Anlässlich des Treffens der EU-Innenminister in Innsbruck startete Österreich Anfang Juli befristete Kontrollen an mehreren Grenzübergängen zu Deutschland und Italien. Weitere Kontrollen sollen im September folgen. Ein Zusammenhang mit derzeit auf EU-Ebene diskutierten verschärften Maßnahmen gegen Asylwerber wird dementiert. Kanzler Sebastian Kurz kündigte jedoch an, bei intensiveren Grenzkontrollen der deutschen Behörden die Grenzübergänge zu Slowenien, Italien und Ungarn ebenso zu überwachen. Report(+)PLUS hat bei ExpertInnen nachgefragt, wie sie die Auswirkungen dieser Vorhaben einschätzen.
1.Welche Folgen hätten dauerhafte Grenzkontrollen an der österreichischen Grenze?
Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft am Zentrum für Europäische Wirtschaft in Mannheim
Grenzkontrollen würden grenz-überschreitende Reisezeiten für Güter und Menschen verlängern. Sie wirken wie Zoll auf grenzüberschreitende Aktivitäten und würden den innereuropäischen Austausch verringern. Hinzu kommen die Kosten der zusätzlichen Beamten, die der Steuerzahler tragen muss. All diese Nachteile würden dennoch Sinn machen, wenn innereuropäische Grenzkontrollen einen wesentlichen Beitrag für eine sinnvolle europäische Asylpolitik leisten könnten. Das tun sie aber gerade nicht. Sie sind eher ein Zeichen des Versagens als ein Lösungsbeitrag.
Stefan Ebner, Stv. Geschäftsführer des Bundessparte Transport und Verkehr der Wirtschaftskammer Österreich
Dauerhafte Grenzkontrollen sind vom Charakter örtlich bereits gegeben. Bei Lkw-Fahrten nach Deutschland planen die Logistiker derzeit Verzögerungen von einer halben bis zu einer ganzen Stunde ein. Bei Routenplanungen für 17.000 Lkw täglich via Suben, Walserberg, Kufstein-Kiefersfelden oder Hörbranz müssen derzeit schon Verzögerungen einkalkuliert werden. Bis zu eine Million Euro sind als Mehrkosten aufgrund diese Verlangsamung des Verkehrs und der Stehzeiten zu veranschlagen. Die Mehrkosten tragen die Empfänger der Waren und letztlich die Konsumenten. Nicht beachtet sind hier fallweise Grenzkontrollen (am Brenner) oder Blockabfertigungen mit enormen Rückstaus bei der Einreise nach Österreich.
Walter Obwexer, Professor am Institut für Europarecht und Völkerrecht der Universität Innsbruck
Dauerhafte Grenzkontrollen sind beim derzeitigen Stand des Unionsrechts nicht erlaubt. Ihre Einführung würde eine entsprechende Änderung des Schengener Grenzkodex erfordern. Ohne eine solche – wohl nur schwer zu realisierende – Änderung wären sie rechtswidrig. Als rechtliche Folge davon dürften die nationalen Regelungen, die Grenzkontrollen vorschreiben, nicht angewendet werden. In wirtschaftlicher Hinsicht würden dauerhafte Grenzkontrollen durch Staus und Wartezeiten an den Grenzen spürbare Kosten verursachen und damit volkswirtschaftliche Schäden für die EU im Allgemeinen und Österreich im Besonderen zur Folge haben.
2. Sehen Sie die Idee und den Nutzen des EU-Binnenmarktes dadurch in Gefahr?
Friedrich Heinemann:
Der Binnenmarkt würde behindert, aber nicht ernsthaft gefährdet. Die Europäische Union ist aber mehr als ein Binnenmarkt. Die Union soll ihren Mitgliedstaaten helfen, europäische Probleme europäisch zu lösen. Die Steuerung von Migration und Menschen auf der Flucht ist eine gesamteuropäische Aufgabe. Innereuropäische Grenzkontrollen mit ihrer Logik der »Kettenreaktion der Abschottung« sind im Grunde eine Absage an eine europäische Lösung
Stefan Ebner:
Warentransporte sollten sowohl innerhalb Österreichs als auch innerhalb der EU-Staaten möglichst administrationsfrei erfolgen. Bei der Erbringung von Verkehrsdienstleistungen müssen ohnehin bereits zahlreiche Regulierungen beachtet werden. Ein Hochziehen gar aller Grenzbalken wäre eine weitere massive Störung des Binnenmarktes und würde Wirtschaftsabläufe um drei Jahrzehnte zurückwerfen. Für das Ziel, dass Menschen, Waren und Dienstleistungen (weitgehend) frei zirkulieren, muss sich jeder Akteur aus Politik und Wirtschaft täglich noch mehr als bisher einsetzen.
Walter Obwexer:
Dauerhafte Grenzkontrollen würden die Idee des Binnenmarktes als Raum ohne Binnengrenzen in Frage stellen. Wenn sie – wovon auszugehen ist – auf den Personenverkehr beschränkt blieben und den Warenverkehr nicht beträfen, würden sie dem Binnenmarkt jedoch nur einen Teil seines Nutzens nehmen, ein wesentlicher Teil würde weiter bestehen bleiben, so wie dies bis zur Inkraftsetzung des Schengener Systems im Jahre 1998 der Fall war.
3.Wie sollte man künftig mit Migranten an der Grenze umgehen?
Friedrich Heinemann:
Bei dieser Frage muss man heute ja leider mit einer für das »christliche Abendland« eigentlichen Selbstverständlichkeit beginnen: Jedem Menschen – an der Grenze und sonstwo – müssen EU-Staaten mit Humanität und strikten Regeln der Rechtsstaatlichkeit begegnen. Entscheidend für die Details ist, dass Europa an allen seinen Grenzen gemeinsame Regeln zur Aufnahme von Schutz suchenden Menschen anwendet. Die EU – oder zumindest ein Teil der EU-Staaten – sollte sich auf die Zugangs- und Aufnahmebedingungen und die Lastenteilung einigen. Dann würden innereuropäischen Grenzkontrollen überflüssig werden.
Stefan Ebner:
Die Migration betrifft die Bewegung von Menschen. Die Logistiker beschäftigen sich jedoch mit der Beförderung von Waren von A nach B. Die Sicherheitsgefahr für Menschen ist dann besonders groß, wenn diese fürs Weiterkommen (als Flüchtling) auf nicht geeignete Beförderungsmittel wie Lkw aufsteigen. Frächter weisen daher durchwegs ihre Lenker an, beispielsweise auf Fahrten nach England (nach der deutschen Grenze) in Frankreich, in Belgien oder in Holland nicht mehr auf Stellflächen stehen zu bleiben, weil sich möglicherweise Fremde Zutritt zu Ladeflächen oder Nischen im Fahrzeugaufbau verschaffen. Unsicherheiten an den Außengrenzen verursachen Unsicherheiten im Binnenland.
Walter Obwexer:
Binnengrenzkontrollen können die Migration von Schutzsuchenden innerhalb der EU, die sog. Sekundärmigration, auf längere Sicht nicht lösen. Die EU muss die Migration gemeinsamen einer Lösung zuführen, die auf dem Grundsatz der Solidarität und der gerechten Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten beruht. Dabei kommt einem effizienten Schutz der Außengrenzen, einer funktionierenden Rückführung von nicht schutzbedürftigen Personen in ihre Herkunftsländer sowie einer wirksamen Bekämpfung der Migrationsursachen herausragende Bedeutung zu.