Daten schützen und Daten nutzen – Big Data birgt für die öffentliche Verwaltung enormes Potenzial. Gerhard Köhle, Senior Management Consultant des BRZ, im Gespräch über Chancen und Herausforderungen der Analyse großer Datenmengen.
Report: Was bedeutet das Phänomen Big Data für Wirtschaft und Staat?
Gerhard Köhle: Während wir miteinander sprechen, werden in den nächsten fünf Minuten weltweit 70 Petabyte Daten produziert – das entspricht dem Inhalt von zwei Milliarden Büchern. Big Data ist also keineswegs nur ein Hype, sondern bereits Realität. Jetzt müssen wir uns mit den Herausforderungen dazu für die Wirtschaft, Gesellschaft und auch den Staat auseinandersetzen. Mit Big Data sind gleichermaßen Chancen wie Gefahren verbunden. Würden wir nur die Gefahren sehen, wären wir vor Angst bewegungsunfähig. Sich dagegen nur mit den Chancen zu beschäftigen und dabei auf die Sicherheit zu vergessen, wäre sehr naiv. So gibt es bereits Negativbeispiele aus dem Alltag, welche die Auswirkungen von Algorithmen auf das Leben Einzelner verdeutlichen.
In einem Fall in Frankreich ist aufgrund eines Identitätsdiebstahls ein Bürger fälschlicherweise mit einer Vorstrafe in Verbindung gebracht worden. Die Behörden hatten den Irrtum zwar erkannt und den Eintrag gelöscht. Die Datenspuren waren aber letztlich so lang, dass der Betroffene sogar seinen Job verlor. Trotz des aufgeklärten Irrtums wurde die Existenz dieses Bürgers gefährdet. Auch das kann Big Data verursachen.
Natürlich gibt es weitaus mehr positive Anwendungsbeispiele auch aus der Wirtschaft: Der Paketzusteller UPS etwa nutzt Datenanalysen für die präventive Fahrzeugwartung. Anhand von aktuellen Fahrzeugdaten werden Verschleiß und Abnutzung hochgerechnet und die Lastwägen in die Werkstatt beordert, noch bevor es zu einer Panne kommt. Das spart viel Geld und verbessert durch die höhere Verfügbarkeit der Fahrzeuge den Kundenservice.
Report: Was sind die besonderen Herausforderungen in der Analyse von großen Datenmengen?
Köhle: Prinzipiell gilt es in der Analyse von Information nicht Korrelation mit Kausalität zu verwechseln. Wir sollten nicht vergessen, dass wir es mit Maschinen zu tun haben: Wie kann ein Algorithmus Ironie oder Sarkasmus verstehen? Was kann schiefgehen, wenn solche Interpretationen automatisiert werden? Dabei können entscheidende Fehler passieren und der Staat hat deshalb hier eine besondere Verantwortung. In seiner Rolle als IT-Dienstleister möchte das BRZ auf diese Herausforderungen aufmerksam machen. Technologie sollte nicht blindlings eingesetzt werden. Auch sollten wir Datenanalysen transparenter gestalten.
Report: Es werden also auch künftig Menschen die Entscheidungen treffen?
Köhle: Letztentscheider sollte immer der Mensch sein. Big-Data-Lösungen liefern Vorschläge und helfen, die Nadel im Heuhaufen zu finden. Die Interpretation dessen muss aber beim Menschen liegen – gerade wenn es Themen wie Kriminalitätsbekämpfung und die Freiheit des Individuums geht. Es gibt aber auch andere Herausforderungen: Riesendatenmengen lassen mitunter den Fokus auf das Wesentliche verlieren. So wurde von den Geheimdiensten die Ausbreitung des islamischen Staates lange Zeit nicht erkannt. Zwar gab es schon früh Anzeichen für Aktivitäten in Syrien und in der Region. Bis die Lage von Beobachtern aber richtig eingeschätzt wurde, hatte der IS bereits ein Fläche von der Größe Großbritanniens erobert.
Report: Welche Bedeutung hat eine Transparenz von IT-Prozessen, wie Sie es ansprechen?
Köhle: Wir haben es mit immer komplexeren Algorithmen zu tun. Es gibt bereits Forderungen, diese Codes auch zu veröffentlichen. Durch die Komplexität der Technik bedarf es einer Transparenz, um die Prozesse nachvollziehbar für alle gestalten zu können – ähnlich dem im Datenschutzgesetz festgeschriebenen Recht jedes Bürgers, seine gespeicherten Daten einzusehen.
Report: Was können Big-Data-Lösungen nun für die Verwaltung tun?
Köhle: In Gesprächen mit unseren Kunden und Partnern haben wir sechs Handlungsfelder identifiziert. Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung sind dabei nur ein Aspekt. Die weiteren Themen sind Verwaltungseffizienz, Bürgerservices, Modernisierung der Gesetzgebung, das Themenfeld Wirtschaft und Arbeit sowie staatliche Infrastruktur. Laut dem Beratungsunternehmen McKinsey können Verwaltungen mit dem Einsatz von Big-Data-Technologien bis zu 20 % ihrer Gesamtkosten einsparen. Und wenn es nur
2 bis 3 % jährlich sind, wäre das schon ein großer Erfolg.
In erster Linie sind hier Verwaltungsprozesse mit einem hohen Datenaufkommen und Informationsgehalt betroffen. Nehmen Sie nur Patentanträge her: Sie beinhalten unstrukturierte Daten wie Bilder, aber auch viel Text – Daten, die bislang manuell kategorisiert werden mussten. Neue Technologien können den Bearbeitern Vorschläge für diese Kategorisierung machen, was die Recherchearbeit extrem verkürzt – von früher mehreren Tagen Länge auf nun ein paar Minuten. Generell sind Kosteneinsparungen bei allen Verwaltungsprozessen, die durch Anträge ausgelöst werden, möglich. Entsprechende Plausibilitätsprüfungen können unnötigen Aufwand verhindern. Ein Prozess wird dann erst gestartet, wenn alle Eingaben glaubwürdig sind.
Bei Services für Bürger und Unternehmen geht es darum, neuen Nutzen zu stiften, etwa durch die Automatisierung von Prozessen. Ein aktuelles Beispiel ist die antragslose Familienbeihilfe, die nach der Geburtenmeldung im Personenstandsregister nicht mehr extra beim Finanzamt beantragt werden muss. Damit werden sowohl die Effizienz als auch die Servicequalität gesteigert – das Ziel jeder Modernisierung der Verwaltung. Herausforderung ist, den Datenaustausch in der Verwaltung behördenübergreifend zu ermöglichen.
Report: Wie können Big-Data-Lösungen bei der Gesetzgebung unterstützen?
Köhle: Man kann das gut an der sogenannten wirkungsorientierten Folgenabschätzung verdeutlichen. Für jedes neue Gesetz müssen im Vorfeld dessen finanzielle und gesellschaftliche Folgen abgeschätzt werden. Zwar gibt es schon auf Umfragen in der Bevölkerung basierende Werkzeuge und Modelle, die die Verwaltungsbeamten unterstützen. Mit Big Data werden die Datenquellen erweitert und es wird möglich, auch komplexere Fragestellungen zu beantworten – bis hin zu Analysen, mit denen die möglichen Auswirkungen eines Gesetzes augenblicklich gezeigt werden.
Report: Welche weiteren Themenfelder sehen Sie hier?
Köhle: In den Bereichen Wirtschaft und Arbeit kann der Arbeitsmarktservice mit der Analyse von Datenmaterial besser unterstützt werden und Voraussagen treffen. Finanzmarkt, Anwendungen im Gesundheitsbereich, die Steuerung des öffentlichen und individuellen Verkehrs oder auch Smart Meter – es gibt enorm viel Potenzial. Dies betrifft auch die Sicherheit der Daten selbst. So können wir mithilfe von Big Data Angriffe anhand von »Predictive Analytics« frühzeitig erkennen.
Report: Welche Herausforderungen bestehen hinsichtlich der IT-Sicherheit?
Köhle: Prinzipiell unterscheiden sich die Sicherheitsanforderungen bei Big Data nicht besonders von anderen IT-Lösungen. Allerdings wird in Zeiten von Big Data zunehmend bewusst, welchen Wert die Daten der Verwaltung, Bürger und Unternehmen haben. Das BRZ bietet als österreichischer IT-Dienstleister die Möglichkeit, Daten sicher im eigenen Land zu speichern und die neuen Technologien zum Vorteil aller Beteiligten zu nutzen.