Im Interview mit Report(+)PLUS spricht Martin Leitl, Techniksprecher im Fachverband Steine-Keramik, über die Vorteile mineralischer Baustoffe im Kampf gegen den Klimawandel, Holz als wichtige CO2-Senke und was auf dem Weg zur echten Kreislaufwirtschaft in der Baubranche noch fehlt.
(+) plus: Die EU setzt im Zuge ihrer Dekarbonisierungsanstrengungen immer mehr auf den Ausbau von Senken, in denen CO2 mehr oder weniger dauerhaft gebunden oder im Kreislauf genutzt werden kann. Wie stellt sich das Thema CO2-Senken für den Massivbau dar, insbesondere im Vergleich mit anderen Bauweisen?
Martin Leitl: Die größte CO2-Senke die wir haben, ist der Wald. Um die Klimaziele zu erreichen, sieht auch die neue EU-Waldstrategie Einschränkungen der Waldbewirtschaftung vor, um die Funktion des Waldes als Kohlenstoffsenke zu erweitern. Denn aus vielen Studien geht klar hervor, dass die Schonung unserer Wälder für das Klima entscheidend sein wird. Beim Baustoffvergleich muss berücksichtigt werden, dass das im Holz gebundene CO2 nicht dauerhaft gespeichert ist, sondern am Lebensende des Holzprodukts freigesetzt wird.
Es werden also die Emissionen von CO2 aus Holzprodukten nur in die Zukunft verschoben. Man muss sich also den Lebenszyklus von Bauwerken genau ansehen – und zwar »cradle to cradle«, also vom Ursprung bis zum Ende der Nutzungsdauer; und was dann damit geschieht: kann man die Baustoffe wiederverwenden, recyceln oder muss man sie verbrennen?
Hier wirkt sich auch die wesentlich längere Lebensdauer von mineralischen Baustoffen positiv auf die Klimabilanz aus, da bei beispielsweise doppelter Lebensdauer der mineralischen Bauweise kurzlebigere Bauwerke quasi zweimal errichtet werden müssen. Lebenszyklusanalysen, die das berücksichtigen, zeigen, dass die mineralische Bauweise fürs Klima hier Vorteile haben.
(+) plus: Beim Thema CO2-Senken wird oft argumentiert, dass die Nutzung von Holzbaustoffen CO2-neutral sei, weil die Emission beim Verbrennen von Holz durch das Nachwachsen neuer Bäume kompensiert wird. Was sagen Sie zu dieser Argumentation?
Leitl: Einerseits dauert es über 50 Jahre bis ein neu gepflanzter Baum wieder so viel CO2 speichern kann, wie der gefällte Baum. Andererseits wird der weltweite Waldbestand durch die intensive Holznutzung und die Folgen des Klimawandels wie Trockenheit, Extremwetterereignisse und Schädlingsbefall jährlich dezimiert. Nur eine entsprechende Schonung kann die natürlichen Funktionen des Waldes erhalten bzw. wiederherstellen: CO2-Senke, Sauerstoffproduktion und lokale Kühleffekte.
Aus dem Bericht der österreichischen Forst- und Waldstudie »CareforParis« geht hervor, dass im alles entscheidenden Zeitraum bis 2050 das Szenario mit etwas weniger Waldnutzung allen anderen Szenarien einer intensiveren Waldbewirtschaftung in seinem Klimaeffekt bei weitem überlegen ist. Etwas weniger Nutzung des Waldes, das »Vorratsaufbauszenario« erreicht im Jahr 2050 eine Kohlenstoffsenke von ca. 25.000 kt/a, während die anderen Szenarien unter Einrechnung von möglichen Substitutionseffekten von mineralischen Baustoffen durch Holz nur zwischen 8.000 und 18.000 kt/a erreichen.
Auch der WWF kam zu dem Schluss: »Selbst die Summenwirkung aus Holzprodukte-Pool, stofflicher und energetischer Substitution weist eine geringere Treibhausgasreduktion auf, als eine Steigerung des Vorratsaufbaus«, heißt es dort.
(+) plus: Welche Schlüsse ziehen Sie aus Ihrem Befund für das CO2-Thema im Bauweisenvergleich?
Leitl: Massive Gebäude schneiden hinsichtlich ihres CO2-Fußabdrucks über den Lebenszyklus ähnlich ab wie andere Gebäude. Das belegt auch die Studie »Innovative Gebäudekonzepte im Vergleich« des BMVIT, jetzt BMK, die unter Mitwirkung aller branchenrelevanter Institute zum Ergebnis kommt, dass es beim CO2-Ausstoß über den Lebenszyklus praktisch keinen Unterschied zwischen den Bauweisen gibt.
Nicht berücksichtigt wurde in dieser Studie die Karbonatisierung mineralischer Baustoffe, die eine zusätzliche Senkenleistung bereitstellt durch Bindung von CO2 aus der Luft in massiven Bauwerken. Auch der CO2-Transportrucksack ist zu beachten. Regionale Baustoffe haben hier entscheidende Vorteile. Daher sollte die Herkunft der Baustoffe deklariert werden, um den Konsumenten und Planern diesen Aspekt aufzuzeigen. Leider wird das nicht von allen Branchen so gesehen.
Mineralische Gebäude leisten übrigens auch einen wichtigen Beitrag zur Klimawandelanpassung des Bauens. Die Speichermasse mineralischer Gebäude kann durch thermische Bauteilaktivierung und Einsatz erneuerbarer Energie zum klimafreundlichen Heizen und Kühlen verwendet werden. Nachhaltige Gebäude erfordern aber nicht nur die optimalen Eigenschaften von Baustoffen, sondern müssen als System in einem lebenszyklusorientierten Gesamtkonzept betrachtet werden. Beispielsweise werden zukünftige Gebäude nicht nur Energie verbrauchen, sondern erneuerbare Energie vor Ort gewinnen und speichern bzw. über Niedrigtemperaturnetze im Verbund mit ähnlichen Gebäuden verteilen. Dadurch können energieautarke Gebäude und Quartiere geschaffen werden, wie sie von der Nachhaltigkeitsplattform »ReConstruct« vorgeschlagen werden.
(+) plus: Neue EU-Vorschriften auf Basis des European Green Deal verlangen von Bauprodukten bzw. neuen Bauwerken folgende Eigenschaften: Sie müssen dauerhaft, wiederverwertbar, bewährt, reparabel, energie- und ressourceneffizient sowie einfach zu warten und umzurüsten sein. Was bedeuten diese Anforderungen für die Bauweisen der Zukunft?
Leitl: Um eine echte Kreislaufwirtschaft zu erreichen wird es einen großen Wandel in der Bauwirtschaft geben müssen. Von der Baustofferzeugung, der Planung, Errichtung, Nutzung bis hin zum Abbruch muss neu gedacht werden. Ressourcenschonung, lange Nutzungsdauer, flexible Nutzungsmöglichkeiten, Trennbarkeit und Zerlegbarkeit der Bauteile sind hier einige Stichworte. Hier bestehen große Herausforderungen und es sind alle Branchen gefordert, zur Lösung beizutragen. Es wird noch Innovationen und neue Kombinationen von Baustoffen und Bauteilen in einem Gebäude erfordern, damit alle angeführten Ziele erreicht werden können.
(Titelbild: Fachverband Steine-Keramik)