Selten zuvor war der Blick in die Zukunft so spannend wie heute. 2022 war neben der Pandemie geprägt von Krieg, Energieknappheit und einer beispiellosen Inflation. Report(+)PLUS hat fünf renommierte Zukunftsforscher um ihre Einschätzung gebeten, womit wir 2023 rechnen dürfen.
Wird 2023 das Jahr der realistischen Zukunftsplanung?
Von Reinhold Popp
Seit drei Jahren fordert uns die Verkettung mehrerer schwerer Krisen heraus. In dieser schwierigen Phase entpuppten sich manche früheren Analysen und Prognosen als unrealistisch. Wird 2023 das Jahr der realistischeren Vorbereitung auf ein gutes Leben in einer sich ständig wandelnden Welt von morgen und übermorgen? Falls ja, sollten – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die folgenden sechs Punkte vorausschauend beachtet werden: Aus der Sicht von 2023 ist der von Menschen verursachte Klimawandel das folgenreichste Zukunftsproblem. Trotz des dringenden Handlungsbedarfs wäre jedoch die einseitige Durchsetzung ökologischer Maßnahmen ohne die Berücksichtigung der dynamischen Entwicklung der Wirtschaft und des sozialen Zusammenhalts ein gefährlicher Irrweg.
Die seit dem Beginn der Industrialisierung realisierte rasante Technisierung brachte dem größten Teil der heutigen Menschheit viele Vorteile. Allerdings sollten wir uns von technikverliebten Megatrend-Gurus nicht einreden lassen, dass es zukünftig für alle Probleme technische Lösungen geben wird. Auch 2023 – und im Rest des 21. Jahrhunderts – werden die Menschen die Verantwortung für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft nicht an High-Tech-Maschinen abschieben können. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es global eine beachtliche Zahl von grausamen Kriegen zwischen verfeindeten Ländern. Im friedlichen Europa herrschte jedoch die Meinung vor, dass dieser privilegierte Lebensraum wegen seiner ökonomischen Potenz und seiner internationalen Vernetzung dauerhaft von Kriegen verschont bleibt. Der russische Überfall auf die Ukraine entlarvte diese sympathische Annahme jedoch leider als Illusion. Deshalb ist spätestens ab 2023 eine Modifikation der EU-Außen- und Verteidigungspolitik unverzichtbar.
In den Anfängen des Internet stand der Zukunftstraum eines weltweiten freien Meinungsaustausches im Vordergrund. Unterdessen haben sich aber manche Varianten der sogenannten sozialen Medien zu einem antisozialen Albtraum entwickelt. Ab sofort hat die rechtliche Regulierung dieser menschenverachtenden Fehlentwicklung höchste Priorität. Wenn Kritiker der sozialen Marktwirtschaft, des Sozialstaats und der Sozialpartnerschaft im Jahr 2023 auf das Gefahrenpotenzial des seit 2020 anhaltenden Krisenmodus zurückblicken, können sie die risikoreduzierende Wirksamkeit dieser zukunftssichernden Systeme nicht bestreiten. Dies gilt auch für ein sozial organisiertes Gesundheitssystem, das in der Hochphase der Pandemie eine sehr harte Bewährungsprobe bestanden hat.
In den Krisenjahren 2020 bis 2022 sehnte sich eine wachsende Zahl von Menschen nach weniger politischen Kontroversen und mehr Durchgriffsrecht für autokratische Führer. Spätestens 2023 sollte jedoch rückblickend klar werden, dass demokratische Systeme bei der Bewältigung der multiplen Krisen signifikant erfolgreicher waren als totalitäre Systeme. Auch zukünftig wird die bunte demokratische Vielfalt der autoritären Einfalt überlegen sein.
Reinhold Popp ist Professor für Zukunfts- und Innovationsforschung, leitet das »Institute for Futures Research in Human Sciences« an der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien und ist Gastwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Er ist Autor einer Vielzahl von wissenschaftlichen Publikationen, Berater von Politik und Wirtschaft, gefragter Keynote-Speaker sowie Experte im medialen Zukunftsdiskurs.
Zukunft ist menschlich
Von Harry Gatterer
»Mehr als drei Jahre nach vorne kann ich nicht mehr denken. Die Zukunft verschwimmt regelrecht vor meinen Augen«, erzählte mir kürzlich eine Leiterin für Strategie in einem DAX-Konzern. Wie können Unternehmen also ihre Entscheidungen auf die Zukunft ausrichten, wenn sie diese nicht »sehen« können? Die Begriffe, mit denen wir üblicherweise versuchen Zukunft zu (er-)fassen taugen nicht dazu, unser Denken mit Bildern auszustatten. Wörter wie Künstliche Intelligenz, Stapel-Krisen, Resilienz, Transformation oder Megatrends zeigen uns nur auf: Es ist kompliziert. Es ist aber vor allem abstrakt. Welches Bild erzeugt zum Beispiel das Wort »digitale Transformation«? Wenn überhaupt dann sieht man Codes und Zahlenreihen auf Bildschirmen und leere Büros. Aber wie bekommen wir die Zukunft wieder scharfgestellt?
Es sind die Menschen
Die Antwort liegt näher, als man denkt: Menschen sind es, um die es geht. Welche Menschen gibt es in Zukunft? Was ist ihnen wichtig? Wie leben sie und was ist anders im Vergleich zu heute? Das Jahr 2023 wird das Jahr sein, in dem wir dank GPT und anderen KIs noch weniger in der Lage sein werden die Zukunft »zu sehen«. Ja, Sie lesen richtig. KIs helfen nicht automatisch dabei, die Zukunft zu prognostizieren. Vielmehr kommt es darauf an, wie man diese Tools einsetzt und welche Bilder wir damit generieren. Damit sind wir mitten im Jahr 2023 angekommen: Zukunft ist unter den Bedingungen der Komplexität vor allem vom Menschen her zu denken.
Allerdings nicht in der romantischen Idee eines »Menschen ohne Maschinen«, oder gar dem Kampf Maschine gegen Menschen. Vielmehr geht es darum, dass Ihnen als Entscheider*innen in der Wirtschaft klar ist, für wen (in der Zukunft) Sie all ihre Entscheidungen treffen. Nicht »für was« oder »gegen was«, sondern für wen (in der Zukunft). Im Zukunftsinstitut nennen wir dieses Vorgehen »Future Persona«. Über KI geleitete Datenanalyse generieren wir Bilder, Beschreibungen und Storys von Menschen, die in der Zukunft leben und für konkrete Fragen von größtmöglicher Bedeutung sind.
Zukunft überrascht
Das Jahr ’23 überrascht viele mit einem Tool: »chatGPT«. Und das, obwohl schon seit Jahren die KI als wesentliche Veränderungstechnologie postuliert wurde. Ähnlich erging es uns mit dem Krieg Russlands, oder der Pandemie. Immer wieder werden wir (trotz besseren Wissens) von der Zukunft überrascht. Nicht weil uns die Informationen fehlen - sondern weil uns die emotionale Anbindung an den Möglichkeitsraum nicht gelingt. Denken wir über Menschen nach, ist das anders. Wir sind also gut beraten, ins Zentrum von signifikanten Zukunftsdebatten oder -entscheidungen, Bilder und umfassende Vorstellungen von Menschen zu setzen. Die Zukunft ist von Menschen gemacht - so oder so!
Harry Gatterer ist Geschäftsführer des Zukunftsinstituts. Er steht für ein realistisches und zugleich kritisch-optimistisches Verständnis der Zukunft.
Zukunft als Anlass
Von Klaus Kofler
Eigenartig. Blicken wir zurück, sehen wir meist nur Fortschritt, Stabilität und Wohlstand. Wagen wir aber den Blick in die Zukunft, verspüren wir Unsicherheit, Ungewissheit und Angst. Wenn ich heute etwas genauer auf unsere Welt blicke, dann erkenne ich zwei große »Sichtbarkeiten«. Erstens, dass wir uns allesamt von dem Glauben »das kann nie passieren« verabschieden sollten, weil dieser Satz gerade eine völlig neue Dimension erlangt. Und zweitens, dass unser gegenwärtiges Menschenbild gerade beginnt, sich aufzulösen. Die Frage, ob wir an unseren alten Glaubenssätzen und Regeln festhalten können, ist längst keine mehr. Wir alle stehen vor einer Zeitenwende, in der der Blick aufs Morgen eine gemeinsame und übergeordnete Perspektive erfordert.
Zukunftsempathie
Wenn diese Welt eine Bessere werden soll, dürfen wir ihr nicht durch kleinteiliges Gedankengut begegnen, sondern sie als einen Gesamtorganismus verstehen lernen. Allein die Tatsache, dass heute jeder von uns durch seine eigenen Entscheidungen Einfluss auf das globale Ganze nimmt, spiegelt sich in unserem Verantwortungsbewusstsein wider. Wenn aber die Einflussnahme weit über unsere eigenen Grenzen hinausgeht, sollte sich auch unser Denken darauf ausrichten. Notwendige Korrekturen schaffen wir nicht, indem wir nur persönliche Befindlichkeiten in den Fokus stellen, sondern es zulassen, über mögliche Irrtümer und Veränderungen ganzheitlich nachzudenken. Nur wenn es uns gelingt, dass Zukunftsarbeit von möglichst vielen verstanden und mitgetragen werden kann, schaffen wir es auch, wichtige Veränderungen für gemeinsame Zukünfte auf Spur zu bringen.
Zukunftsresilienz
Zukunft neu denken bedeutet gleichsam, sich auf eine Welt voller Komplexität, Dynamik und Unsicherheit einzulassen. Das bedeutet aber, dass wir uns eine Art »aufmerksame Anpassung« aneignen sollten, wenn wir als Menschheit weiterhin erfolgreich sein wollen. Diese Art von Anpassungsfähigkeit werden wir brauchen, um mit der Veränderungsdynamik dieser Welt Kurs halten zu können.
Zukunftsangst
So sehr uns der »Krisenmodus« in Beschlag nimmt, so sinnvoll ist er. Denn Krisen machen meist Eingefahrenes und Statisches sichtbar. Vielleicht zeigt uns das Gegenwärtige ja, dass wir mit dem Zukünftigen zu nachlässig waren und vielleicht zu früh mit dem Denken aufgehört haben. Vielleicht waren wir uns der Zukunft nur zu sicher. Aber nur weil wir momentan noch nicht alle passenden Lösungen parat haben, sollten wir uns doch nicht gleich ins Hemd machen. Immer wenn unsere alte Welt im Sterben lag und eine neue Welt nicht sichtbar war, war das nach Antonio Gramsci »die Zeit der Monster und Dämonen«. Wir alle erleben gerade eine solche Demontage unserer Zukunft. Aber unsere Welt ist nicht tot, sie erfindet sich gerade neu. Bewegen wir uns raus aus diesen Angstgeschichten und tauchen ein in einen kollaborativen und kooperativen Zukunftsoptimismus und beginnen wieder, neue Geschichten für das Morgen zu schreiben.
Klaus Kofler sucht als Zukunftsforscher, Redner und Autor nach Perspektiven und Potenzialen für neue intelligente Zukunftsbilder. Er ist Mitbegründer der Future Design Akademie
Resilienz im Doppelpack: smart und regenerativ
Von Andreas Reiter
Die multiplen Krisen der letzten Jahre haben uns drastisch gezeigt, dass nichts mehr planbar ist – kein Wunder, dass sich das Denken in Szenarien (also in möglichen Zukünften) inzwischen in vielen Unternehmen als Tool der Zukunftsgestaltung etabliert hat. Zugleich haben die Krisen uns vor allem die Wichtigkeit der eigenen (und kollektiven) Resilienz vorgeführt.
Was aber macht eine Organisation resilient, krisenfest? Neben der strategischen Vorausschau (auch mittels Einsatz von Künstlicher Intelligenz), neben der Pflege von kultureller Diversität sowie dem Aufbau von Redundanzen (Doppelstrukturen, etwa bei Lieferketten) zeichnen sich zukunftsfitte Organisationen durch eine starke Vision aus, durch ein kraftvolles Zukunftsbild. Und: resiliente Unternehmen denken systemisch. Sie verstehen sich als mitgestaltender Teil eines Ökosystems, in dem jeder mit jedem in einer Wechselbeziehung steht.
Aufgebrochene Silos
Vernetzte Systeme bringen eine andere – partizipative – Erfolgslogik hervor. Müssen sie auch. Denn in der digitalen Moderne weichen jegliche Grenzen auf, Silos werden aufgebrochen, Branchen konvergieren, Intermediäre fallen weg. Co-Kreativität und Open Innovation werden damit zu zentralen Erfolgsfaktoren für Unternehmen. Von Unternehmen werden Agilität und Kollaboration verlangt. Die Flüssigkeit des Ökosystems wird noch beschleunigt durch die aufkommende Kreislaufwirtschaft, die ja ein zentraler Pfeiler der europäischen Klimapolitik ist und unser Wirtschaften in den nächsten Jahren dramatisch verändern wird. Noch ist da viel Luft nach oben – in Europa werden derzeit erst rund zwölf Prozent der Materialien am gesamten Materialeinsatz zirkulär verwendet.
Alles im Kreislauf
Zirkuläres Wirtschaften ist nicht nur Pfeiler der EU-Wachstumsstrategie, sondern auch unverzichtbar für die Erreichung der Klimaneutralität in den nächsten Jahren. Eine radikale Transformation gewiss – sie gelingt nur durch die Kombination von Digitalisierung und Dekarbonisierung. Die smarte Kreislaufwirtschaft bringt völlig neue Spielregeln für Akteure entlang der Supply Chain mit sich. Aus Wertschöpfungsketten werden Wertschöpfungsnetze, aus Produkten werden Prozesse. Produktdesign, Materialfluss und Geschäftsmodelle verändern sich. Wachstum und Ressourcenverbrauch werden entkoppelt, z. B. durch Sharing-Modelle, Product-as-a-Service usw. Der Flughafen von Amsterdam z. B. hat sein gesamtes Lichtsystem auf 15 Jahre hin gemietet (Light-as-a-Service), die dabei installierten LED-Lampen haben einen enorm verlängerten Lebenszyklus und gehen nach Ablauf wieder in den Kreislauf zurück. Rethink – Reuse – Recycle … Aus Produkten von heute erwachsen die Rohstoffe von morgen.
Die geopolitische Verwerfungen tragen das Ihre zum Erstarken der Kreislaufwirtschaft und dezentraler Systeme bei. Die Energiekrise, die Brüchigkeit der internationalen Lieferketten in der Pandemie haben uns drastisch vor Augen geführt, dass wir Produkte in kritischen Geschäftsfeldern wieder innerhalb der EU-Grenzen herstellen und verstärkt regionale Kreisläufe bespielen müssen. So schließen sich die Kreise, Resilienz gibt’s nur im Doppelpack: smart und regenerativ.
Andreas Reiter ist Gründer des ZTB Zukunftsbüros und Referent und Keynote-Speaker bei internationalen Kongressen und Tagungen sowie Lehrbeauftragter für TrendManagement an der Donau-Universität Krems und am MCI in Innsbruck.
Zukunftsforschung ist weder Hellsehen noch Wunschkonzert
Von Peter Zellmann
Zunächst gilt es, ein offensichtlich hartnäckig bestehendes Missverständnis aufzuklären. Wissenschaftlich fundierte Zukunftsforschung kann nicht voraussagen, was in Zukunft sein wird. Sie analysiert gesellschaftliche Entwicklungen der Vergangenheit und der Gegenwart. Die Projektionen in die Zukunft ergeben dann als Forschungsergebnisse nicht Prophezeiungen, sondern Gestaltungsspielräume, Entscheidungsgrundlagen für Politik und Wirtschaft, Vorschläge für Weichenstellungen. Selten werden diese von den »Gesetzgebern« auch nur annähernd übernommen. Da spielen Parteiprogramme, Ideologien, aber auch Macht- und Geldfragen eine sehr große, für viele von uns eine zu große, Rolle.
Solche parteitaktischen Überlegungen sind ebenso wenig voraussehbar wie Pandemien, Terroranschläge, Kriege und Naturkatastrophen. Alles Leben bleibt letztlich unkalkulierbar und entsprechend einem Gemeinplatz daher lebensgefährlich. Was die Zukunftsforschung leisten kann, ist auf Chancen und Gefahren hinzuweisen, die sich aus der empirischen Sozialforschung, aber auch aus dem Querschnitt vieler Fachwissenschaften ergeben. Sie ist eine Querschnittwissenschaft, die als Grundlage für Entscheidungen vieler Meinungsbildner dienen könnte bzw. sollte. Verwendet man diesen Blickwinkel für die mittelfristige Entwicklung der Gesellschaft in Europa, dann überwiegen aktuell die düsteren Aussichten bei weitem:
Politik: Die Demokratie steht auf dem Prüfstand. Totalitäre Tendenzen sind auch innerhalb der demokratischen Strukturen unübersehbar. Auch wenn die Demokratie zweifellos die beste aller Staatsformen ist, zeigt sie Abnutzungserscheinungen. Wird es gelingen, die von einer klaren Bevölkerungsmehrheit eingeforderte direkte Demokratie, Transparenz und Korruptionsbekämpfung umzusetzen? Wird die Gewaltenteilung endlich wieder ernst genommen? Wird das freie Mandat der Abgeordneten endlich den Klub- bzw. Fraktionszwang ablösen?
Medien: Die vierte Gewalt im Staat hat sich von ihrer so wichtigen Kontrollfunktion weitgehend verabschiedet. Im Lichte mancher Katastrophenszenarien hat sie sich, scheinbar nach einem abgestimmten Lehrplan, für Volkserziehung entschieden. Meistens im Sinne aktueller Regierungsvorhaben. Checks and Balances blieben, allen Beteuerungen zum Trotz, oft auf der Strecke. Werden die Qualitätsmedien wieder auf Aufklärung, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung ihrer Konsument*innen setzen? Werden sie in Wort, Bild und Ton wieder verstärkt für die Freiheit des Individuums eintreten?
Gesundheit: Gesundheit ist den Menschen naheliegenderweise das Wichtigste im Leben. Das Gesundheitssystem mehr oder weniger aller europäischen Länder wurde zunehmend kommerzialisiert, die soziale Komponente finanziell ausgedünnt. Ärzte, Pflegepersonal und Patienten blieben dabei auf der Strecke. Die Pandemie kam dabei gerade recht, um einen Schuldigen zu benennen und die wahren Gründe zu verschleiern. Wird es bald wieder eine Gesundheitspolitik geben, die dem Namen Sozialpolitik gerecht wird?
Migration: Migration blieb auch im vergangenen Jahr das parteipolitische Thema Nummer 1. Faule Kompromisse um Aufnahmequoten, Verschärfungen der Asylgesetze und Grenzkontrollen beherrschen weiterhin den Diskurs. Konsens im Bezug auf Menschlichkeit für alle Beteiligten, Konsens über Ländergrenzen hinweg und schlichte Vernunft sind nicht in Sicht. Werden anstehende Wahlen nur mehr über dieses Thema gewonnen oder verloren? Sind jene Themen darüber hinaus, welche die Menschen im Alltag beschäftigen, nicht wichtiger? Die da wären: Krieg in Europa, Energiepreise, Inflation, leistbarer Wohnraum, Ganztagsschulen, Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt usw. Wären diese Themen nicht vorrangig zu lösen? Die Mehrheit der Bevölkerung will dafür konkrete Konzepte sehen. Wird ihr Wunsch erfüllt werden?
Es schaut nicht danach aus. Meine ganz persönliche, unwissenschaftliche Prognose: Die Regierungen werden weiter wurschteln. Verändern wird sich wenig. Im Großen und Ganzen gehen wir immer unruhigeren Zeiten entgegen. Eine Gegenmaßnahme für den Einzelmenschen? Weniger den »alles wird gut« Vertretern zu glauben. Wie gut oder schlecht es uns im Jahr 2023 gehen wird, liegt, wenn auch nicht ausschließlich, aber weitgehend in unseren eigenen Händen.
Peter Zellmann ist seit 1987 Leiter des Wiener Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung (IFT). Im Rahmen dieser Tätigkeit widmet sich Peter Zellmann vor allem der empirischen Sozial- und Zukunftsforschung in den Bereichen Lebensstile, Arbeit und Freizeit. Außerdem ist er als Wirtschafts- und Politikberater tätig. Im Rahmen seiner Forschungsarbeit hat Peter Zellmann zahlreiche Vorträge gehalten und Publikationen veröffentlicht.
(Bilder: iStock, beigestellt, Wolf Steiner, beigestellt, Oliver Wolf, beigestellt)