Unter Einbeziehung mehrerer tausend Stellungnahmen erstellte das Klimaschutzministerium einen Entwurf für die Nationale Biodiversitätsstrategie 2030+. Die Begutachtung durch die Biodiversitätskommission sollte im Frühjahr abgeschlossen sein. Auf den letzten Metern brachte die Kritik der Landwirtschaftskammer das Vorhaben noch ins Wanken.
Nach knapp zwei Jahre dauernden Vorarbeiten und vielen Workshops, an denen auch das Forum mineralische Rohstoffe beteiligt war, liegt seit Juli 2021 ein tragfähiger Kompromiss auf dem Tisch. Seither wird der Entwurf in der Biodiversitätskommision, der einige Dutzend Expert*innen und Betroffene angehören, in Sitzungen und Arbeitsgruppen diskutiert.
Aufgrund der großen Bedeutung wählte das Klimaschutzministerium in der Erstellung diesen bisher einzigartigen Weg in Form eines partizipativen Prozesses. »Biodiversität betrifft uns alle«, erklärt Valerie Zacherl-Draxler, Vorsitzende der Biodiversitätskommission, die besondere Vorgangsweise. »Daher ist ein offener, transparenter und partizipativer Prozess besonders wichtig, um allen Gelegenheit zu bieten, sich einzubringen und damit auch bei der Umsetzung einen entsprechenden Beitrag zu leisten.«
Funktionierende Ökosysteme
Österreich zählt aufgrund der Vielzahl unterschiedlichster Lebensräume zu den artenreichsten Ländern Mitteleuropas. Rund 45.000 Tierarten und 2.900 Farn- und Blütenpflanzen kommen hierzulande vor. Fast 600 Tierarten und rund 150 Pflanzenarten sind nur in Österreich zu finden.
Allerdings ist der Erhaltungszustand der Schutzgüter wenig zufriedenstellend. Von den 270 österreichischen Vogelarten weist ein Viertel einen negativen Populationstrend auf. Nahezu alle Reptilien- und Amphibienarten sind bedroht, bei den restlichen Wirbeltiergruppen liegt der Anteil der bedrohten Arten zwischen 45 und 65 Prozent. 246 der 488 Biotoptypen sind gefährdet. »Wir sind auf funktionierende Ökosysteme und Artenvielfalt angewiesen«, erklärt Stefan Schindler, Experte für biologische Vielfalt im Umweltbundesamt. »Sie sind essenziell für den Klimaschutz und eine Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung.«
Stefan Schindler, Umweltbundesamt: »Wir sind auf funktionierende Ökosysteme und Artenvielfalt angewiesen.« (Bild: BMNT/Paul Gruber)
Die Nationale Biodiversitätsstrategie 2030+ gilt als zentraler Baustein für den Schutz dieser heimischen Artenvielfalt und den Erhalt wertvoller Lebensräume wie Flüsse, Wälder und Moore. Sie orientiert sich stark an den Vorgaben der EU-Biodiversitätsstrategie, die im Mai 2020 veröffentlicht wurde. Drei Hauptpunkte sind bereits fixiert: Mindestens 30 Prozent der Landesfläche sollen unter Schutz gestellt werden, mindestens zehn Prozent Landesfläche (d. h. ein Drittel der geschützten Gebiete) sollen unter strengem Schutz stehen und die tägliche Flächeninanspruchnahme soll auf weniger als 2,5 Hektar reduziert werden.
Turbulenzen in der Kommission
Doch noch ehe die Letztfassung des Entwurfs endlich zum Beschluss freigegeben wurde, torpedierte Josef Moosbrugger, Präsident der österreichischen Landwirtschaftskammer im April die geplanten Maßnahmen – obgleich sich Vertreter*innen der Interessenvertretung bereits bei Umformulierungen des Textes stark eingebracht hatten.
»Die Biodiversitätsstrategie gefährdet Versorgung und Umweltschutz«, stellte Moosbrugger das Vorhaben grundsätzlich in Frage und beklagte insbesondere die Halbierung des Einsatzes von Pestiziden: Die Lebensmittelproduktion würde in Folge um ein Achtel sinken. Die Äußerungen Moosbruggers stießen bei den anderen Kommissionsmitgliedern auf heftige Kritik und Unverständnis, war doch vereinbart worden, während des laufenden Verfahrens keine öffentlichen Statements abzugeben.
Der WWF warf den Vertretern der Land- und Forstwirtschaft »monatelange Blockade« der Strategie vor. Es brauche einen »nationalen Kraftakt, um die Naturzerstörung und das Artensterben zu stoppen«. SPÖ-Umweltsprecherin Julia Herr verwies auf den jüngsten Bericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), wonach die »desaströsen Auswirkungen von Pflanzengiften auf die Artenvielfalt völlig unbestritten« sind.
Bereits im Herbst hatte Franz Essl, Professor für Biodiversitätsforschung an der Universität Wien und Mitglied im Leitungsgremium des Biodiversitätsrats, davor gewarnt, dass die im Entwurf formulierten Ziele auf den letzten Metern noch abgeschwächt werden könnten: »Ein solches Vorgehen wäre ein Schlag ins Gesicht der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft und würde auch den Prozess der Konsultation bei der Erstellung der Strategie konterkarieren.«
Um die angestrebte Wende tatsächlich zu schaffen, sind nach Ansicht des Österreichischen Biodiversitätsrats zahlreiche flankierende Maßnahmen – etwa der gezielte Ausbau des Schutzgebietsnetzwerks und eine faire Anerkennung von Leistungen für den Erhalt und die Förderung von Biodiversität im Agrarumweltprogramm ÖPUL – nötig. Dafür brauche es auch eine Aufstockung der finanziellen Mittel. Der Nationale Biodiversitätsfonds ist bis 2026 mit 80 Millionen Euro dotiert, aktuell werden 14 Projekte gefördert.
Franz Maier, Umweltdachverband: »Wir dürfen das große Ganze nicht wegen einiger weniger Konfliktpunkte aufs Spiel setzen.« (Bild: Umweltdachverband)
Tatsächlich spießt es sich nur bei fünf der 300 Ziele. »Zwischen dem naturschutzfachlich dringend Notwendigem und den wirtschaftlichen Interessen einiger Stakeholder konnte in einigen Punkten kein Konsens erzielt werden«, bestätigt Franz Maier, Präsident des Umweltdachverbandes. Er appelliert, den politischen Dialog nicht abzubrechen: »Auf dem Spiel steht nichts weniger als unser aller Lebensversicherung. Biodiversitätsschutz ist Lebensschutz, wir dürfen das große Ganze nicht wegen einiger weniger Konfliktpunkte aufs Spiel setzen.«
Abstimmung mit Rohstoffstrategie
Im Themenbereich »Rohstoffgewinnung und Rohstoffproduktion« waren im Erstentwurf sieben Maßnahmen vorgesehen, zu denen das Forum mineralische Rohstoffe eine Stellungnahme abgab. Sämtliche Einwände wurden in der überarbeiteten Fassung berücksichtigt. Folgende Maßnahmen sind derzeit vorgesehen:
Entwicklung eines Konzepts zur Optimierung ökologischer Maßnahmen zur Reduktion der Biodiversitätsbeeinträchtigung bei der Rohstoffgewinnung gemeinsam mit den betreffenden Wirtschaftszweigen (zum Beispiel. Sicherung von Lebensräumen für Brutvögel in Fels- und Steilwänden oder auf Kies- und Schotterflächen).
Prüfung von rechtlichen Möglichkeiten sowie von naturschutzfachlichen Rahmenbedingungen für »Naturschutz auf Zeit« (für Steinbrüche, Schottergruben, Bahndämme etc., die nicht genutzt werden), wobei sichergestellt werden muss, dass eine spätere Nutzung auf einer für die Rohstoffgewinnung genehmigten Fläche möglich bleibt.
Berücksichtigung der Biodiversität bei Rekultivierungs- und Renaturierungsmaßnahmen; vorzugsweise Verwendung von einheimischen, standortgerechten und klimawandelresistenten Pflanzenarten.
Schaffung ökologisch hochwertiger Teilflächen nach Beendigung des Abbaus.
Einführung der Schotterabgabe bei landschaftsverbrauchenden Maßnahmen durch mineralische Rohstoffgewinnung in allen Ländern mit Zweckbindung, zum Beispiel für Naturschutz- oder Landschaftspflegefonds.