Um die ambitionierten Zielvorgaben der Biodiversitätsstrategie zu erreichen, müssen Bund, Länder und Gemeinden an einem Strang ziehen. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler kann sich im Report(+)PLUS-Interview eine Zweckwidmung der Schotterabgabe vorstellen.
Titelbild: Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler im Interview. (Credit: BMK/Cajetan Perwein)
(+) plus: Der Entwurf zur Biodiversitätsstrategie 2030 wird in einem partizipativen Prozess auf Basis tausender Stellungnahmen erstellt. Wie zufrieden sind Sie mit dem bisher erzielten Konsens?
Leonore Gewessler: Unsere Natur ist unsere Lebensversicherung, darauf müssen wir gut aufpassen. Klar ist: Der Erhalt der Biodiversität ist ein gemeinsamer Kraftakt, bei dem alle Bereiche der Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft gefordert sind, dafür ihre Verantwortung zu übernehmen. Die neue Biodiversitätsstrategie wird das Produkt dieses gemeinsamen Prozesses sein und wird einen zentralen Baustein zum Erhalt der Biodiversität in Österreich darstellen. Damit unterstützen wir aber auch die Erreichung der EU-Zielsetzungen zu Biodiversität und setzen international ein wichtiges Zeichen.
Besonders erfreulich sind die in der Strategie enthaltenen ambitionierten Zielvorgaben, etwa die Einrichtung von Schutzgebieten im Ausmaß von 30 Prozent, die Erhöhung des Anteils von Biolandbau von derzeit 26 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf 35 Prozent oder auch die gemeinsame Zielsetzung, dass ein Drittel der gefährdeten Biotoptypen und gefährdeter Arten einen verbesserten Zustand aufweisen sollen.
(+) plus: In welchen Bereichen hätten Sie sich strengere Maßnahmen und Regelungen gewünscht?
Gewessler: Die Biodiversitätsstrategie wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass wir unsere Lebensgrundlage bestmöglich erhalten. Hier müssen wir alle – Bund, Länder und Gemeinden – an einem Strang ziehen. Es ist geplant, dass wir nach der Vorlage der Strategie auch rasch eine eigene »Task Force« einsetzen, die mir regelmäßig über den Stand der Umsetzung berichten wird. Außerdem forcieren wir mit dem neuen Biodiversitätsfonds jetzt schon gezielt Projekte, die unsere Biodiversität in Österreich erhalten und verbessern werden.
(+) plus: Österreich ist, was den Erhalt der Artenvielfalt betrifft, im europäischen Vergleich eines der Schlusslichter. Gegenüber aktuellen Krisen tritt diese Problematik jedoch in den Hintergrund. Welchen Stellenwert hat das Thema für Sie?
Gewessler: Die Biodiversitätskrise ist mit der Klimakrise die zweite große Herausforderung, vor der wir stehen. Wir müssen unsere letzten Naturschätze schützen und unseren seltenen Tier- und Pflanzenarten wieder intakte Lebensräume zurückgeben. Die Artenvielfalt unserer Natur ist unsere Lebensgrundlage, die Grundlage unserer Gesundheit und unsere Zukunft. Wir brauchen eine gesunde, intakte Natur für unser Wohlbefinden und eine klimafreundliche wirtschaftliche Entwicklung. Die Krisen hängen auch eng miteinander zusammen. Die Naturvielfalt ist durch den Klimawandel gefährdet, während der Klimaschutz auf eine anpassungsfähige und vielfältige Natur angewiesen ist. Unsere Natur ist daher ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen die Klimakrise, den zu gefährden oder gar zu verlieren wir uns nicht leisten können.
(+) plus: Eine Ursache für den Rückgang der Biodiversität ist die fortschreitende Bodenversiegelung. Inwieweit sollte der Flächenverbrauch Ihrer Meinung nach limitiert werden?
Gewessler: Österreich ist leider trauriger Spitzenreiter beim Bodenverbrauch. Im Durchschnitt werden pro Tag ca. 11,5 Hek-tar an Flächen neu in Anspruch genommen. Der Verlust von Grünflächen und die Änderung der Flächennutzung zählen zu den wesentlichsten Ursachen für den Verlust unserer Artenvielfalt in Österreich. Deshalb haben wir in der Biodiversitätsstrategie genauso wie im Regierungsprogramm deutlich festgehalten, dass wir bis 2030 den Flächenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag reduzieren müssen – ein ambitioniertes, aber notwendiges Ziel. Wir haben dazu auch bereits ein eigenes Brachflächen-Recycling-Programm gestartet, wo wir gezielt die Nutzung von bereits versiegelten Flächen in Ortskernen fördern.
(+) plus: Der Vorschlag, zehn Prozent der Landesfläche unter Schutz zu stellen und somit wirtschaftlich ungenützt zu belassen, hat für heftigen Widerstand gesorgt. Konnten Sie die Kritiker*innen überzeugen?
Gewessler: Es steht außer Frage: Der Schutz von Biodiversität in Schutzgebieten zählt zu den zentralen Maßnahmen für den Erhalt der Artenvielfalt. Und das rechnet sich auch wirtschaftlich. Denn zahlreiche Studien belegen, dass Schutzgebiete auch wirtschaftliche Vorteile bringen, etwa für den Tourismus. Jeder Euro, der in Schutzgebiete investiert wird, rechnet sich somit gleich mehrfach – für unsere Wirtschaft, für unsere Natur und kommt dem Klima zugute.
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler will den Dialog mit den zuständigen Stellen auf Bundes- und Landesebene verstärken. (Credit: BMK/Cajetan Perwein)
(+) plus: Sind Landwirtschaft und Biodiversität ein Widerspruch?
Gewessler: Ganz im Gegenteil. Eine zukunftsfähige Landwirtschaft ist angewiesen auf gesunde, funktionierende Ökosysteme und Naturvielfalt. Pflanzen, Tiere, Pilze und Mikroorganismen reinigen Wasser und Luft und sorgen für fruchtbare Böden.
(+) plus: Vorgesehen ist auch die Einführung einer Schotterabgabe bei landschaftsverbrauchenden Maßnahmen durch mineralische Rohstoffgewinnung. Welchen Zwecken soll dieses Geld zugutekommen?
Gewessler: Die bestehenden Regelungen für eine Schotterabgabe in den Bundesländern unterscheiden sich sehr. Ich könnte mir hier eine Zweckbindung dieser Abgaben für die Biodiversität vorstellen, z. B. für Naturschutz- und Landschaftspflegefonds. Das würde auch die Wirkungsweise der Abgaben verbessern und stärken.
(+) plus: Der Naturschutz liegt in der Kompetenz der Bundesländer. Würden Sie ein einheitliches Rahmengesetz befürworten?
Gewessler: Aktuell ist ein Gutachten zur Sondierung und Stärkung der Kompetenzrechtslage im Bereich Biodiversität in Arbeit. Die Biodiversität betrifft eine Reihe an verschiedenen Rechtsmaterien. Ich bin jederzeit bereit, hierzu mit den zuständigen Stellen auf Bundes- und Landesebene in einen Dialog zu treten.