Mittwoch, November 20, 2024

Wie kann der Pflegeberuf endlich wieder attraktiver werden? Gründe für die Unpopularität sind nicht nur geringes Gehalt oder Stress: Rund 65 Prozent der Kündigungen im Sektor beruhen auf Konflikten mit dem Führungspersonal. Beim 16. qualityaustria Gesundheitsforum in Wien wurden darum unter anderem bessere Leadership-Strategien vorgestellt. Aufgezeigt wurden auch die Risiken der Medizinprodukte-Verordnung, und warum Österreich endlich wieder eine Benannte Stelle braucht.

„Ressourcen aktiv managen: Utopie vs. Wirklichkeit“, so das Motto des 16. qualityaustria Gesundheitsforums, das am 9. November im Ares Tower in Wien als Hybrid-Event stattfand. Die Problematik ist akut wie eh und je: Derzeit kämpft fast der gesamte Gesundheits- und Pflegebereich mit Personalmangel, wie Günther Schreiber, Branchenkoordinator für das Gesundheitswesen bei Quality Austria, statistisch belegt: „Obwohl sich  in Österreich pro Jahr rund 10.000 Personen um einen Studienplatz an einer Medizin-Universität bewerben, können wegen Budget- und Ressourcenmangel nur rund 1.800 ein Studium beginnen. Zugleich gehen 2022 und 2023 rund 3.000 Ärztinnen und Ärzte in Pension, was das Problem weiter verschärft.“

Lieber Wahl als Kasse

Laut Schreiber gibt es zudem derzeit bereits doppelt so viele Wahl- wie Kassenärzte. Das liege unter anderem daran, dass Kassenpraxen für das wirtschaftliche Überleben rund 800 bis 1.000 Patienten pro Quartal benötigen. In ländlichen Regionen sei das allerdings teils schwer zu erreichen. Hausapotheken in den Arztpraxen könnten die Rentabilität verbessern, stoßen aber auf regulatorische Hürden, wenn sich eine Apotheke in einem bestimmten Radius befindet. Hinzu kommen unterschiedliche Finanzierungstöpfe aus Bund, Land, Gemeinden und Krankenkassen sowie der Mangel an flexiblen Arbeitszeitmodellen für Assistenzärzte.

Mitarbeiter motivieren

Ein wichtiger Hebel, um dem Personalmangel in Spitälern und Pflegeeinrichtungen entgegenzutreten, ist laut dem Gesundheitsexperten der Quality Austria professionelles Leadership. Nachdem rund 65 Prozent der Mitarbeiter*innen aufgrund von Konflikten mit Führungskräften kündigen, plädierte Schreiber für ein Umdenken: „Wenn die Führung und die Zusammenarbeit im Team nicht passen, dann kündigen die Leute auch dann, wenn das Gehalt und die sonstigen Rahmenbedingungen gut sind.“ Managen bedeute primär, zu ordnen, zu strukturieren, zu planen, Maßnahmen um- und durchzusetzen. Leadership hingegen beinhalte unter anderem auch ein gutes Arbeitsklima zu schaffen, um das Beste aus den Mitarbeiter*innen herauszuholen.

Eva Maria Kirchberger vom Imperial College in London spricht sich für einen neuen, vertrauensvolleren Führungsstil aus - der käme auch den Mitarbeitenden zugute. (Bild: Anna Rauchenberger)

Eva Maria Kirchberger, Senior Teaching Fellow Enterprise & Innovation am Imperial College London, widmete sich dem Thema Agile Führung – auch „Servant Leadership“ genannt. „Um die Mitarbeiter so zu fördern, dass sie die besten Resultate erzielen, muss man Kontrolle abgeben. Das führt dazu, dass die Mitarbeiter selbst motiviert sind und man sich auf ihren Einsatz verlassen kann“, so die Expertin. Die Aufgabe der Führungskräfte liegt demnach darin, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und gemeinsam mit dem Team Ziele zu definieren und Lösungen zu erarbeiten. Agile Führung braucht allerdings Menschen, die gerne andere coachen, die unternehmerisch eingestellt sind und ständig neue Möglichkeiten orten. Auf Firmenebene seien das ebenjene, die neue Visionen antreiben, Risiko nicht scheuen und gute Mitarbeitende anwerben können.

Schattenseiten der Medizinprodukte-Verordnung

Ingrid Blaimauer, Head of Operations bei QMD Services, berichtete über die Auswirkungen der neuen Medizinprodukte-Verordnung (MDR) sowie der In-Vitro-Diagnostika-Verordnung (IVDR). An diese Verordnungen müssen sich die Hersteller beim Inverkehrbringen von bestimmten Erzeugnissen in Europa halten, um die sogenannte CE-Kennzeichnung zu bekommen. Blaimauer erklärt: „Die Umsetzung der Anforderungen ist schwierig und wird oft unterschiedlich ausgelegt. Derzeit scheint es sogar so, dass MDR und IVDR die Versorgungssicherheit mit seit Jahren auf dem Markt befindlichen Medizinprodukten gefährden und Innovationen behindern, statt die Patientensicherheit zu verbessern.“ Vor allem KMU und junge Hersteller können die hohen Anforderungen aus personellen oder finanziellen Gründen oft nicht erfüllen. Aber auch große Player straffen zusehends ihr Produktportfolio.

Seit 2016 keine Benannte Stelle

Die Hersteller sind nicht nur gefordert, die gestiegenen Anforderungen der MDR/IVDR zu erfüllen, sondern sehen sich auch mit der Herausforderung konfrontiert, eine Benannte Stelle mit freien Ressourcen zu finden. Benannte Stellen erfüllen in vielen EU-Ländern unabhängige Aufsichts- und Kontrollpflichten, um Sicherheit und Konformität von Produkten zu prüfen und Unternehmen zu bescheinigen. „Gemäß den neuen Verordnungen werden viele Medizinprodukte und In-Vitro-Diagnostika höher klassifiziert und benötigen daher die Beteiligung einer Benannten Stelle, um auf den Markt gebracht zu werden bzw. um weiter am Markt zu bleiben. Aber genau diese Benannten Stellen sind der Flaschenhals in der Zulassung“, skizzierte Ingrid Blaimauer die Problematik.

Obwohl Benannte Stellen für den gesamten europäischen Raum zugelassen sind, sei es sehr schwer, eine entsprechende Organisation zu finden. Dies liegt daran, dass sich aufgrund der gestiegenen Anforderungen nur wenige als Benannte Stelle bewerben und die Zulassung darüber hinaus extrem lang dauert. In Österreich gibt es bereits seit 2016 keine Benannte Stelle mehr. Dies soll sich jedoch bald ändern: QMD Services steht derzeit im Zulassungsverfahren, um als Benannte Stelle für Medizinprodukte und In-Vitro-Diagnostika tätig werden zu können. Leidtragende der langen Zulassungsverfahren sind unter anderem Patient*innen mit seltenen Erkrankungen oder auch Kinder, wenn diese spezielle Medizinprodukte benötigen.

(Titelbild: iStock)

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