Mittwoch, November 27, 2024

Mit dem Schlagwort »Simple« wirbt SAP für seine S/4 HANA Enterprise Management Suite. Das Versprechen lautet: Mehr Effizienz durch bessere Datenhaltung und Funktionalität. Welche Auswirkungen das für die Finanzabteilungen und die gesamte Unternehmenssteuerung hat, schildert Johannes Scheutz von der Managementberatung Horváth & Partners.

In letzter Zeit war es für SAP-Kunden nicht immer leicht, die unterschiedlichen Lösungsbausteine wie »Simple Finance« oder »Simple Logistics« in eine Produktstrategie einzuordnen. Nun hat sich mit S/4 HANA Enterprise Management ein Überbegriff etabliert. HANA als Begriff ist nicht wirklich neu. Es war SAP-Kunden schon in der Vergangenheit möglich, mit ihrem bestehenden Release die Vorteile der HANA-Datenbank zu nützen. Die Anwendungen selbst – wie »Simple Finance« – haben jedoch noch sehr wenige Kunden implementiert.

Technologie-Sprung

Nicht nur der Name für das unter »SAP ERP« bekannte R/3-System wurde geändert, es wurden auch erhebliche Weiterentwicklungen vorgenommen. Eine wesentliche Neuerung besteht in der Nutzung der neuen Datenbank  HANA, die mit In-Memory-Technologie arbeitet und damit alle Daten, Indizes und Systemeinstellungen im Arbeitsspeicher des jeweiligen Servers ablegt. Anders als beim Caching, das bei relationalen Datenbanken zum Einsatz kommt, werden die Daten In-Memory spaltenorientiert abgelegt und sind so schneller im Zugriff und der Verarbeitung. Rechenintensive Prozesse wie etwa Fertigungsauftragsabrechnungen in S/4 HANA werden direkt in der Datenbank durchgeführt und sind damit deutlich rascher als die »alte« Datenbanktechnologie. Eine weitere Neuerung, unterstützt durch das neue Datenbankkonzept, ist die Zusammenlegung von Datenbanktabellen im Finanzbereich bzw. den Wegfall mehrerer Indextabellen. Die damit gewonnene Verschlankung der Datenhaltung wirkt sich nicht nur positiv auf den Speicherbedarf, sondern auch auf die Performance des Systems und die Datenqualität aus.

Usability-Fortschritt

Die seit Jahren wegen mangelnder Benutzerfreundlichkeit in die Kritik geratene Bedienoberfläche des ERP-Systems wurde vollständig überarbeitet. Es bietet dem Anwender mit SAP Fiori (SAP User Experience) eine stringente Oberfläche zur Nutzung des Systems auf unterschiedlichen Medien wie PC, Laptop und Mobile Devices. Darüber hinaus können Inhalte personalisiert und individuell angepasst werden. Durch die adaptierte Oberfläche kommt es zu Verbesserungen im Handling des Systems, vor allem bei Transaktionen, die bisher nur mit einer großen Anzahl einzelner Klicks zu bewältigen sind. Ob diese Verbesserungen wie von SAP propagiert zu einer Zeitersparnis von bis zu 30 Prozent führen, ist im Einzelfall zu prüfen.

Darüber hinaus soll HANA als offene Plattform für individuelle Weiterentwicklungen und als Basis für die Integration von Big Data dienen. Es gibt zurzeit bereits rund 70 SAP-HANA-Anwendungen, die funktionsbezogene Lösungen für sehr spezifische Herausforderungen bieten. Zusätzlich können auch kundenspezifische geschäfts- und branchenbezogene Anwendungen entwickelt werden. Künftig wird die Einbindung von Big Data – also vornehmlich unstrukturierte Daten – ein wesentlicher Faktor in der Unternehmenssteuerung werden. SAP verspricht hier mit entsprechenden Werkzeugen wie etwa Query Engines die Echtzeitverarbeitung von Daten aller Art für Geschäftsprozesse zu unterstützen.

Was beinhaltet S/4 HANA Finance?

Neben den rein technischen Neuerungen hat SAP die ERP-Lösung auch inhaltlich weiterentwickelt. S/4 umfasst zunächst die Kernfinanzbereiche mit den Modulen Finance (FI), Controlling (CO), Asset Accounting (AA) und Cash Management (CM). Bis Ende 2017 soll auch die Planungs- und die Konsolidierungslösung vollständig in S/4 HANA Finance verschmelzen. Mit »BPC Embedded« steht diese Funktionalität heute schon zu Verfügung, jedoch mit separater Datenhaltung. Im aktuellen Release Enterprise Management soll zudem die Integration der Logis­tikmodule Material Management (MM), Production Planning (PP) und Sales & Distribution (SD) erfolgen. Kernelement der Neuerung ist die Änderung der technischen Architektur der Datenbanktabellen, die eine Reihe von fachlichen und organisatorischen Änderungen mit sich bringen, wenn S/4
HANA Finance vollumfänglich genützt wird.

Daten & Fakten:

Änderungen im Rechnungswesen

Durch den Einsatz von S/4 HANA ergeben sich folgende wesentliche Änderungen in den Modulen des Rechnungswesens:
➣ Das interne und externe Rechnungswesen sind immer abgestimmt
➣ Es gibt keine Kostenarten mehr
➣ Kalkulatorische Ansätze sind dennoch möglich
➣ Die buchhalterische Ergebnisrechnung wird führend
➣ Darstellung von Abweichungen uneingeschränkt möglich

Der Buchhaltungsbeleg als »Single Source of Truth«

Ein wesentlicher Komplexitätstreiber im bisherigen SAP-ERP war das konsequent betriebene »Zweikreissystem« – mit jeweils geschlossenen Abrechnungssystemen für die Finanzbuchhaltung und die Kostenrechnung. Der aktuelle Trend geht allerdings in Richtung »Einkreissystem«, das im angloamerikanischen Markt sehr verbreitet ist.

Die inhaltliche Trennung zwischen Accounting und Controlling wird im S/4 Finance aufgegeben und durch die Erweiterung des Buchungsbelegkonzepts abgedeckt – SAP spricht dabei vom integrierten Buchhaltungsbeleg. Grundgedanke ist es, ausgehend vom Sachkonto Informationsträger (wie Kos­tenstellen oder Aufträge) und Merkmale (wie etwa Kunde und Branche) zur Verfügung zu stellen. Der integrierte Buchungsbeleg verknüpft dabei die Accounting-Daten mit weiteren Informationen aus dem Controlling, der Logistik oder dem CRM. Jede Bewegung führt zu einer Sachkontenbuchung und das Universal Journal hält alle Informationen zentral für das Berichtswesen vor.

Auswirkungen auf die Unternehmenssteuerung

Prinzipiell scheint es für die Unternehmenssteuerung unerheblich zu sein, in welchen und wie vielen Datenbanktabellen die Zahlen für das operative Reporting gespeichert werden. Doch bei genauer Analyse hat die technische Neugestaltung mehr Auswirkungen auf die Aufbau - und Ablauforganisation als auf den ersten Blick angenommen (siehe Kasten). Mit S/4 HANA Finance wird die buchhalterische Ergebnisrechnung zur validen Basis einer operativen Unternehmenssteuerung und bietet alle Vorteile der bisherigen kalkulatorischen Ergebnisrechnung. Hinzu kommt, dass dem Nutzer alle Informationen im Echtzeit-Reporting ohne Zwischenstufen per Direktzugriff aus dem ERP-System zur Verfügung gestellt werden. Durch die Möglichkeit des Echtzeit-Reportings wird ein Teil des Berichtswesens im S/4 HANA erfolgen und nicht mehr in einem Data Warehouse wie SAP BW. Der Nutzer erhält die Möglichkeit, standardisierte und Ad-hoc-Berichte jederzeit abzufragen (Pull-Prinzip) und für Analysezwecke zur Verfügung zu haben.

Kundeneigene Prozesse werden sehr oft an die Funktionsweise der Software angepasst. Bestimmte sehr rechenintensive Funktionen sind aufgrund von langen Laufzeiten eher selten oder nur einmal im Monat – wenn unbedingt erforderlich – durchgeführt worden, obwohl eine häufigere Verfügbarkeit durchaus wünschenswert wäre. Als Beispiele hierfür können die Segmentierung von Kunden, der MRP-Lauf oder die Kalkulation von Produkten genannt werden. Ein Engpass dieser Art (technische Performance) kann durch den Einsatz der In-memory-Technologie beseitigt werden - der Prozess wird um ein vielfaches schneller.

Erweitert man diese Szenarien um die Miteinbeziehung von Datenflüssen aus Smartphone-Apps oder Sozialen Netzwerken, so können Sachverhalte mehr kunden- und situationsbezogen abgebildet werden. Ein Engpass dieser Art (Information) kann durch den Einsatz von integrativen Big-Data-Werkzeugen beseitigt werden.Der Mehrwert für die operative Steuerung entsteht durch den Wegfall dieser Engpässe und die Häufigkeit der getroffenen Entscheidungen, die besser zur momentanen Realität passen, da die Daten aktuell und situationsbezogen sind.

Um jedoch die gewonnene Effizienz auch in Effektivität umzuwandeln, müssen die entsprechenden Steuerungsprozesse angepasst und in der Organisation verankert werden. Alleine die Konzentration auf die Identifikation und Beseitigung von prozessualen Engpässen wird langfristig keine nachhaltige Verbesserung in Nutzung von Potenzialen bringen. Durch die jederzeit aktuell verfügbaren Ist-Daten und entsprechenden Planungs- und Simulationswerkzeuge wird die Planung und Budgetierung vorausschauend. Die Verbesserung der Planungsgenauigkeit bedingt die Identifikation von vergangenheitsbezogenen aussagekräftigen Mustern und Abhängigkeiten in Datenbeständen. Unter Berücksichtigung dieser Daten lassen sich Trends ablesen und mögliche zukünftige Ereignisse vorhersagen sowie potenzielle Handlungsmöglichkeiten bewerten.

Zudem sind bei vielen SAP-Kunden die Bereiche Controlling und Buchhaltung organisatorisch getrennt, und es gab lange Zeit gute Gründe für eine Trennung. Früher wollten Unternehmen mit den jeweiligen ERP-Systemen die individuellen Anforderungen der einzelnen Abteilungen erfüllen. Die Systeme sollten zum Beispiel einerseits regulatorische Standards im Accounting erfüllen und andererseits die interne Steuerungssicht im Controlling abbilden. Diese Spezialisierung hat den Vorteil, dass die Software sehr gut auf die jeweiligen Bedürfnisse ausgerichtet ist. Der langfristige Nachteil war allerdings ein großer Abstimmungsaufwand, weshalb es schon seit einigen Jahren in vielen Unternehmen Konvergenzprojekte gibt, die die Unterschiede verringern sollen.

Die Migration zu S/4 Finance

Besteht die prinzipielle Bereitschaft, auf S/4 Finance umzustellen, dann ist der Wechsel auf das neue Hauptbuch in der Buchhaltung ein zentrales Thema. Dieser Schritt ist notwendig, um den integrierten Buchungsbeleg mit all seinen Vorteilen nutzen zu können. Es wäre fatal, die Migration aus SAP R/3 als rein technischen Prozess zu sehen. SAP geht so etwa davon aus, dass schon bisher internes und externes Rechnungswesen harmonisiert sind und die Anlagenbuchhaltung vollständig konsistent im Standard geführt wurde. Diese Ausgangssituation ist in der Praxis leider eher selten anzutreffen.
Die vollständige Zusammenführung vom internen und externen Rechnungswesen vor allem in komplexen Systemlandschaften erfordert ein detailliertes fachliches Konzept, das alle Aspekte einer Harmonisierung berücksichtigt. Erst nach der Definition einer entsprechenden Roadmap und deren konsequenter Umsetzung können die Potenziale für bessere fachliche Informationen genutzt werden.

Daten & Fakten:

Neue Art der Unternehmenssteuerung

Wie sich S/4 HANA auf Aufbau und Ablauforganisation eines Unternehmens auswirkt:
➣ Die buchhalterische Ergebnisrechnung wird zur Basis der operativen Unternehmenssteuerung
➣ Reporting nach dem Pull-Prinzip
➣Beseitigung der Engpässe
➣Planung wird predictive
➣ Controlling und Accounting wachsen zusammen


Produktivitätssteigerung nur mit effizienter Prozessgestaltung

Die bisherige Projekterfahrung mit S/4 HANA-Umstellungen ist sehr positiv: In den Finanz- und Controllingabteilungen konnten erhebliche Produktivitätsgewinne und Einsparungseffekte erzielt werden. Controller haben deutlich mehr Zeit für ihre wesentlichen, wertschöpfenden Aufgaben. Die absoluten Topwerte wurden allerdings nicht nur aufgrund des Einsatzes der HANA-Technologie erzielt, sondern gingen einher mit entsprechend effizienter Gestaltung der Prozesse.

Fazit & Ausblick

Abstrakt betrachtet ist die Plattform HANA und S/4 als wichtigstes Produkt auf dieser Plattform ein Bündel aus Hard- und Software, Methoden und Algorithmen, Strategie und Paradigmen, aber zugleich auch mehr als nur Änderung von Code-Lines in Programmen. Ein wesentlicher Schritt auf der Suche nach Business Cases ist die Untersuchung der bestehenden Geschäftsprozesse nach Engpässen – technische Performance und Information – und die Prüfung, ob sich diese mit HANA bzw. S/4 HANA besser als bisher gestalten lassen.
Eine Steigerung der Effizienz und Produktivität lässt sich nur durch eine Kombination von Technologie, Prozessdesign und betriebswirtschaftlichen Konzepten bewerkstelligen. Die Einführung von S/4 HANA ist somit ein dauerhaftes Vorhaben für Unternehmen und ihre Organisation und damit Teil einer langfristigen Digitalisierungs-
strategie.

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