Paul Haberfellner, Managing Director Nagarro Österreich, im Gespräch über Software-Testing, ein »Aufwachen« in vielen Unternehmen beim Thema Digitalisierung und die gestärkte Rolle der IT-Abteilungen.
Report: Welche Herausforderungen sehen Sie im Software-Testing derzeit?
Paul Haberfellner: Die größte ist sicherlich, ohne ausreichendes Software-Testing zu agieren – und das tun manche nach wie vor. Das ist digitaler Selbstmord. Testen ist die Versicherungspolizze, die wir alle brauchen. Man stelle sich den Marktstart einer App eines großen Unternehmens vor, die nicht durchgängig getestet wurde: Das zerstört das Image dieses Unternehmens – unabhängig davon, wie lange zuvor eine Reputation aufgebaut worden ist. Man hat leider auch in Österreich Fälle gesehen, auch in sensiblen Bereichen, wo genau das passiert ist.
Report: Welchen Anteil des Budgets eines Softwareprojekts sollten Unternehmen für Testing aufwenden?
Haberfellner: Wieviel tatsächlich zur Verfügung steht, hängt von der Awareness für dieses Thema ab. Bei klassischen Projektansätzen liegt Testing im Bereich zwischen fünf und acht Prozent des Gesamtaufwands. Bei neueren Ansätzen nimmt es bis zu 25 % ein. Letztlich ist es auch eine Frage, wie testintensiv eine Applikation oder der Prozess ist. Wieviel davon kann ich automatisieren? Kann ich »Testing Frameworks« verwenden, um – unabhängig von der Technologie dahinter – wiederkehrende Tätigkeiten abzudecken?
Das ist eine der Kompetenzen, die Nagarro in Österreich aufgebaut hat. Wir haben hier unser globales Kompetenzzentrum für Testing und Qualitätssicherung und transportieren dieses Wissen weltweit an unsere Standorte. Die 20 Jahre Projekterfahrung, die wir aus der früheren Anecon jetzt bei Nagarro haben, kommen unseren Kunden zugute – indem etwa bei bestmöglichem Output die Kosten trotzdem so gering wie möglich gehalten werden.
Auch Sicherheitsaspekte sollten stets auf dem Stand der Technik getestet werden. Gerade erst hat die Sicherheitsfrage beim Erfolg der Webkonferenz-Anwendung Zoom eine große Rolle gespielt. Zoom hatte mit dem immensen Wachstum im März und April plötzlich mit Sicherheitsproblemen zu kämpfen. Nachdem aber die App für so viele Menschen wichtig war, und auch entsprechend viel Geld auf dem Spiel stand, hat man die Lücken in kürzester Zeit schließen können. Für mich ist das ein weiteres Beispiel für Awareness, die den Unterschied beim Thema Testaufwand ausmacht.
Report: Letztlich sind IT-Services wie auch Software-Testing aber immer eine Frage der personellen Ressourcen.
Haberfellner: De facto haben alle Unternehmen in Österreich das gleiche Thema: Sie können bei Bedarfsspitzen nur schwer skalieren, da man derzeit gar nicht genug Leute am Markt findet.
Wir arbeiten seit Jahren in global verteilten Teams, da man Fachkräfte und Kompetenzen nicht von der Geografie abhängig machen kann. Nagarro bildet mit in Österreich entwickelten Curricula weltweit unter anderem in der Testautomatisierung aus. Das »TA-Curriculum« enthält eine zweijährige Ausbildung. Viele unserer Kunden greifen genau auf diese Fachkräfte zurück: Sie werden hinzugezogen, wenn etwa eine externe Expertise in einer Produktentwicklung gefordert ist.
Report: Wie können Mensch und Produktivität prinzipiell gerade auch in dieser Zeit gut verknüpft werden? Was machen Sie als IT-Dienstleister anders?
Haberfellner: Der gemeinsame Nenner und Schlüssel ist die Organisation, in der wir uns stark von anderen unterscheiden. Trotz der internationalen Aufstellungen gibt es bei uns weder eine starre Hierarchie noch die marktüblichen physischen Grenzen zwischen Ländern. Nagarro setzt auf ein gemeinsames Ökosystem mit einer Firmenkultur der Eigenverantwortung und kurzen Entscheidungswegen.
Es hat sich in den vergangenen Wochen allgemein bestätigt, dass Projekterfolge unabhängig sind von der physischen Anwesenheit der Beteiligten. Dass wir hier den richtigen Weg gewählt haben, hat sich in der Corona-Herausforderung gezeigt – ich sage bewusst nicht Krise.
Gerade in der Übergangsgeneration der Arbeitswelt, der altersbedingt typischerweise auch ich angehöre, sind einige Denkbarrieren gefallen. Viele KMU, oft eigentümergeführt, haben erkannt, dass Flexibilität ein integraler Bestandteil des Geschäftserfolges ist. Man sieht, dass die Menschen effizient auch von zuhause arbeiten können, ohne ständige Kontrolle.
Für die neue Generation am Arbeitsmarkt ist ja das digitale Nomadentum ohnehin selbstverständlich.
Report: Wo sind denn konkret die Fallstricke bei diesem Wandel? Ist es die Wahl der richtigen Werkzeuge?
Haberfellner: Die Technik selbst ist nicht die Herausforderung. Viele haben recht schnell auf Homeoffice umschalten können. Doch die IT-Tools haben jetzt jene Unterfeuerung bekommen, die man schon lange in der Branche erwartet hat.
Wir wissen aus jahrelanger Erfahrung, dass man dabei niemals auf das Zwischenmenschliche vergessen darf. Projekte können auch ohne physische Begegnungen erfolgreich sein, aber ganz ohne soziale Ebene wird es schwierig. Dies ist gerade bei größeren Distanzen und in der internationalen Zusammenarbeit auch bei kulturellen Unterschieden wichtig. Projektleiter sind stets gut beraten, aus anonymen Unternehmenseinheiten Menschen mit Gesichtern und Geschichten zu machen. Als soziale Wesen brauchen wir das »Menscheln«. Es steigert die Qualität der Zusammenarbeit und verbindet für ein gemeinsames Ziel.
Ich glaube auch nicht, dass es künftig keine Geschäftsreisen mehr geben wird. Sie werden zurückgehen, aber noch kann kein Tool den persönlichen Kontakt ersetzen.
Report: Haben sich aus einer Konsequenz daraus generell Rang und Position der IT-Leiter in der Wirtschaft verändert?
Haberfellner: Der Stellenwert der IT ist gestiegen, das hören wir auch in unseren Branchentreffs für CxOs, dem Quality Leadership Circle – QLC. Man hört jetzt viel stärker auf die CIOs – selbst in Branchen, die von den Ausgangsbeschränkungen hart getroffen worden sind. Budgetmittel werden frei gemacht, IT-Leiter werden teilweise vom kompletten Unternehmensvorstand dringend zu Digitalisierungsprojekten angehalten. In der IT hat man sich dazu jahrelang den Mund fusselig gesprochen. Jetzt wirkt der Druck für Veränderungen auch von außen ein.
Die Corona-Herausforderung ist ein absoluter Boost für die Digitalisierung. Wir adressieren diesen Wandel auch mit dem Konzept »Connected Enterprise«. Ein Beispiel dazu ist eine Zusammenarbeit mit ÖBB-Postbus, wo man bei der technischen Abnahme der Fahrzeuge auf Smart Glasses und eine hohe Effizienz durch vernetzte Abläufe setzt. Der Case aus Österreich hat international Interesse hervorgerufen, was wir an den vielen Anfragen großer Flottenbetreiber sehen.
Bei einem anderen Beispiel ist der Kundendienst eines Unternehmens an die IT herangetreten, weil er Services vor Ort bei seinen Kunden auch »remote« machen möchte. Oft entstehen dazu viele weitere Ideen wie Lösungen für Predictive Maintenance. Die IT-Leiter haben das schon vor Jahren verstanden. Jetzt ist auch ihr Umfeld dazu bereit.
Ich bedanke mich an dieser Stelle bei der PR und Fachmedien, die seit Jahren Digitalisierungsbeispiele kommunizieren. Ich begegne jetzt Menschen, die auf Dinge referenzieren, die sie einmal gelesen haben. Das ist schön zu sehen.