Die Versorgung mit erneuerbarer Wärme ist – anders als bei Strom – eine durchwegs lokale Herausforderung für die Energiewirtschaft. Bei passendem geologischen Untergrund lassen sich Fernwärmenetze, Gewerbe und Industrie mit »grüner Wärme« aus Geothermie beliefern.
...aus der Tiefe: Je tiefer man in das Innere der Erde vordringt, desto wärmer wird es. Die Temperatur nimmt um rund 3 °C pro 100 Metern Tiefe zu. Bei der hydrothermalen Geothermie werden bei einer Bohrung wasserführende Gesteinsschichten im tiefen Untergrund direkt erschlossen. Das im Gestein enthaltende Thermalwasser wird aus oft mehreren tausend Metern Tiefe an die Oberfläche gefördert. Dort wird mit einem Wärmetauscher dem Heißwasser die Wärmeenergie entzogen und etwa in ein Fernwärmenetz gespeist. Über eine zweite Bohrung wird das abgekühlte Wasser wieder zurück in die Tiefe geleitet. Mit der Rückführung des abgekühlten Wassers entsteht ein erneuerbarer Energiekreislauf – die Wärme aus der Tiefe ist praktisch unerschöpflich.
(Quelle: Wien Energie)
... nahe der Oberfläche: Wärmepumpen funktionieren wie Kühlschränke – nur wird das Prinzip genau umgekehrt genutzt. Während der Kältemittelkreislauf des Kühlschranks seinem Inneren Wärme entzieht und diese an die Umgebung abgibt, entzieht der Kältemittelkreislauf einer Wärmepumpe der Umgebung Wärme. Diese wird innerhalb des Gerätes auf ein höheres Temperaturniveau gebracht und kann dann zum Heizen oder zum Erwärmen von Brauchwasser genutzt werden. Hauptenergiequelle der Wärmepumpe ist die Umgebungswärme, also die in der Luft, im Boden oder im Grundwasser gespeicherte Sonnenenergie. Wärmepumpen können darüber hinaus auch zur Kühlung eingesetzt werden. Da die Temperatur im Erdreich im Sommer geringer ist als die Raumtemperatur, können Erd- oder Grundwasser-Wärmepumpen die Kühle des Erdreiches direkt nutzen.
(Quelle: Wärmepumpe Austria)
Die Wärme aus der Tiefe, Geothermie, gilt als erprobt. Erdwärme wird seit gut 100 Jahren für die Erzeugung von Elektrizität eingesetzt. Weltweit beträgt die installierte Kapazität dazu rund 13 GW. Kraftwerksprojekte für die Elektrizitätsgewinnung werden dennoch als riskant betrachtet. Sie rentieren sich eher fernab bestehender Leitungsinfrastruktur, können für eine bessere Wirtschaftlichkeit aber auch in Kombination mit Wärmeerzeugung betrieben werden.
Bei der direkten Verwendung von Wärme ist die Sachlage anders. Sowohl die Erschließung von Wärmequellen in großen Tiefen als auch die klassischen oberflächennahen Wärmepumpen sind Beispiele für die Nutzung dieses – vorausgesetzt, der Strom für den Pumpenbetrieb kommt ebenfalls aus erneuerbarer Energie – CO2-neutralen Energieschatzes. »Der Wärmeschatz unter unseren Füßen ist zu jeder Zeit an jedem Ort verfügbar – nachhaltig und klimafreundlich«, schwärmt Lothar Wissing, Vorsitzender der Fachgruppe Geothermie der Internationalen Energieagentur (IEA Geothermal), anlässlich der Fachkonferenz »Development of Geothermal Applications« am 3. Mai in Wien.
Bild oben: Lothar Wissing, IEA Geothermal: »Erdwärme wird es auch dann noch geben, wenn andere Rohstoffe erschöpft oder zu teuer geworden sind.«
Die Einsatzmöglichkeiten für Geothermie sind vielfältig: für die Wärme- und Kälteversorgung von Gebäuden in allen Formen, vom Einfamilienhaus über Bürokomplexe bis hin zur Fernwärme-Versorgung. Auch wenn Geothermie-Anlagen komplexer als Solarpaneele auf dem Hausdach sind und die Wirtschaftlichkeit jedes Projekts anders ist – Städte wie München und Reykjavík setzen bereits großflächig auf die Verwendung. Sie demonstrieren erfolgreich, dass die Wärme aus der Erde wettbewerbsfähig ist.
Der deutsche Geothermie-Experte koordiniert Arbeitsgruppen der IEA, die auf unterschiedliche Aspekte der Gewinnung und Nutzung von Geothermie fokussieren. Und die IEA leistet Überzeugungsarbeit in Ländern, in denen auf diesem Gebiet Neuland betreten wird. Anders als Photovoltaik und Windkraft sind die Erträge aus dieser erneuerbaren, Grundlast-fähigen Energiequelle stabil und folglich prognostizierbar – für Jahrzehnte. Auch die starke lokale Wertschöpfung bei Geothermie-Projekten spricht Wissing an. Personalintensive Tätigkeiten, Grabungs- und Bohrungsarbeiten, vor Ort benötigte Ingenieursleistungen sprechen für eine Unterstützung durch die Kommunen und die Wirtschaft.
Bild oben: Rusbeh Rezania, Wien Energie: »In Zukunft soll der Anteil erneuerbarer Erzeugung bei Fernwärme deutlich steigen.«
»Wenn das Energiesystems Europas tatsächlich unabhängig von Fossilen werden soll, spricht das klar für Geothermie«, betont er. »Erdwärme wird es auch dann noch geben, wenn andere Rohstoffe erschöpft oder zu teuer geworden sind.«
Dafür sind allerdings einheitliche Technikstandards und vielerorts auch legislative Verbesserungen nötig, betont man bei IEA Geothermal. In Österreich gelten sowohl das Medium Wasser als auch dessen Wärmegehalt nicht als Energie- oder Rohstoffquelle. Sie werden rechtlich mit Oberflächenwasser gleichgesetzt. Das bedeutet: Auch das Nutzungsrecht eines Reservoirs in 6.000 Meter Tiefe liegt beim Grundbesitzer. Wird in großer Tiefe der Winkel einer Bohrung geändert, ist mitunter der nächste Grundstücksnachbar zu konsultieren. Projektbetreiber berichten von bis zu 120 rechtlich einzubindenden Grundbesitzern bei Anlagen mit zwei Leitungssträngen.
Wärme in Neuseeland
»Den Boden als Energiequelle betrachten«, das ist auch für Brian Carey, Executive Secretary IEA Geothermal, das zentrale Thema eines künftigen klimafreundlichen Energiesystems. Es gelte, bereits heute die Weichen für die »heat under your feet« zu stellen. Der Neuseeländer bringt einige Beispiele aus seiner Hemisphäre: Quellen mit relativ niedrigen Temperaturen von 40 bis 60 °C werden direkt für Aquakulturen zur Fisch- und Garnelenzucht, in Gärtnereien und in der Honigproduktion genutzt. Höhere Temperaturen um 150 bis 200 °C finden in der Industrie Verwendung: in der Holzverarbeitung, Papierherstellung und bei Unternehmen der Lebensmittelindustrie, die bewusst nachhaltig lokal produzieren wollen. Gut 500 Jobs wurden bereits im Umfeld der neuseeländischen Geothermie-Industrie inklusive Zulieferbetrieben geschaffen. Weitere Anwendungsgebiete aus anderen Ländern: Wärme für Färbereien, Schwammerlzuchten und Entsalzungsanlagen.
Weltweit und in Österreich
Der Geothermiemarkt umfasst heute eine Leistung von weltweit 95 GW für die direkte Wärmenutzung, rund 215.000 GWh werden per annum umgesetzt. Mit Wachstumsraten von jährlich mehr als 10 % ist Geothermie eine starke Wachstumsbranche. Alleine für den Wärmepumpenmarkt in Europa wird bis 2050 eine Steigerung auf das Vierzigfache des heutigen Volumens erwartet. Einer Studie des EU-Projekts Geothermal District Heating (GEODH) zufolge lebt mehr als ein Viertel der Bevölkerung in Europa in Gebieten, die für Tiefen-Geothermie besonders geeignet sind.
Bild oben: Brian Carey, IEA Geothermal: »Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren und müssen heute die Weichen für die ›heat under your feet‹ stellen.«
In der Hauptstadt spielt Fernwärme eine große Rolle: Rund 40 Prozent des Warmwasser- und Raumwärmebedarfs werden zentral bereitgestellt. »Eine Wende des Energiesystems funktioniert nur, wenn neben der Erzeugung auch das Netz für Erneuerbare ertüchtigt und ebenso das Verbraucherverhalten einbezogen wird«, erklärt Rusbeh Rezania, Leiter Asset Development und Management bei Wien Energie. Wien verfügt über ein Fernwärme-Netz von insgesamt 1.200 km Länge. »Wir erzeugen dafür jährlich zwischen fünf und sechs Terawattstunden thermische Energie – derzeit mit einem Drittel aus der Müllverbrennung und knapp zwei Dritteln durch Kraft-Wärme-Kopplung beziehungsweise aus Erdgas«, weiß Rezania. In Zukunft soll der Anteil erneuerbarer Erzeugung bei Fernwärme deutlich steigen, um langfristig unabhängiger von fossilen Energieträgern zu werden. Einen wesentlichen Anteil dazu könnte die oberflächennahe und tiefe Geothermie beitragen.
Auch bei Fernwärme gelte es, künftig Verbrauchsspitzen intelligent abzufedern, und auf lange Sicht auch stärker auf Niedrigtemperatursysteme zu setzen – Letzteres, um möglichst viele regenerative Energiequellen einbinden zu können, so der Wien-Energie-Experte. Geologische Studien gehen davon aus, dass der Raum Wien und Umgebung über beträchtliche Potenziale aus tiefer Erdwärme verfügen. OMV-Bohrungen haben bereits in den Siebzigerjahren Thermalwasservorkommen im östlichen Raum Wiens entdeckt. Auch die Therme Oberlaa in Wien sei der beste Beweis, dass der Untergrund thermisches Potenzial bietet.
Flaggschiffprojekt in Wien
In dem Projekt »GeoTief Wien« wird die Geologie im Osten Wiens bis 2020 wissenschaftlich erforscht und daraus Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit von Bohrungen und Wärmegewinnung geprüft. Bereits in den Wintermonaten Februar und März 2017 fanden in Donaustadt, dem 22. Wiener Gemeindebezirk, sowie in den angrenzenden Gemeinden Raasdorf und Groß-Enzersdorf 2D-Seismik-Messungen statt. Darauf aufbauend werden nun im Herbst und Winter 2018/2019 3D-Seismik-Messungen durchgeführt, die ergänzende Informationen über die Beschaffenheit des Untergrunds liefern. Denn: Eine erste Erkundungs-Bohrung in Essling hatte gezeigt, dass die Gesteinsschichten im Untergrund weitaus komplexer beschaffen sind, als erwartet.
Mit den 3D-Seismik-Messungen können nun diese geologischen Gesteinsschichten detailliert analysiert werden. Mit Seismik wird – wie mit einem Echolot – ein Abbild des Untergrunds erstellt, das Informationen über die Lage und die Mächtigkeit von wasserführenden Gesteinsschichten liefert. Dabei werden entlang von Straßen und Wegen Schwingungen in die Tiefe gesandt. Das Signal wird im Untergrund reflektiert und von Sensoren, die in der Nähe der Messfahrzeuge ausgelegt sind, aufgezeichnet.
Bild oben: Josef Taucher, Stadt Wien: »Geothermie hat in Österreich noch nicht den nötigen Stellenwert in der öffentlichen Wahrnehmung.«
Projektpartner von Wien Energie sind das AIT, die Geologische Bundesanstalt, Geo5, Heinemann Oil, die Montanuniversität Leoben, OMV, RAG Austria AG, Universität Wien, Universität Salzburg und die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. »Wir können auf dieser gesicherten Basis dann entscheiden, ob künftige Investitionen in Geothermie strategisch, finanziell und im Sinne der nachhaltigen Wärmeversorgung Wiens sinnvoll sind«, sagt Rezania.»Geothermie hat in Österreich noch nicht den Stellenwert und die Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung, die es in Ländern wie Deutschland und Frankreich bereits gibt«, weiß auch Josef Taucher, Energiesprecher der Stadt Wien.
Bild oben: Christian Pletl, Stadtwerke München, erläutert den Weg zu einer 100 % grünen Wärmeversorgung mittels Erdwärme.
»Leuchtturmprojekte wie jenes der Stadtwerke München zeigen, wie klimafreundliche Wärmegewinnung im urbanen Raum auch rechtlich und finanziell ermöglicht werden kann.«Auch Wien Energie biete bereits klimafreundliche Wärme, die Zukunft liege aber im Ausbau unterschiedlichster Möglichkeiten in diesem Bereich. »Das Ziel ist eine stärkere Nutzung lokaler Energiequellen – für Versorgungssicherheit, Preisstabilität, Luftqualität und dadurch eine höhere Lebensqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner«, betont Taucher.
Forschung in Wien
Projekt GeoTief: Basierend auf Erfahrungen und Daten der letzten Jahrzehnte lässt sich ein Potenzial an grüner Wärme durch Geothermie, also der Nutzung von tiefen Heißwasservorkommen, auch im Raum Wien vermuten. Der Kern des Projekts »GeoTief Wien« sind seismische Messungen in zwei Phasen. Eine 2D-Seismik-Messung fand von Februar bis März 2017 statt, im Laufe des Jahres 2018 folgen darauf aufbauend 3D-Seismik-Messungen. Die Messungen finden ausschließlich an der Erdoberfläche statt. Das Projekt erforscht umfassend die möglichen Wärmepotenziale und dient damit als Entscheidungsgrundlage für mögliche Wärmeprojekte der Zukunft. Die gewonnenen Daten werden ausgewertet und bilden in Folge eine fundierte Entscheidungsgrundlage, ob in eine geothermische Erschließung investiert wird. Die wissenschaftliche Auswertung aller Daten wird ein bis zwei Jahre in Anspruch nehmen.
Geothermie-Projekte in Europa
Steiermark. Durch Geothermie können im steirischen Thermenland moderne Gewächshäuser CO2-neutral auch in den kalten Monaten Oktober bis Mai betrieben werden. In der »Frutura Thermal-Gemüsewelt«, deren Erträge aktuell exklusiv durch den Lebensmittelhändler Spar genutzt werden, wird seit 2016 bis zu 125 °C heißes Wasser aus Lagerstätten in 3200 Metern Tiefe an die Oberfläche gefördert und mit einem Temperatur von 80 bis 90 °C für die Beheizung der Gewächshäuser herangezogen. In dem Kreislaufsystem wird das Wasser über ein zweites Bohrloch anschließend wieder dem Erdinneren zugeführt. Bereits 175.000 m² Glashausfläche können beheizt werden, bei 230.000 m² Produktionsfläche im Endausbau. 15 MW beträgt die installierte Leistung für die Produktion von Tomaten, Paprika und Gurken, oder 63 GWh jährlich. Durch die Nutzung des Thermalwassers für das Beheizen der Gewächshäuser werden im Endausbau jedes Jahr rund 28.000 Tonnen CO2 gegenüber mit Erdgas beheizte Gewächshäuser eingespart.
Bild oben: Im Bezirk Hartberg-Fürstenfeld kann Gemüse durch Geothermie-Wärme auch in den kalten Monaten produziert werden – auf bislang 17,5 ha Fläche.
Zürich. 2.300 Wohneinheiten und Gebäude mit 5.700 Bewohnern, 35.000 MWh Wärmebedarf und 80.000 MWh Kältebedarf: Die Familienheim-Genossenschaft Zürich (FGZ) ist eine im Zürcher Stadtteil Friesenberg verwurzelte Baugenossenschaft. Aktuell wird ein Erdwärmesondenfeld direkt unter dem Quartierzentrum errichtet. In der ersten Etappe wurden über 100 Sonden mit einer Länge von je 250 Metern in den lehmigen Baugrund getrieben.
Sie werden mit einem bodennahen Wasserleitungsnetz verbunden und dienen als Speicher und zur Wärme- respektive Kälteversorgung. Fertiggestellt soll das Projekt, das insgesamt 430 Sonden umfassen wird und über Wärmepumpen und Wärmetauschern auch Bürogebäude versorgt, 2019 sein. Der Energiemix für die Wärmeversorgung in dem Zürcher Stadtteil wird sich zum Jahr 2050 entsprechend nachhaltig verändern: von heute 35.000 MWh mit 100 % Öl und Gas auf rund 15.000 MWh, wovon ein Gros durch die ortsgebundene Abwärme abgedeckt werden kann. In Sachen CO2 liefert die Technik sogar Einsparungen von 90 %.
Bild oben: In Zürch wird ein Erdwärmesondenfeld direkt unter dem Quartierzentrum errichtet – mitten in der Stadt.
München. Die Stadtwerke München betreiben mit einer Erneuerbaren-Strategie sowohl bei Strom als auch bei Wärme den Umbau ihres Energiemixes. Bis 2040 soll das Münchner Fernwärmenetz komplett klimaneutral gespeist werden – vornehmlich mithilfe von Erdwärme. Den Stadtwerken geht es dabei nicht nur um die direkte Einspeisung, sondern auch um Lastausgleich und Speichermöglichkeiten in Verbindung mit dem Energiemanagement von Gebäuden. Geologisch liegt München – ebenso wie Wien – im Molasse-Becken nördlich der Alpen, das unterhalb 2000 bis 3000 Metern starken Sedimentgesteins wasserführende Schichten enthält.
100 bis 140 Grad Celsius heiß ist das Wasser in dem Kalkgestein. Über das Fernwärmenetz im Stadtgebiet werden jährlich rund 5.000 GWh Wärme abgewickelt – rund ein Drittel des gesamten Fernwärmeaufkommens in Deutschland. Zwei große, konventionelle Heizkraftwerke speisen das Netz aktuell, eine kohlebefeuerte Anlage im Norden soll 2022 stillgelegt werden. Grüne Wärme wird bereits über mehrere Geothermieanlagen wie etwa Riem und Freiham bereitgestellt. Eine weitere Anlage entsteht gerade beim Heizkraftwerk Süd. Sie soll Ende 2019 in Betrieb gehen. Bis zu 50 Megawatt können dann in das Netz eingespeist werden. Für die Planung weiterer Anlagen werden 3D-Seismik-Messungen im großen Teilen des Stadtgebiets durchgeführt.