Sonntag, Juni 30, 2024

Verpackungen aus nachwachsenden Rohstoffen können Plastik bereits teilweise ersetzen. Doch nicht alle Alternativen sind ökologisch unbedenklich. 

Riesige Inseln aus Plastikmüll schwimmen mitten im Meer und sind stumme Zeugen: Kunststoff ist ohne Zweifel eines der problematischen Materialien unserer Zeit. Neben weggeworfenen Verpackungen belastet vor allem Mikroplastik – mikroskopisch kleine Kunststoffpartikel, die z. B. auch in Textilien, Kosmetikprodukten und sogar Lebensmitteln enthalten sind – die Umwelt. Neben verschiedensten Strategien, den Materialverbrauch zu reduzieren sowie die Recyclingquote von Kunststoff zu steigern, wird intensiv an ökologisch verträglichen Alternativen zu den vielseitigen Polymeren geforscht. Kunststoff aus fossilen Rohstoffen soll durch nachwachsende Materialien, wie etwa Zuckerrohr, Kartoffeln oder Mais, ersetzt werden. Die Ökobilanz umfasst jedoch nicht nur den CO2-Fußabdruck, sondern auch den gesamten Ressourcenverbrauch.

Und das ist der Haken: Bei landwirtschaftlichen Produkten kommt der hohe Wasserbedarf und die benötigte Ackerfläche hinzu – und steht damit in direktem Wettbewerb zur Lebensmittelproduktion. Die Bewirtschaftung auf Plantagen verursacht zudem eine Verschmutzung von Gewässern und Böden durch Dünger.  Auch in technischer Hinsicht sind Bio-Verpackungen aus pflanzlichen Rohstoffen nur bedingt geeignet. Flaschen werden aus physikalischen Gründen meist mit dem Kunststoff HDPE stabilisiert. Nur wenn das dafür benötigte Ethylen ebenfalls aus Pflanzen gewonnen wird, ist die Verpackung vollkommen recycelbar.

Im Forschungszentrum Acib werden neue Möglichkeiten zur Herstellung von Bio-Kunststoff erprobt. (Bild: acib)

Dennoch handelt es sich nur um ein »biobasiertes« Produkt, wie Marco Jansen, kaufmännischer Direktor von Renewable Chemicals, erklärt: »Biobasiert bedeutet nicht automatisch biologisch abbaubar. Polyethylen aus Zuckerrohr ist wiederverwendbar, wird aber nicht schneller als Polyethylen aus Erdöl oder Erdgas abgebaut.« Brasilien ist einer der größten Produzenten von Bio-Polymeren – Regenwälder werden für den großflächigen Anbau angeblich nicht gerodet, da Zuckerrohr viel Sonne und wenig Wasser benötigt.

Die Getränkekonzerne experimentieren seit längerem mit umweltverträglicheren Lösungen. Bereits 2009 testete Coca-Cola eine »Plant Bottle«, die noch zu 70 Prozent aus Erdöl und zu 30 Prozent aus Zuckerrohr hergestellt wurde, in geringer Stückzahl und mit überschaubarem Erfolg. Tetra Pak brachte 2015 eine Kartonverpackung mit biobasierter Beschichtung und biobasiertem Verschluss auf den Markt. Das Ausgangsmaterial der Bio-Kunststoffe ist Zuckerrohr, der Rohkarton wird aus zertifiziertem Holz hergestellt. Die Molkerei Kärntnermilch ist weltweit einer der ersten Tetra-Pak-Kunden, der die gesamte flüssige Produktion in den Kartonverpackungen abfüllt. »Durch den Umstieg auf pflanzenbasierten Kunststoff bzw. die Verwendung der leichteren Verschlusskappe gelingt es uns, den CO2-Fußabdruck der Verpackung im Vergleich zur Vorgängervariante um weitere 40 Prozent zu verringern und somit 18 Tonnen Plastik einzusparen«, sagt Kärntnermilch-Direktor Helmut Petschar. Er hält die Kartonverpackung für umweltschonender als Mehrweg-Flaschen aus Glas: »Glas bringt alleine schon die doppelten Transportkosten mit sich.«

Die Papierflasche

Der Vorarlberger Verpackungshersteller Alpla inves­tiert gemeinsam mit dem schwedischen Unternehmen Billerud Korsnäs in das Start-up Paboco, das an der Entwicklung einer Papierflasche arbeitet. Prototypen wurden im Vorjahr bereits von Coca Cola, Procter & Gamble und dem Bierkonzern Carlsberg in einigen europäischen Ländern getestet. Die ultra­leichte, aber stabile Flasche besteht aus einer Papierhülle mit Kunststoffauskleidung aus PET-Rezyklat sowie einer Kappe aus PEHD. Im Nonfood-Bereich sind die Ergebnisse vielversprechend, wie Michael Michelsen, Commercial Director bei Paboco, bestätigt: »2023 wird voraussichtlich die P&G-Marke Lenor erstmals in der Fibre Bottle auf den Markt kommen, zunächst allerdings nur in Nordwesteuropa.«

2023 bringt Procter & Gamble eine Papierflasche auf den Markt. (Bild: Procter & Gamble German)

Während sich die dünne PE-Schicht in der Altpapieraufbereitung recht problemlos ablöst, aussortiert und recycelt werden kann, funktioniert das bei kohlensäurehaltigen Getränken noch weniger gut. Hier ist eine dickere PET-Beschichtung notwendig. Die Carlsberg Brauerei testet eine Variante mit dem biobasierten Polymer PEF. Was die Umweltbilanz zusätzlich belastet: Die Sammelquoten bei Altglas liegen mit rund 80 Prozent deutlich höher als bei Kunststoffen. Denn Mischverpackungen, die aus Karton und einer Plastikbeschichtung bestehen, sorgen bei den Konsument*innen zusätzlich für Verwirrung, ob Recycling möglich ist bzw. welcher Con-tainer der richtige ist. Erfahrungsgemäß landen diese Verpackungen mehrheitlich im Restmüll und werden verbrannt statt wiederverwertet. In puncto Kreislauffähigkeit haben Flaschen aus Glas oder 100 Prozent PET, die im Stück recycelbar sind, somit noch immer die Nase vorn – insbesondere wenn ein Flaschenpfand die Sammelquoten erhöht.

Futter für Bakterien

Auf der Kunststoff-Fachmesse »K 2022« präsentierte das niederösterreichische Unternehmen NaKu eine Flasche, die zur Gänze aus pflanzlichen Rohstoffen, nämlich Polymilchsäure (PLA), besteht und frei von Weichmachern oder anderen Zusatzstoffen ist. Trotz des geringeren Gewichts weist das Material eine hohe Härte und Steifigkeit auf. PLA-Produkte können wiederverwertet oder kompostiert werden, schon jetzt sind 20 Prozent der Rohstoffe recyceltes PLA, freut sich NaKu-Geschäftsführer Johann Zimmermann: »Auch Kunststoff kann natürlich sein.«

NaKu-Geschäftsführer Johann Zimmermann: »Auch Kunststoff kann natürlich sein.« (Bild: NaKu)

Auch das EU-Programm Bionanopolys sucht nach neuen Möglichkeiten zur Herstellung von Bio-Kunststoff. Einer der Partner des internationalen Projekts ist das Austrian Centre of Industrial Biotechnology (Acib), hinter dem mehrere österreichische Universitäten stehen. Ein Forschungsteam der TU Graz beschäftigt sich mit der Gewinnung von Polymeren aus Biomasse. Dafür wird aus Hackschnitzeln und anderen Holzabfällen durch Hitze, Druck und nachfolgende Filtration eine Glukoselösung hergestellt. Dieses Hydrolysat dient als »Nahrung« für das Bakterium Cupriavidus necator, aus dessen Zellen der Biokunststoff PHB isoliert werden kann. PHB-Folien lösen sich innerhalb von drei Monaten rückstandsfrei auf, das Material ist absolut unschädlich. Wird den Bakterien als einzige Kohlenstoffquelle CO2 zugeführt, entsteht ein doppelter Nutzen: Das Bioplastik wird durch Verbrauch der klimaschädlichen Emissionen hergestellt.

(Titelbild: iStock)

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