Sonntag, Dezember 22, 2024

Die Lebensräume schwinden, der Kampf um die Flächen wird härter. Gábor Wichmann, Geschäftsführer von BirdLife Österreich, hält eine Trendwende dennoch für möglich, wenn der Schutz der Biodiversität als unsere Lebensgrundlage erkannt wird. 


(+) plus: Um die Artenvielfalt ist es in Österreich schlecht bestellt. Kommt die Biodiversitätsstrategie 2030 zu spät?

Gábor Wichmann: Es ist fünf vor zwölf. Wenn man sich den Zustand der Gewässer anschaut, dann kann man zumeist nur mehr Symptombehandlung betreiben. Auch im landwirtschaftlichen Bereich müssen wir aufpassen, dass wir nicht die Ökosysteme und damit ihre Stabilität ganz zerstören. Es gibt Tierarten, die sind in Österreich wohl für immer verloren. Aber ich bin hoffnungsvoll, dass wir bei entsprechenden Anstrengungen die Trendwende schaffen können, wobei es ja auch schon eine Biodiversitätsstrategie 2014–2020 gab, die unter anderem aufgrund fehlender Verbindlichkeit leider nur in Teilbereichen Erfolge erzielen konnte. Wir müssen also verstehen, dass der Schutz der Biodiversität keine Orchideenwissenschaft ist, sondern unsere Lebensgrundlage schützt. Der Planet wird auch ohne uns auskommen. Umgekehrt funktioniert das nicht. 

(+) plus: Was sind die Hauptfaktoren für den Verlust von Lebensraum in Österreich?

Wichmann: Es ist natürlich die Art und Weise, wie wir mit unserem Planeten umgehen. Die größte negative Entwicklung sehen wir im Bereich der Landwirtschaft und bei den Feuchtlebensräumen. Ich möchte hier dezidiert nicht die einzelnen Landwirte als Schuldige hinstellen. Nein, wir müssen als Gesellschaft das System ändern. Bei den Feuchtgebieten hat es schon vor langer Zeit angefangen, als wir die Lebensräume entwässerten, Flüsse begradigten, Kraftwerke bauten. Wir sind eigentlich hier schon fast am Ende der Entwicklung angelangt. Im Waldbereich schaut es noch deutlich besser aus. Aber auch hier gibt es kaum noch unberührte Urwälder. Flechten, Pilze oder auch Totholzkäfer – um diese ist es eigentlich alles andere als gut bestellt.

(+) plus: Ein großes Problem ist die fortschreitende Flächenversiegelung. Wie wirksam sind Ausgleichsflächen?

Wichmann: Die Frage bei der Flächenversiegelung ist der Raum, der zur Verfügung steht. Schauen wir uns die Landwirtschaft an: Wir wollen auf landwirtschaftlichen Flächen neben dem primären Zweck der Nahrungsmittelproduktion auch Energie gewinnen. Aber wir benötigen auch Freiraum für die Natur, weil sonst die Ökosysteme zusammenbrechen werden. Wenn wir dann auch noch zunehmend verbauen, dann wird der Kampf um die Flächen härter. Wir benötigen eine gute Raumplanung. Und diese haben wir nicht.

(+) plus: Ist Rohstoffgewinnung im Einklang mit der Natur möglich?

Wichmann: Dies ist natürlich möglich. Wir haben dies schon in einem vom Forum Rohstoffe koordinierten und vom Land Niederösterreich und der EU geförderten Projekt zu den Kiesgruben und Steinbrüchen gesehen. Es ist möglich, Naturschutz neben und gemeinsam mit der normalen Bewirtschaftung zu betreiben. 

(+) plus: Eine Abbaustätte reißt eine Wunde in die Landschaft, bietet aber auch neuen Lebensraum. Sehen Sie solche Sekundärhabitate als Chance für gefährdete Arten?

Wichmann: Natürlich wünsche ich mir als Biologe z. B. dynamische Flusslandschaften. Nur gibt es solche Habitate nur mehr eingeschränkt. Gerade dynamische Lebensräume fehlen bei uns in der Landschaft. Und Abbaustätten können diese Funktion übernehmen. Aber am ehesten dann, wenn es dem Besitzer bewusst ist. 

(+) plus: Wie funktioniert Ihre Zusammenarbeit mit den Unternehmen? Steigt das Interesse – Stichwort Corporate Social Responsibility?

Wichmann: Ich habe schon das Gefühl, dass das Interesse und auch die Bereitschaft, Naturschutz zu betreiben, steigt. Und es wurden und werden ja schon Naturschutzmaßnahmen in den Betrieben umgesetzt. Wichtig ist, dass diese »Vorreiterbetriebe« den anderen die Bedenken nehmen. Da bin ich guter Dinge, dass wir gemeinsam viel erreichen können. Gewonnen haben wir, wenn der Schutz der Biodiversität im normalen Betriebsablauf als natürlicher Bestandteil gesehen wird. 

(+) plus: Das in Niederösterreich durchgeführte Projekt »Arten- und Lebensraumschutz in Rohstoffgewinnungsbetrieben« wird nun auf ganz Österreich ausgerollt. Wie sieht Ihre Bilanz aus?

Wichmann: Wir haben gute und wertvolle Erfahrungen gemacht. Eine große Zahl von Betrieben konnte erreicht und viele Maßnahmen für die Natur in den Gewinnungsstätten umgesetzt werden. Diese Erfahrungen wollen wir nun auf ganz Österreich ausweiten. Das neue zweijährige Förderprojekt wurde im März 2022 genehmigt. Es laufen aktuell die Vorbereitungen zur Umsetzung, die noch dieses Frühjahr starten soll. Interessierte Betriebe sind herzlich eingeladen, sich bei unserem Mitarbeiter Christof Kuhn (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.) zu melden.

Meistgelesene BLOGS

Firmen | News
24. September 2024
Konkrete Lösungen und relevante Technologien für eine klimaneutrale Industrie stehen im Mittelpunkt der dritten internationalen Konferenz am 24./25. Oktober in Wien Am 24. und 25. Oktober 2024 veranst...
Firmen | News
20. September 2024
Gemeinsam die Welle der Vorschriften meistern: Navigieren im Cybersecurity-Meer Donnerstag, 10. Oktober 2024, 09:00 Uhr bis 17:15 Uhr Austria Trend Hotel Savoyen WienRennweg 16, 1030 Wien Neue Regulie...
Marlene Buchinger
11. September 2024
Prozessverständnis und Bestandsaufnahme der Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit ist wie das Thema Qualität – jede*r trägt dazu bei und die Betrachtung endet nicht am Werkstor oder der Bürotür. Daher sind Pr...
Redaktion
27. August 2024
Die Zertifizierung- und Trainingsinstanz CIS – Certification & Information Security Services GmbH im Bereich Informationssicherheit, Datenschutz, Cloud Computing und mehr, beleuchtet erstmalig die...
Redaktion
04. September 2024
Ökologische Baumaterialien: Der Weg zu umweltfreundlichen Gebäuden Die Bauindustrie befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel, bei dem ökologische Baumaterialien eine zentrale Rolle spielen. Tradit...
Alfons A. Flatscher
06. November 2024
Mit Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus zeichnet sich ein neues Kapitel der Handelspolitik der USA ab – und für europäische Unternehmen könnten die nächsten Jahre herausfordernd werden. Trump, bekan...
LANCOM Systems
14. Oktober 2024
Die österreichische Bundesbeschaffung GmbH (BBG) hat die Lösungen des deutschen Netzwerkinfrastruktur- und Security-Herstellers LANCOM Systems in ihr Portfolio aufgenommen. Konkret bezieht sich die Ra...
Firmen | News
30. September 2024
Die Wahl der richtigen Matratze kann einen großen Unterschied in Ihrem Leben machen. Es gibt viele Faktoren zu berücksichtigen, bevor Sie eine Entscheidung treffen. Erfahren Sie, wann der beste Zeitpu...

Log in or Sign up