Durch die künstliche Aufregung um das blaue Moscheenspiel verschwinden unveröffentlichte Meisterwerke der politischen Computerspielkunst in den Planungsschubladen.
Ein Preview-Rundblick von Rainer Sigl.
Schlimm genug, dass Computer- und Videospiele von den ahnungslosen Massenmedien bestenfalls als infantiles Kinderspielzeug, schlimmstenfalls als Amokläufe auslösendes Gehirngift gesehen werden, doch was sich in den letzten Wochen um das Wahlkampfspiel »Moschee Baba« der steirischen FPÖ abgespielt hat, hat das gesamte missverstandene Medium der Computerspiele um Jahre zurückgeworfen. Schweren Herzens werden wegen des medialen Wirbels jetzt zahllose Spielprojekte der Entwicklerstudios der anderen Parteien zurückgestellt, nicht fertigfinanziert oder schlicht auf die lange Bank geschoben. Report PLUS wirft einen exklusiven Blick auf jene noch streng geheimen Softwareperlen, die nun wohl niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken werden.
Schade drum: »Moschee Baba«, das kleine Spiel mit dem großen Missverständnisfaktor, das von gewissenlosen Gutmenschen in die Versenkung gebuht wurde, wäre ja total unbestätigten Gerüchten zufolge nur der Auftakt gewesen für eine wahre Blütezeit politischer Softwarekunst. Am schwersten trifft der plötzliche Gegenwind gegen die gerade erst aufblühende Sparte des politischen Computerspiels ironischerweise genau jene blauen Strategen, die für die ganze Aufregung verantwortlich zeichnen. Denn angeblich müssen gleich mehrere in Planung befindliche blaue Titel eingestampft werden. Das ambitionierteste Spiel dieses Wahlherbstes, das martialisch benannte Actionspiel »Kampf der Kulturen: Wiener Blut« etwa, in dem man als christlicher Kreuzzügler das Abendland vor anbrandenden Kebab-Sarazenen und feministischen GutmenschInnen retten muss, das Pausenspiel »HC Tris«, in dem man abzuschiebende Drogendealer platzsparend in Passagiermaschinen schlichtet, sowie der Infotainment-Titel »Jihad im Gemeindebau«, der auf spannende Weise den Kleinsten die Gefahren der Multikulti-Hölle näher bringen sollte – sie alle fallen nun dem Rotstift zum Opfer.
Aus der grünen Softwareschmiede wiederum hätte es etwa ein »Öko-Farmville« gegeben, in dem die SpielerInnen auf einem Vorzeigeveganerbiobauernhof Soja und Raps anbauen und einen Streichelzoo mit vor bösen FleischfresserInnen geretteten Tieren managen müssen. Im höchsten Schwierigkeitsgrad, dem »BasiswapplerInnen«-Modus, wird die Bioidylle durch plötzlich zu radikal gewalttätigen TierschützerInnen mutierendes Personal und regelmäßig revoltierendes Parteivolk heimgesucht, das sich, lustig animiert und mit witzigen Soundeffekten (»Wir sind die Echten!«, »Nein, wir!«), meist direkt vor der Ernte selbstständig abspaltet und den Eintrag in die Highscore-Liste ziemlich erschwert.
Ein größerer Verlust für die Welt der Spiele ist freilich die ersatzlose Streichung des großen roten Spielehoffnungsträgers »Sim City: Vienna« mit dem geplanten Add-on »Gemeindebau-Manager« (viersprachig), der allerdings nicht nur aus politischen Gründen, sondern dem Vernehmen nach auch wegen schwerer Mängel in der Programmierung eingemottet wurde: Angeblich hätte die künstliche Intelligenz mit dem Kosenamen »Freundschoft 2.0« bei der Simulation des Ratshauses samt angeschlossener Magistrate auch hochmoderne Serverfarmen regelmäßig in die Knie gezwungen.
Auch die schwarze Reichshälfte hätte sich ohne das blaue Computerspieldebakel in Wahlzeiten am neuen Medium Videospiel versucht, doch so wird wohl der fast fertiggestellte Multiplayertitel »World of Pröllcraft« niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken. In klassischer Rollenspielmanier können die Spieler eine Charakterklasse auswählen und als Bauer, Beamter, Hausfrau oder Ministrant gegen die das Königreich bedrohenden »Roten Gfrieser« ins Feld ziehen. Je nach Erfahrungsstufe kann der Spieler sich spezialisieren und im späteren Spielverlauf zum Beispiel als mächtiger Lehrergewerkschafter mit beeindruckenden Lähmungszaubern oder als Döblinger Regimentswitwe auftrumpfen. In lustigen Minispielen wie »Super Marek Sisters« erklettert man einen riesigen roten Kraken und in »Dr. Prölls Finanzgehirnjogging« kann man das Erstellen geheimer Budgets üben.
Apropos Finanz: Auch der Independent-Titel »Buwog-Immobilien Tycoon« des früher hochgelobten Entwicklerstudios KHG-New-Economy-Games wurde dem Vernehmen nach eingestellt; anscheinend hätten sich ein paar grundlegende Berechnungsprobleme in die Software eingeschlichen, was die wahllose Ressourcenstreuung auf nur lose zugehörige Personen zur Folge gehabt hätte – ein Problem, das man ja vom »Hypo Finanz-Simulator: Südosteuropa« nur zu gut kennt. So richtig überraschend kommt das freilich nicht, denn auch der bereits letztes Jahr eingestampfte Titel »Meinl Finanz-Manager« hatte unter ähnlichen Bugs zu leiden. Wie sagt man so schön, auch in der Spielebranche: Es gilt die Unschuldsvermutung.
Schade um diese Perlen der Spielekunst – sie werden nun wohl niemals das Licht der Welt erblicken. So bleibt dem geneigten Gamer halt wieder nur der bewährte Klassiker als Alternative zu den bekannten Schmerzen jeden Wahlkampfs: Schnapsen.
Aber eh schon wissen: nicht das mit den Karten. Sondern das mit dem Hochprozentigen.
>> Leserbrief:
Zur Satire in Ausgabe 7/2010 erreichte uns folgende Stellungnahme von Helmut Heindl, Geschäftsführer Bundessparte Gewerbe und Handwerk der Wirtschaftskammer Österreich.
»In der Ausgabe 7/2010 wird unter dem Titel ›Steuerdeppen‹, einem ›Insiderbericht‹ von Rainer Sigl, ›das einzigartige Kammersystem, das wir in Österreich – im Übrigen zu Recht - mit großem Stolz und Traditionsbewusstsein führen‹ angesprochen und dabei unmissverständlich der Eindruck vermittelt, die Wirtschaftskammer würde eine ›Zusammenlegung der Konditoren- mit der Bäckerinnung oder die brutale Abschaffung der Bundesinnung der Handschuhmacher‹ als Horrorszenario empfinden, das es gilt, mit ganzer Kraft abzuwehren.
Ein ›Insiderbericht‹, auch wenn er unter ›Satire‹ erscheint, darf meiner Ansicht nach mit eindeutig falschen Aussagen Grenzen nicht überschreiten. Tatsache ist viel mehr, dass
1. die Konditoren und die Bäcker und darüber hinaus die Müller, Fleischer und alle übrigen Nahrungs- und Genussmittelgewerbe auf Bundes- und Landesebene in einer einzigen Innung der Lebensmittelgewerbe zusammengefasst sind und
2. eine Bundesinnung der Handschuhmacher niemals existierte. Zu Ihrer Information: In der Innung Mode und Bekleidungstechnik sind neben 78 anderen Berufszweigen auch die Handschuhmacher vertreten.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie dieses offensichtliche ›Horrorszenario‹ berichtigen könnten – sonst könnte ja ein Handschuhmacher noch auf die Idee kommen, seine ›Bundesinnung‹ zu suchen und wir wollen ja keine falschen Hoffnungen wecken.«
Freundliche Grüße
Mag. Helmut Heindl