In Österreich wird vieles teurer, vor allem bei fossilen Brennstoffen und Agrarrohstoffen ist die Entwicklung bedenklich. Diese sind von Weltmarktpreisen abhängig – binnenwirtschaftliche Maßnahmen können lediglich dazu beitragen, die Verluste gerechter zu verteilen. Report(+)PLUS hat bei Experten nachgefragt, wie sie die Situation beurteilen.
Frage 1: Rechnen Sie mit einer dauerhaft höheren Inflation?
Josef Baumgartner, Senior Economist am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO):
In unserer aktuellen Einschätzung zur wirtschaftlichen Entwicklung bis 2026 von Ende Juni rechnen wir für heuer mit einer Inflationsrate in Österreich im Jahresdurchschnitt von 7¾ Prozent, wobei wir den Höhepunkt mit rund 9½ Prozent zum Jahresbeginn 2023 erwarten. Für nächstes Jahr prognostizieren wir eine Inflationsrate von 5¼ Prozent. Diese bedingte Prognose unterstellt, dass weiterhin Öl aus Kasachstan und Gas aus Russland nach Österreich geliefert werden. Bis 2026 erwarten wir einen langsamen Rückgang der Inflationsrate auf 2½ Prozent. Damit dürfte die Inflation in Österreich in den nächsten fünf Jahren nicht auf den Zielwert der EZB zurückgehen.
Werner Girth, Partner bei KPMG Austria (Bild: KPMG):
Unabhängig von den Hauptauslösern des aktuellen Preisauftriebs – Pandemie und Ukraine-Krieg – wird Inflation dann zu einem langfristigen Problem, wenn Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen mit weiteren Preissteigerungen rechnen. Um das zu verhindern und die Wirtschaft abzukühlen, sind die Zentralbanken gerade dabei, den Leitzinssatz deutlich zu erhöhen. Der Lohndruck sinkt dadurch, allerdings erwarte ich einen zunehmenden Kostenauftrieb bei Inputfaktoren durch die anlaufende CO2-Bepreisung. Die Kosten der Energiewende werden somit die Inflation in den nächsten Jahren deutlich über dem Zwei-Prozent-Ziel halten.
Armon Rezai, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien:
Aktuelle Prognosen gehen von einem signifikanten Rückgang der Inflation innerhalb der nächsten zwölf Monate aus. Die derzeitige Inflation wird hauptsächlich von zwei Faktoren angeheizt: Der künstlichen Verknappung von fossilen Energieträgern und der raschen ökonomischen Erholung nach der akuten Covid-Krise. Sobald Energiepreise wieder auf ihre historische Preisspanne zurückgehen, fallen Energiekosten und damit drücken sie die Inflation, genau wie sie diese derzeit befeuern. Die Energiekrise hat bereits den zweiten Effekt, die ökonomische Erholung, eingeschränkt. Europa befindet sich bereits in einem leichten Wirtschaftsabschwung. Beide Effekte sind also temporär. Strukturelle Faktoren, wie z. B. internationale Lieferengpässe und knappes Arbeitskräfteangebot, werden jedoch über Jahre bestehen bleiben.
Frage 2: Ist das Entlastungspaket der Regierung geeignet, um die Teuerungen abzufedern?
Josef Baumgartner (Bild: Alexander Müller)
Dazu muss man vorausschicken, dass es eine politische Entscheidung ist, welche Gruppen (private Haushalte, Unternehmen) wie stark unterstützt werden, um den Kaufkraftverlust durch die Teuerung abzufedern. Die bisherigen drei Pakete federn die Teuerung ab, sind nach unserer Einschätzung aber nicht zielgerichtet genug. Wir plädieren dafür, Haushalte mit niedrigen Einkommen zu unterstützen, die die Teuerung bei Nahrungsmitteln und Energie nicht mehr stemmen können. Haushalte in der oberen Einkommenshälfte können die Mehrbelastung in der Regel aus ihrer Ersparnisbildung bewältigen. Ein etwaiges viertes Paket im Herbst/Winter sollte zielgerichteter auf das untere Einkommensdrittel abzielen und bis zu den mittleren Haushaltseinkommen auslaufen. Dazu hat das WIFO bereits Vorschläge gemacht.
Werner Girth:
Das Entlastungspaket der Regierung ist von seiner Größenordnung her geeignet, die zusätzlichen Belastungen der österreichischen Bevölkerung etwas abzufedern. Vor allem die geplante Abschaffung der kalten Progression wird nachhaltige Effekte haben und ist als mutiger Schritt zu werten, da sie den Handlungsspielraum aller folgenden Finanzminister*innen einschränkt. Ein Wermutstropfen ist sicher die eingeschränkte soziale Treffsicherheit des Pakets, die allerdings auch auf die mangelnde Verknüpfung der Daten zwischen Sozialversicherung und Finanz zurückzuführen ist.
Armon Rezai:
Gewisse Aspekte des Entlastungspaketes sind sehr gut geeignet, die Teuerung abzufedern. Jedoch ist zu beachten, dass die Teuerung in ihrer Gesamtheit nicht für die Gesamtbevölkerung abgefedert werden kann, denn sonst gäbe es keine Veränderung der Nachfrage nach Energieträgern und diese sind derzeit eben begrenzt. Daher ist die Treffsicherheit der Maßnahmen sehr relevant, welche bei der Anpassung der Sozialausgaben gegeben, bei der (Teil-)Abschaffung der kalten Progression jedoch fraglich ist.
Frage 3: Ist zu befürchten, dass die Klimaziele aus dem Fokus rücken?
Josef Baumgartner:
Zur Entwicklung der Schadstoffemissionen tragen unterschiedliche Entwicklungen bei: Im ersten Halbjahr 2022 trägt die noch starke wirtschaftliche Entwicklung insbesondere in der Industrie zu einem höheren Energieverbrauch und damit höheren Emissionen bei. Zusätzlich bewirkt ein Umstieg von Gas zu Kohle oder Heizöl einen Anstieg des Schadstoffausstoßes. Dieser Entwicklung stehen der deutliche Anstieg der CO2-Preise und der Energiepreise gegenüber, die tendenziell zu einem Rückgang des Energieverbrauchs führen. Zusätzlich sollte die für die zweite Jahreshälfte und 2023 erwartete deutliche Abschwächung der wirtschaftlichen Dynamik zu einer Abnahme der Energienachfrage führen. Zusammengefasst erwarten wir nach einem Anstieg im Vorjahr für die Jahre 2022 (-1,8 %) und 2023 (-1,1 %), dass die Treibhausgasemissionen (gemessen in CO2-Äquivalenten) konjunkturbedingt sinken.
Mittelfristig dürften die hohen Energiepreise den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energiequellen beschleunigen und damit auch den Ausstoß von Treibhausgasen verringern. Dieser Prozess sollte nicht durch eine Senkung von Steuern auf fossile Energie konterkariert werden. Darüber hinaus sollten klimaschädliche Subventionen verringert/abgeschafft werden. Um die 2030/2040-Ziele zu erreichen, müssen aber die Anstrengungen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen und zum Ausbau der erneuerbaren Energie sowie der Stromnetzkapazitäten und -sicherheit sowie Investitionen in den öffentlichen Verkehr noch (deutlich) verstärkt
werden.
Werner Girth:
Rasant steigende Supermarktpreise nötigen viele Konsument*innen, zu sparen. Dies senkt verständlicherweise bei vielen die Bereitschaft, für ökologisch nachhaltige Produkte tiefer in die Tasche zu greifen. Das Erreichen der Klimaziele verlagert sich in der Folge stärker in die Verantwortung der Politik, um durch entsprechende Gesetze die Klimakatastrophe abzuwenden. Da die Klimapolitik aber immer auch der Gunst der Wähler*innen ausgesetzt ist, bleibt als primäre Bedrohung, dass die Klimaziele durch schnelllebige Wahlversprechen zur Inflationsbekämpfung aufgeweicht werden.
Armon Rezai (Bild: WU Wien)
Klimaziele sind langfristige Ziele und daher sind temporäre Abweichungen prinzipiell kein Problem. Die Befürchtung sollte daher sein, dass die derzeitige, ökonomisch sinnvolle Renaissance der Kohle zum österreichischen Provisorium verkommt. Glücklicherweise verfolgt die Europäische Kommission ihre Klimaziele jedoch strikt und setzt den einzelnen Mitgliedsstaaten hier enge Grenzen. So begrenzt das Emissionshandelssystem der EU den CO2-Ausstoß vieler Sektoren. Wenn Kohlekraftwerke nun mehr emittieren, müssen die Emissionen anderswo eingespart werden.