Das Melden von Fehlern sollte honoriert werden, um eine produktive Fehlerkultur zu schaffen, meint Unternehmensberaterin Elke M. Schüttelkopf.
(+) plus: Vielen Menschen wurde die Angst vor Fehlern schon in der Kindheit eingeimpft. Lässt sich das so leicht ändern?
Elke M. Schüttelkopf: Der Mensch ist vernunftbegabt. Schon mit der Geburt gelangen wir in eine ganz bestimmte Fehlerkultur, wachsen in ihr auf und übernehmen sie mit ihren ganz spezifischen Normen und Werten an. Doch Erwachsenwerden und Erwachsensein bedeutet, Normen und Werte kritisch zu überprüfen und bei Bedarf neu zu gestalten. Das ist nicht immer leicht, wir fallen immer wieder in alte Muster zurück. Aber wir machen vieles anders als die Generationen vor uns. Wir haben das Züchtigungsrecht abgeschafft, Schreien und Toben als Reaktion auf Fehler sind mittlerweile tabu. Zur Zeit lernen wir, offen mit Fehlern umzugehen, konstruktiv über Fehler zu sprechen, nicht länger Schuldige zu suchen, sondern Ursachen und Lösungen.
(+) plus: Führt der große Druck, die Produktionskosten und Preise zu minimieren, zu höherer Fehleranfälligkeit?
Schüttelkopf: Schnell gesagt: ja. Zu mehr Fehlern und mehr Stress. Daher sehnen sich viele MitarbeiterInnen nach der guten alten Zeit, in der alles viel beschaulicher ablief. Aber es gibt keinen Weg zurück. Wer wettbewerbsfähig bleiben will, fokussiert am besten drei Ziele: Kosten reduzieren, Belastungen abbauen UND die Qualität halten bzw. steigern.
(+) plus: Professionelles Sicherheits- und Qualitätsmanagement verlangt eine möglichst geringe Fehlerquote. Wird durch strenge Vorgaben die Vertuschung von Fehlern gefördert?
Schüttelkopf: Ja, um Ziele zu erreichen und Prämien zu kassieren, werden Fehler und Arbeitsunfälle schnell mal unter den Tisch gekehrt und Audits wie Theaterstücke inszeniert. Die Statistiken sehen besser aus, aber weder die Produktqualität noch die Arbeitssicherheit sind gestiegen. Dahinter steckt ein Fehler in den Steuerungssystemen, ein Managementfehler. Da wird lediglich erfolgreiche Fehlerverheimlichung und Fehlervertuschung belohnt. Aber so ein Vorgehen ist eine Zeitbombe.
(+) plus: Viele Führungskräfte sind noch überzeugt, dass eine harsche Verwarnung letztlich mehr bewirkt als Lob und Anerkennung. Werden in einem hierarchisch geführten Unternehmen weniger Fehler gemacht?
Schüttelkopf: Im Gegenteil. Ein Indikator für die Qualität der Fehlerkultur ist die Machtdistanz. Je größer die Machtdistanz, desto schlechter die Fehlerkultur. Autoritäre Führungskräfte tappen jedoch in eine Falle, in die Selbsttäuschung. Sie erleben tagtäglich, dass ein Machtwort scheinbar wirkt. Alles scheint gut zu laufen. Diese Führungskräfte sind nämlich die letzten, die von einem Fehler erfahren!
(+) plus: Begünstigt andererseits der Verzicht auf Sanktionen eine gewisse Schludrigkeit, weil die Mitarbeiter ja nichts zu befürchten haben?
Schüttelkopf: Auch Laissez-faire ist keine Lösung! Mangelnde Sorgfalt und ein geringes Qualitätsbewusstsein dürfen nicht akzeptiert werden. Das führt jedes Unternehmen in den Untergang. Kurz gesagt: Fehler verbieten ist falsch und Fehler gleichgültig hinnehmen ist genauso falsch. Vielmehr braucht es eine produktive Fehlerkultur: ein hohes Fehlerbewusstsein, ein starkes Qualitätsstreben, effektive Steuerungssysteme, effiziente Fehlerbearbeitungsmethoden, konstruktive Kommunikationsprozesse – und dazu einen kooperativen Führungsstil.
(+) plus: Wie sollten Führungskräfte reagieren, wenn ein Fehler verschwiegen wurde?
Schüttelkopf: Wer einen Fehler meldet, der bekommt oft verärgerte Blicke, abwertende Kommentare, geringere Prämien, obwohl er richtig handelt. Wer nichts sagt, erspart sich die negativen Reaktionen. Da ist es notwendig, um 180 Grad umzudenken, das Fehlermelden zu honorieren und das Verschweigen und Vertuschen zu bestrafen. Denn je länger kritische Fehler andauern, desto teurer und gefährlicher kommen sie dem Unternehmen zu stehen.
(+) plus: Einen Fehler kann man leicht tolerieren. Was soll man aber tun, wenn einem Mitarbeiter wiederholt Schlampereien passieren?
Schüttelkopf: »Rauswerfen« ist immer der erste Impuls. Wir tendieren dazu, bei Fehlern gerne Schuldige zu suchen und zu bestrafen. Anstrengender, aber auch zielführender ist ein konstruktiver Umgang mit Fehlern: angemessene Rahmenbedingungen schaffen, auf gute Qualifizierung achten, Qualitätsstandards festlegen, aus Fehlern lernen, um Wiederholfehler zu vermeiden. Fehlt jedoch die Fähigkeit oder die Bereitschaft zur Weiterentwicklung und zum Lernen aus Fehlern, ist eine Trennung unvermeidlich.
(+) plus: Wie können Unternehmen Fehler nach außen, also gegenüber ihren Kunden und Lieferanten, kommunizieren, ohne ihrer Reputation zu schaden?
Schüttelkopf: Wenn Fehler aufgezeigt werden, ist es ratsam, nicht zu mauern und zu leugnen, sondern sachlich und klar zu sagen: »Da ist uns etwas passiert, wir haben es erkannt, wir sind dabei, Verbesserungen zu setzen bzw. wir haben diese und jene Verbesserungen bereits umgesetzt.«
Zur Person
Elke M. Schüttelkopf beschäftigt sich als Beraterin, Trainerin und Autorin seit über 25 Jahren mit dem Thema Fehlerkultur (www.fehlerkultur.com). Ihr jüngstes Buch »Lernen aus Fehlern« erschien 2013 im Haufe Verlag.