Die Lebensräume schwinden, der Kampf um die Flächen wird härter. Gábor Wichmann, Geschäftsführer von BirdLife Österreich, hält eine Trendwende dennoch für möglich, wenn der Schutz der Biodiversität als unsere Lebensgrundlage erkannt wird.
(+) plus: Um die Artenvielfalt ist es in Österreich schlecht bestellt. Kommt die Biodiversitätsstrategie 2030 zu spät?
Gábor Wichmann: Es ist fünf vor zwölf. Wenn man sich den Zustand der Gewässer anschaut, dann kann man zumeist nur mehr Symptombehandlung betreiben. Auch im landwirtschaftlichen Bereich müssen wir aufpassen, dass wir nicht die Ökosysteme und damit ihre Stabilität ganz zerstören. Es gibt Tierarten, die sind in Österreich wohl für immer verloren. Aber ich bin hoffnungsvoll, dass wir bei entsprechenden Anstrengungen die Trendwende schaffen können, wobei es ja auch schon eine Biodiversitätsstrategie 2014–2020 gab, die unter anderem aufgrund fehlender Verbindlichkeit leider nur in Teilbereichen Erfolge erzielen konnte. Wir müssen also verstehen, dass der Schutz der Biodiversität keine Orchideenwissenschaft ist, sondern unsere Lebensgrundlage schützt. Der Planet wird auch ohne uns auskommen. Umgekehrt funktioniert das nicht.
(+) plus: Was sind die Hauptfaktoren für den Verlust von Lebensraum in Österreich?
Wichmann: Es ist natürlich die Art und Weise, wie wir mit unserem Planeten umgehen. Die größte negative Entwicklung sehen wir im Bereich der Landwirtschaft und bei den Feuchtlebensräumen. Ich möchte hier dezidiert nicht die einzelnen Landwirte als Schuldige hinstellen. Nein, wir müssen als Gesellschaft das System ändern. Bei den Feuchtgebieten hat es schon vor langer Zeit angefangen, als wir die Lebensräume entwässerten, Flüsse begradigten, Kraftwerke bauten. Wir sind eigentlich hier schon fast am Ende der Entwicklung angelangt. Im Waldbereich schaut es noch deutlich besser aus. Aber auch hier gibt es kaum noch unberührte Urwälder. Flechten, Pilze oder auch Totholzkäfer – um diese ist es eigentlich alles andere als gut bestellt.
(+) plus: Ein großes Problem ist die fortschreitende Flächenversiegelung. Wie wirksam sind Ausgleichsflächen?
Wichmann: Die Frage bei der Flächenversiegelung ist der Raum, der zur Verfügung steht. Schauen wir uns die Landwirtschaft an: Wir wollen auf landwirtschaftlichen Flächen neben dem primären Zweck der Nahrungsmittelproduktion auch Energie gewinnen. Aber wir benötigen auch Freiraum für die Natur, weil sonst die Ökosysteme zusammenbrechen werden. Wenn wir dann auch noch zunehmend verbauen, dann wird der Kampf um die Flächen härter. Wir benötigen eine gute Raumplanung. Und diese haben wir nicht.
(+) plus: Ist Rohstoffgewinnung im Einklang mit der Natur möglich?
Wichmann: Dies ist natürlich möglich. Wir haben dies schon in einem vom Forum Rohstoffe koordinierten und vom Land Niederösterreich und der EU geförderten Projekt zu den Kiesgruben und Steinbrüchen gesehen. Es ist möglich, Naturschutz neben und gemeinsam mit der normalen Bewirtschaftung zu betreiben.
(+) plus: Eine Abbaustätte reißt eine Wunde in die Landschaft, bietet aber auch neuen Lebensraum. Sehen Sie solche Sekundärhabitate als Chance für gefährdete Arten?
Wichmann: Natürlich wünsche ich mir als Biologe z. B. dynamische Flusslandschaften. Nur gibt es solche Habitate nur mehr eingeschränkt. Gerade dynamische Lebensräume fehlen bei uns in der Landschaft. Und Abbaustätten können diese Funktion übernehmen. Aber am ehesten dann, wenn es dem Besitzer bewusst ist.
(+) plus: Wie funktioniert Ihre Zusammenarbeit mit den Unternehmen? Steigt das Interesse – Stichwort Corporate Social Responsibility?
Wichmann: Ich habe schon das Gefühl, dass das Interesse und auch die Bereitschaft, Naturschutz zu betreiben, steigt. Und es wurden und werden ja schon Naturschutzmaßnahmen in den Betrieben umgesetzt. Wichtig ist, dass diese »Vorreiterbetriebe« den anderen die Bedenken nehmen. Da bin ich guter Dinge, dass wir gemeinsam viel erreichen können. Gewonnen haben wir, wenn der Schutz der Biodiversität im normalen Betriebsablauf als natürlicher Bestandteil gesehen wird.
(+) plus: Das in Niederösterreich durchgeführte Projekt »Arten- und Lebensraumschutz in Rohstoffgewinnungsbetrieben« wird nun auf ganz Österreich ausgerollt. Wie sieht Ihre Bilanz aus?
Wichmann: Wir haben gute und wertvolle Erfahrungen gemacht. Eine große Zahl von Betrieben konnte erreicht und viele Maßnahmen für die Natur in den Gewinnungsstätten umgesetzt werden. Diese Erfahrungen wollen wir nun auf ganz Österreich ausweiten. Das neue zweijährige Förderprojekt wurde im März 2022 genehmigt. Es laufen aktuell die Vorbereitungen zur Umsetzung, die noch dieses Frühjahr starten soll. Interessierte Betriebe sind herzlich eingeladen, sich bei unserem Mitarbeiter Christof Kuhn (