Mittwoch, Juli 17, 2024

Die österreichische Massivbaustoffherstellung ist ein Wirtschaftszweig mit hoher Regionalität: Sie bezieht ihre Rohstoffe überwiegend lokal und liefert ihre Produkte über kurze Transportwege an Baufirmen und Handelsbetriebe im Umkreis. Diese strukturpolitische Bedeutung wird oft unterschätzt. 

Die österreichischen Massivbauhersteller haben sich aus gutem Grund in der Nähe von Rohstoffabbaustätten angesiedelt. Kurze Wege zu Produktionsstandorten, weiterverarbeitenden Betrieben und Handel entlasten nicht nur die Umwelt, sondern beleben auch die regionale Wirtschaft und schaffen Arbeitsplätze.

Diese wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Effekte wurden 2016 in einer Untersuchung des Studienzentrums für internationale Analysen (STUDIA) erfasst und 2018 in einem Update vertieft. Im Fokus der Erhebung standen die fünf Branchen Ziegel und Ziegelfertigteile, Zement, Beton und Betonfertigteile, Putze und Mörtel sowie Transportbeton.

2017 waren in Österreich rund 220 Unternehmen an 430 Werkstandorten aktiv. Dabei handelt es sich mehrheitlich um mittelständische Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeiter*innen. Als materialintensive Branche beansprucht die Massivbauherstellung viele Vorleistungen und erzielt indirekt erhebliche Wertschöpfungseffekte. Die Unternehmen kaufen regelmäßig Betriebsmittel zu und tätigen verlässlich Investitionen, davon profitieren in erster Linie lokale oder regionale Zulieferer.

Beschäftigungsmotor

Zudem sorgen sie für dringend benötigte Arbeits-, Aus- und Weiterbildungsplätze im ländlichen Raum. 34.000 Arbeitnehmer*innen sind in der Produktion massiver Baustoffe tätig, knapp 65.000 Personen in der weiteren Verwertung im Bauwesen. Vor- und nachgelagerte Bereiche eingerechnet, gewährleistet die Massivbaustoffindustrie die wirtschaftliche Existenz von rund 200.000 Menschen. Ein*e Arbeitnehmer*in sichert die Existenz von 25 Personen. 55 Prozent der Beschäftigten sind im ländlichen Raum zu Hause.

Die Beschäftigten und ihre Familien wohnen überwiegend im näheren Umfeld der Standorte – ihre Einkommen fließen wiederum zu einem großen Teil dem lokalen Handel, Gewerbe und Dienstleistungen zu. Studienautor Wolfgang E. Baaske errechnete aus der direkten Wertschöpfung (in den Unternehmen der Massivbauhersteller) und der indirekten Wertschöpfung (ausgelöst in anderen Unternehmen durch Vorleistungen, Beschäftigung, Investitionen und Steuerleistung) den Wertschöpfungsmultiplikator. Ein Euro Wertschöpfung in der österreichischen Massivbauherstellung erzeugt demnach zusätzlich 2,92 Euro Wertschöpfung in anderen Unternehmen.

Vor- und nachgelagerte Bereiche eingerechnet, gewährleistet die Massivbaustoffindustrie die wirtschaftliche Existenz von rund 200.000 Menschen – überwiegend im ländlichen Raum. 

Rund zwei Drittel der Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte sowie drei Viertel der Produktionseffekte fallen dem jeweiligen Standortbundesland zu. Die österreichische Massivbaustoffherstellung ist eine regional verankerte Industrie. Ihr Einfluss auf die Entwicklung des ländlichen Raums wurde von Öffentlichkeit und Politik bisher kaum wahrgenommen. »Anknüpfend an europäische Studien bestätigt sich auch in meiner Berechnung die starke positive Wirkung dieses Industriezweigs«, erklärt der auf wirtschaftliche Analysen spezialisierte Mathematiker. 

Nahversorger

Anhand der empirischen Daten erstellte Baaske eine Stoffstromanalyse für die österreichische Massivbauherstellung. Das Verteilungsmodell zeigt, dass rund 80 Prozent der summierten Inputs (sämtliche Einsatzstoffe) und Outputs (sämtliche Produkte) über eine Distanz von unter 116 Kilometern (Durchschnitt: 84 Kilometer) transportiert werden. Der durchschnittliche Transportradius von der Rohstoffquelle zum Werk beträgt rund 49 Kilometer. Der Lieferweg vom Werk zum Kunden ist mit durchschnittlich 35 Kilometern noch kürzer.

Die Transportwege der fünf untersuchten Gruppen sind jedoch miteinander verflochten. So fließen zwei Drittel der Produkte der Zementindustrie zu Transportbetonwerken und nur knapp ein Fünftel an den Baustoffhandel. 80 Prozent der Zementprodukte sind Vorleistungen für andere Erzeugnisse wie Beton, Putz und Mörtel. Während der Großteil der Inputmaterialien aus kleinen Radien kommt, stammt der für Betonfertigteile benötigte Baustahl aus größeren.

Die ökologischen Vorteile der kurzen Wege werden in der Bewertung von 
Umweltstandards bis dato nicht berücksichtigt. Hier wäre nach Meinung der Bauwirtschaft ein Korrektiv in der Herkunftskennzeichnung – analog zur Aufwertung von Produkten aus regionaler Produktion in anderen Wirtschaftsbereichen – wünschenswert, um sich gegen billige Bauweisen und Konkurrenten aus Ländern mit geringeren Standards besser behaupten zu können. 

Versorgungssicherheit

Neben laufenden Investitionen in technische Erneuerungen der Anlagen und Erweiterungen des Fuhrparks oder Firmengebäude spielen die Massivbauhersteller eine wichtige Rolle im Gemeinwesen. Unterstützt werden soziale Projekte sowie Sport- und Kulturveranstaltungen der Gemeinden, die ohne diese Beiträge oft nicht realisierbar wären.

Wolfgang E. Baaske, Studia: »Anknüpfend an europäische Studien bestätigt sich die starke positive Wirkung dieses Industriezweigs.« (Bild: Studia)

Trotz des großen gemeinnützigen Engagements sehen sich viele Unternehmen mit großer Skepsis der örtlichen Bevölkerung konfrontiert. Die Verfügbarkeit von Baurohstoffen wie Sand, Kies und Naturstein wurde lange Zeit als unproblematisch eingestuft – tatsächlich wird es immer schwieriger die Nachfrage für den Straßen- und Wohnungsbau zu bedienen. Bis eine Genehmigung für die Rohstoffgewinnung und -verarbeitung erteilt wird, müssen viele Hürden genommen und hohe Umweltstandards erfüllt werden. Diese Verfahren dauern oft sehr lange, Anrainer*innen befürchten eine Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität durch Lärm, Staub und Verkehr.

Bei anderen mineralischen Rohstoffen zeigt sich bereits eine Verknappung. Die Abhängigkeit Österreichs von Importen hat sich durch die geopolitische Lage zusätzlich verschärft. Wie die Versorgungssicherheit auch in Zukunft gewährleistet werden kann, ist zentrales Thema der europäischen Rohstoffstrategie. Österreich kann dazu einen nicht unwesentlichen Beitrag leisten. 

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