»Reiten wir in die Stadt, der Rest ergibt sich dann schon«, sagt Clint Eastwood in einem Western zu seinen Gefolgsleuten. Für den planenden Manager ist so ein Satz fast unerträglich. Aus Leadership-Sicht hört sich das heute aber gar nicht so verkehrt an. Ein Gastkommentar von Herbert Strobl.
Ein Computer kann mehr als eine Schreibmaschine, ein Smartphone ist vielseitiger als ein Telefon mit Wählscheibe. Höherwertige Fähigkeiten bedingen aber immer auch ein Mehr an Komplexität. Globalisierung oder Digitalisierung haben heute die Möglichkeiten für ein Unternehmen exponentiell ansteigen lassen. Informationen sind nur einen Mausklick entfernt, Sachen lassen sich weltweit beschaffen und absetzen.
Gleichzeitig ist die steigende Komplexität für Organisationen laut vielen Umfragen aber auch zur größten Herausforderung geworden. Was ist überhaupt eine relevante Information für mich? Was bedeutet ein querstehendes Containerschiff im Suezkanal für mein Geschäft? Die frühere komplizierte Welt, in der ich im Prinzip Regeln überblicken und verstehen konnte, hat sich fundamental gedreht. Komplexität ist die Eigenschaft eines Systems, dass sein Gesamtverhalten nicht beschreibbar ist, selbst wenn man vollständige Informationen über seine Einzelbestandteile und ihre Wechselwirkungen besitzen würde.
»Komplexitätsmanagement« kann deshalb nicht die passende Antwort sein. Das Wort selbst gleicht schon einem Oxymoron: einer Verbindung zweier sich gegenseitig ausschließender Begriffe wie »beredtes Schweigen« oder »Holzeisenbahn«. Es wäre dumm, wenn Unternehmen einfach nur mit linear-kausalem Expertentum gegenzusteuern versuchen. Die Antwort auf Komplexität aus der Umwelt kann nur eine entsprechende innere Komplexität sein. William Ross Ashby hat dazu sein berühmtes Gesetz postuliert: Je mehr unterschiedliche Möglichkeiten ein System hat, um zu steuern und zu regulieren, desto mehr Störungen wird es auch ausgleichen können.
Eine konkrete Antwort auf die Kernfrage, wie Steuerung und Regulierung in einem zunehmend komplexen System funktionieren können, ist agiles Arbeiten: Die Entscheidung erfolgt selbstorganisiert im Team und möglichst dort, wo auch die Impulse von außen auftreffen.
Höherrangige Entscheidungen müssen immer noch von Führungskräften getroffen werden. Dies führt auch zu einer Komplexitätsreduktion per se, weil sich die Organisation »quasi auf eine beschlossene Zukunft« einstellen kann (ob es die Richtige war, zeigt sich ex post). Dabei wissen diese oft aber selbst nicht, wie sie den reißenden Fluss überqueren sollen, zumal eine aufwendige Brückenplanung gar nicht mehr möglich ist.
Heute geht es vielmehr darum, solide Trittsteine zu definieren und sich so auf Sicht weiterzubewegen. Die richtigen Trittsteine lassen sich am besten in einem professionellen Coachingprozess finden und ausloten. Darüber hinaus hilft es enorm, wenn echte Gefolgschaft durch eine entsprechende Unternehmenskultur gegeben ist. Dann lässt sich mit Unsicherheit viel besser umgehen. Clint Eastwood lässt grüßen.
Der Autor:
Herbert Strobl ist Managementberater und Entwicklungsbegleiter mit den Schwerpunkten Führung, Veränderung und Unternehmenskultur. Er verfügt über 20 Jahre Führungserfahrung in internationalen Konzernen und arbeitet als systemischer Unternehmensberater.
Info: www.herbertstrobl.cc