Freitag, Juli 19, 2024

Die Digitalisierung fordert die Post »tief in ihrem Herzen«. Mit welchen Strategien sich neue Geschäftsfelder erschließen lassen, erklärt Walter Oblin, Finanzvorstand der Öster-reichischen Post, im Report(+)PLUS-Interview.

(+) plus: Inwieweit hat sich Ihre Rolle als CFO verändert?

Walter Oblin: In einem zunehmend dynamischen Umfeld ist der Finanzbereich sicher wichtiger geworden – bei der Post insbesondere durch den Börsengang, weil laufende Transparenz über Zahlen und eine klare Kapitalmarktkommunikation gefordert sind. Aber im Kern ist es bei uns eine permanente Dualität von Restrukturierung und Wachstum, die einen starken, proaktiven Finanzbereich erfordert. Grundsätzlich nimmt der CFO die Rolle des Co-Piloten ein, der zwar nicht bestimmt, wo wir hinfliegen, aber navigiert, vor Gewittern warnt und rechtzeitig sagt, wann wir in Steigflug gehen müssen. Die Aufgaben des CFO in der Wirtschaft haben sich insgesamt gewandelt – vom Berichterstatter mit der Kernverantwortung für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling zu einer wesentlich strategischeren Rolle. Bei der Post hatte der Finanzvorstand allerdings durch die Verantwortung für Themen wie IT, Immobilien, Recht und Einkauf immer schon ein sehr breites Aufgabengebiet.

(+) plus: Vor welchen Herausforderungen stehen Sie?

Oblin: Zwei Megatrends bewegen uns eigentlich jeden Tag – und beide haben mit der Digitalisierung der Gesellschaft zu tun: Den einen bezeichnen wir als e-Substitution, also die Ablöse des physischen Briefs durch digitale Kommunikationskanäle, die zu einem Rückgang des Briefvolumens führt und uns als massiver Gegenwind entgegen bläst. Auf der anderen Seite wirkt e-Commerce für uns wie ein Rückenwind. Mehr Pakete werden verschickt, wodurch sich in und rund um die Zustellung Wachstums-Opportunitäten ergeben. Unsere vier strategischen Prioritäten sind Verteidigung des Kerngeschäfts, Wachstum auch in internationalen Märkten, Flexibilisierung und Effizienzsteigerung sowie Innovation und Kundenservice.

(+) plus: Welche Potenziale ergeben sich für die Post durch die Digitalisierung?

Oblin: Wir nutzen den Trend zum Online-Shopping und bieten vermehrt Dienstleistungen rund um die Paketzustellung an – angefangen vom Verpacken und Kommissionieren bis zum Lagern von Waren. Momentan stecken wir intensiv in der Vorbereitung eines Online-Marktplatzes für Österreich. Aber auch rund um das klassische Briefgeschäft haben wir in den letzten Jahren eine ganze Reihe von digitalen Produkten und Lösungen in den Markt eingeführt. Wir übernehmen zum Beispiel für Unternehmen die Digitalisierung der gesamten Eingangspost, das heißt, wir scannen und klassifizieren die gesamten Sendungen beispielsweise für große Versicherungen und Banken, sodass die Sachbearbeiter gleich morgens die für sie relevante Post im elektronischen Workflow erreicht.

Wir beschäftigen uns auch mit der Frage, wie wir zu unserem Kernprodukt, dem physischen Brief, eine digitale Alternative anbieten können – Stichwort »Duale Zustellung«: Ein großer Versender, etwa ein Unternehmen oder der öffentliche Dienst, übergibt uns die Briefe in elektronischem Format. Wir wissen, Person A hat ein digitales Postfach, dort stellen wir elektronisch zu; bei Person B stellen wir physisch zu. Diese Lösung findet zunehmend Zuspruch.

Innovation im Kundenservice ist für uns ein zentrales Thema. Sie können heute unabhängig von Filialöffnungszeiten sämtliche Selbstbedienungslösungen rund um Paket und Brief nutzen. Wir haben auch auf das Problem des »gelben Zettels« reagiert und als erstes europäisches Unternehmen eine Empfangsbox auf den Markt gebracht. Das sind Paketbriefkästen im Hausflur, die mittels Chip geöffnet werden können. Derzeit laufen außerdem Pilotversuche mit Kofferraumzustellung und Wohnungstürboxen.

(+) plus: Greift die Digitalisierung auch in interne Strukturen ein?

Oblin: Die Post ist in Österreich sicher eines der Unternehmen mit der höchsten IT-Durchdringung. Es wird kein Brief und kein Paket zugestellt, ohne dass nicht mehrere IT-Systeme ineinander greifen. Im Einkauf nutzen wir digitale Vergabeplattformen und führen elektronische Auktionen durch. Im Finanzbereich haben wir in den letzten Jahren unsere gesamten Prozesse und Systeme auf den modernsten Stand gebracht. Über Steuerungsinstrumente können wir online auf die aktuellsten Zahlen zugreifen. Unser Planungssystem haben wir komplett überarbeitet – bei 23.000 Mitarbeitern und 50 Gesellschaften in zwölf Ländern handelt es sich um einen sehr komplexen Prozess. Das Ziel war, statt vielen Excel-Sheets ein schnelleres, komfortableres und integriertes Planungssystem zu schaffen, das uns ermöglicht, mit sehr großen Datenmengen in kurzer Zeit auch Simulationen durchzuspielen.

(+) plus: Für welche Bereiche ist es wichtig, Daten tagesaktuell abrufen zu können?

Oblin: Das betrifft alle operativen Bereiche und beginnt in unserem Filialnetz, wo wir tagesaktuell auf Umsätze und Produktabsätze zugreifen wollen. Als Dienstleistungsbetrieb mit einem sehr hohen Personalkostenanteil müssen wir auch unseren Personaleinsatz ständig überprüfen können. In diesem Bereich haben wir stark investiert. In Österreich haben wir als eines der ersten Unternehmen auf S/4 HANA umgestellt. Für uns war das wichtig und notwendig, weil wir enorme Datenmengen bewältigen.

(+) plus: Welchen Stellenwert hat das Thema Sicherheit für Sie?

Oblin: Einen hohen und steigenden Stellenwert. Ein Unternehmen, das viele Schnittstellen zur Außenwelt hat und sehr IT-lastig ist, hat auch ein hohes Bedrohungspotenzial. Die »Bombeneinschläge« um uns herum kommen näher, wie man an den Hacker-angriffen auf diverse Telekommunikationsunternehmen und Banken sehen kann. Wir nehmen das sehr ernst. Es ist ein permanentes Hochrüsten. Wir schützen uns mithilfe einer Sicherheitsorganisation, die das Thema im Auge behält, mit wachsenden Investitionen in Sicherheitstechnologien und über Sensibilisierung aller Mitarbeiter – denn jeder ist eine potenzielle Schwachstelle, wenn er sich falsch verhält. Aber wie man sieht, sind auch die Apples und Googles dieser Welt nicht davor gefeit, Opfer eines Hackerangriffs zu werden. Es gibt keine absolute Sicherheit.

(+) plus: Muss ein Unternehmen heute permanent in Bewegung bleiben?

Oblin: Es ist nicht damit getan, einmal zu planen, abzuwarten und dann zusammenzuzählen, was herauskommt. Man muss den Kurs halten und laufend nachsteuern, weil sich täglich neue Entwicklungen ergeben. Blackberry stieg von Null zum globalen Marktführer für Smartphones auf und war drei Jahre später weg vom Fenster. Kodak war 100 Jahre Marktführer in der Fotografie und plötzlich insolvent. Auch die Post ist in ihrem Herzen tief von der Digitalisierung betroffen. Aber wir versuchen, mit innovativen Lösungen, Produkten und Akquisitionen neue Geschäftsfelder zu erschließen.

(+) plus: Können Sie ein Beispiel nennen?

Oblin: Mit AEP haben wir in Deutschland vor zwei Jahren ein disruptives Geschäftsmodell binnen weniger Monate zum Laufen gebracht, das gewissermaßen den Pharmagroßhandel revolutioniert. Anstelle vieler dezentraler Lager und Distributionsfahrzeuge, die mehrmals täglich die Apotheken anfahren, wird von einem großen Zentrallager einmal pro Tag per Paketversand ausgeliefert. Dieses Low-Cost-Geschäftsmodell hat in Deutschland ziemlich eingeschlagen, denn die Apotheker ersparen sich pro Jahr mehrere tausend Euro im Einkauf. AEP wird heuer 300 bis 400 Millionen Euro Umsatz machen. Mehr als 10 % der Apotheken sind bereits unsere Kunden. In ein neues Geschäftsfeld zu investieren, heißt mutig zu sein und Risiken einzugehen – nicht jedes Vorhaben gelingt. Die Aufgabe des CFO ist hier, Risikomanager zu sein und Pläne auch zu hinterfragen.

(+) plus: Verpasst Österreich den digitalen Wandel?

Oblin: Es gibt exzellente Unternehmen in Österreich, die das Thema Digitalisierung bereits sehr weit vorangetrieben haben. Differenziert sehe ich das im öffentlichen Sektor. Wir haben eine recht ambitionierte e-Government-Agenda, in der Praxis scheitert es aber an einer Fragmentierung durch unterschiedliche Interessen und Föderalismus. Ziele, die man sich schon vor Jahren gesteckt hat, bleiben auf der Strecke.

(+) plus: Werden die Chancen nicht erkannt?

Oblin: IT-Projekte sind immer schwierig, im öffentlichen Sektor sind die Kompetenzen dafür noch weniger ausgeprägt. Und dann haben wir sicher auch ein Bildungsproblem: Anders als in den USA ist der Computer in den Klassen nicht die Regel. Wir haben es noch nicht einmal geschafft, allen Lehrern einen Computer zur Verfügung zu stellen. Wenn meine Assistentin ihren privaten Computer und ihr eigenes Telefon mitbringen und von ihrem Nettogehalt selbst bezahlen müsste, würde sie sich vermutlich sofort einen anderen Arbeitgeber suchen. Den Menschen, die unsere Kinder auf ein digitales Zeitalter vorbereiten sollen, muten wir genau das zu. Wenn wir schon in der Ausbildung versagen, können wir nicht erwarten, dass wir in der Digitalisierung führend sind. Ein Land, das nicht fit für ein digitales Zeitalter ist, wird keine Zukunft haben. Unternehmen, die nicht rasch genug den Sprung schaffen, verschwinden.

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