung – ergeben. Anders als etwa in Deutschland, Dänemark und Frankreich wird das Thema Wasserstoff hierzulande nur schleppend vorangetrieben. 

Pioniere mit Know-how

Unternehmen wie OMV, Verbund, Wien Energie und Voestalpine gehen mit gutem Beispiel voran und tätigen bereits Großinvestitionen. Im November 2022 starteten Wien Energie und Wiener Netze mit der Errichtung einer städtischen Wasserstofferzeugung in Wien-Simmering. Ab Sommer 2023 soll diese Elektrolyse-Anlage mit einer Leistung von drei Megawatt täglich bis zu 1.300 Kilogramm grünen Wasserstoff liefern. Diese Menge reicht aus, um beispielsweise 60 Busse oder Lkw zu betanken. »Neben dem Mobilitätsbereich im Schwerlastverkehr bietet Wasserstoff viel Potenzial für die Industrie und für den Energiesektor – dort, wo bestehende fossile Gase nicht gut durch andere Technologien ersetzt werden können.

Michael Strebl, Wien Energie: »Viel Potenzial für die Industrie.« (Bild: Wien Energie)

Klar ist, dass der Wasserstoff dabei aus erneuerbaren Quellen wie etwa Ökostrom erzeugt werden muss«, betont Michael Strebl, Vorsitzender der Wien Energie-Geschäftsführung. Direkt neben der H2-Erzeugungsanlage entsteht eine weitere Wasserstoff-Tankstelle, an der Verkehrs- und Logistikunternehmen sowie Industriepartner künftig grünen Wasserstoff beziehen können. Im Kraftwerk Donaustadt wird im Rahmen eines Betriebsversuchs Wasserstoff zum Erdgas beigemischt. Dieser Anwendungsbereich ist laut Wien Energie weltweit einzigartig und vielversprechend: Allein mit 15 Prozent Wasserstoffbeimischung könnten jedes Jahr 33.000 Tonnen CO2 eingespart werden. Im zweiten Halbjahr 2023 steht in der Raffinerie Schwechat die Inbetriebnahme einer Elektrolyse-Anlage an, die bis zu 1.500 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr liefern soll, der in der Raffinerie selbst als Beimischung zu Benzin und Diesel zum Einsatz kommt.

Regionale Vorzeigeprojekte bleiben indessen die Ausnahme. In Völs bei Innsbruck wird die Zukunft erprobt: Im Rahmen des EU-Projekts »Demo4Grid« wurde neben dem Produktions- und Logistikcenter der Lebensmittelhandelskette Mpreis Europas größte Single-Stack-Anlage errichtet. Diese Elektrolyse-Anlage erzeugt grünen Wasserstoff, der die Brennstoffzellen-Lkw der Firmenflotte mit Treibstoff versorgt. Mit der Abwärme werden die Backöfen der firmeneigenen Bäckerei Therese Mölk beheizt sowie Warmwasser für die Fleischerei bereitet. Dieses internationale Projekt soll richtungsweisend für den Aufbau einer grünen, regionalen Wasserstoffwirtschaft in Zentraleuropa werden. »Diese Technologie kann künftig in vielen weiteren Zusammenhängen zum Einsatz gebracht werden«, ist Mpreis-Projektleiter Ewald Perwög überzeugt. »Für Pioniere wie Mpreis werden sich vor allem langfristige Know-how-Vorteile ergeben.«


H2-Farbenlehre

Wasserstoff ist ein farbloses Gas. Die in der Klassifizierung zugeschriebenen Farben kennzeichnen den Herstellungspfad. 
Derzeit wird Wasserstoff fast ausschließlich aus Erdgas gewonnen. Das ist die billigste Methode, allerdings entstehen dabei erhebliche Mengen an CO2. Bei der Produktion von einer Tonne »grauen« Wasserstoffs gelangen rund zehn Tonnen CO2 in die Atmosphäre.
Auch »blauer« Wasserstoff wird aus fossilen Energieträgern gewonnen, das CO2 aber eingefangen und in Erdgaslagern gespeichert (CCS – Carbon Capture and Storage). Wird durch Pyrolyse der Kohlenstoff fest gebunden, handelt es sich um »türkisen« Wasserstoff. 

Wird Wasserstoff mittels Elektrolyse und Strom aus erneuerbaren Quellen hergestellt, spricht man von »grünem« Wasserstoff. Er ist mit sechs Euro pro Kilogramm am teuersten – fossiler Wasserstoff kostet nur ein Drittel. Eine weitere Variante ist »pinker« Wasserstoff, für dessen Herstellung Atomstrom verwendet wird.

(Titelbild: iStock)

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