Sonntag, Dezember 22, 2024
»Nicht jeder in der IT muss coden können«

Christiane Noll hat vor eineinhalb Jahren die Geschäftsführung bei dem IT-Dienstleister Avanade übernommen, der im Eigentum von Microsoft und – mehrheitlich – Accenture steht. Sie plädiert für ein Umdenken zum Berufsbild IT.

Report: Avanade hat im Februar das Geschäft des übernommenen Microsoft-Partners KCS.net integriert. Um welche Mitarbeiterzahl sind Sie damit gewachsen?

Christiane Noll: Wir haben ungefähr 60 Leute übernommen. Avanade hat damit heute 150 Mitarbeiter, wir bemühen uns aber, weitere Fachkräfte zu bekommen. Wir versuchen über die nächsten zwölf Monate 35 Stellen zu besetzen. Das ist nicht leicht, denn jedes Unternehmen in Österreich sucht derzeit. Wir stellen aber nicht Wachstum über Qualität, deshalb müssen die Menschen schon gut zu uns passen, und wir zu ihnen.

Report: Welche Strategien gegen den Fachkräftemangel braucht Österreich? Wie lassen sich junge Menschen für das oft »nerdige« Berufsbild IT begeistern?

Noll: Mit der Ansprache künftiger Fachkräfte kann man natürlich nicht früh genug anfangen, das beginnt schon im Kindergarten. Doch wären für unseren Bedarf Maßnahmen dort kaum ausreichend, da wir ja nicht 15 Jahre auf die Leute warten können. Aber auch bei Über-13- und -14-Jährigen, die keine unmittelbar technische Ausbildung wählen, ist noch nichts verloren. Viele beginnen sich erst später für IT-Berufe zu interessen, auch weil sie merken, dass IT nicht automatisch täglich zehn Stunden Programmieren bedeutet.

Das bei vielen vorherrschende Berufsbild der IT sollte generell hinterfragt werden, denn gerade die Digitalisierung bedeutet Vielfalt in den unterschiedlichsten Rollen und Jobs. Nicht jeder in der IT muss coden können – die Hälfte unserer Leute kommt damit gar nicht in Berührung. So arbeiten in der Beratung bei Avanade auch Psychologinnen und Expertinnen für Change-Management. Sie begleiten die Menschen und Unternehmen auf den Wegen der Digitialisierung bei allen Veränderungsprozessen.

In Digitalisierungsprojekten sind Kreativität und soziale Kompetenzen gefragt. Man muss mit Menschen umgehen können – in der Projektarbeit Teams und Einzelne richtig einschätzen, und natürlich kommunizieren können. Dafür brauchen wir eben nicht nur Techniker, sondern auch technisches Verständnis über alle Rollen hinweg. Trotzdem sieht das Berufsbild IT für viele sehr eingeschränkt aus – fragen Sie nur einmal in einer Oberstufe nach, welche die wichtigste Tätigkeit in der IT ist.

Report: Coding.

Noll: Das darf nicht wahr sein! Jetzt sagen Sie das auch! Die Branche steht vor der großen Herausforderung, die Vielfalt in diesem Beruf aufzuzeigen. Reines Coden kann auch aus Bratislava, Indien oder anderswo erbracht werden. Hier gilt es, die internationalen Ressourcen zu nutzen. In Österreich brauchen wir vielfach die Vermittler zwischen den Kunden mit einem entsprechendem Verständnis für die Geschäftsanforderungen einerseits und der Technik am anderen Ende.

Report: Welcher Bildungszweig bringt nun diesen Typus hervor? Gibt es Bildungsstätten in Österreich, die dafür ideal sind?

Noll: Das zu beantworten ist schwierig. Ich denke, es kommt weniger auf einen bestimmten Zweig, sondern auf die einzelne Person an. Wir haben seit kurzem einen Mitarbeiter, der diese Rolle für uns sehr gut abdeckt – er ist Absolvent eines WU-Studiums ohne technischen Hintergrund. Es gibt nicht die eine Schiene – nur die eine technische Universität oder nur eine bestimmte FH –, die den idealen Mitarbeiter hervorbringt. Das wäre zu wenig. Es ist viel breiter.

Auch wir bilden übrigens Fachkräfte über Praktika und ab Herbst auch über Lehrgänge in einer eigenen »University« heran. Die besten Leute aber, die wir finden, werden meist von unseren eigenen Mitarbeitern angesprochen. Dort gibt es dann auch hinsichtlich Unternehmenskultur keine Überraschungen. Es kann ja auch nicht jeder gleich gut mit flexiblen Arbeitsorten oder unserer flachen Hierarchie umgehen. Dass die Chefin oder der Chef täglich den Leuten über die Schulter schaut – das gibt es bei uns nicht.

Report: Welchen Fokus haben Sie im IT-Markt in Österreich? Was beschäftigt abgesehen vom Fachkräftemangel Ihre Kunden?

Noll: Wir arbeiten sehr viel im Office-365-Bereich und sehen hier noch ein Riesenpotenzial am Markt. Viele Unternehmen sind dazu nicht auf dem neuesten Stand und können deshalb die Vorteile einer integrierten Büro-Automation nutzen. Das Kernthema derzeit sind generell die Transformationsthemen rund um Digitalisierung und IoT bis zu aktuellen Trends wie Bots etwa. Wir versuchen jedenfalls die richtigen Werkzeuge für das Problem oder das Ziel, das  ein Unternehmen hat, zu finden. Und es gilt, das Bilden von weiteren Inseln zu vermeiden. Die IT-Silos der Firmen sind bereits zu zerklüftet, zu verteilt.

Wir sind überzeugt, dass dazu nun die Digitalisierung ein besseres Verständnis und eine bessere Übersicht über die Systeme, die bei Unternehmen im Einsatz sind, bringen kann. Dazu gehört aber auch, die Unternehmens-IT »cloud-ready« zu gestalten. Das kennt ja jeder auch vom eigenen Konsumverhalten: Die Ansprüche an Hersteller und Dienstleister steigen enorm. Ich möchte heute auf Knopfdruck reservieren, bestellen und buchen können. Das verändert derzeit alle Bereiche der Wirtschaft.

Report: Ihre ganz persönlichen Herausforderungen vor 20 Jahren?

Christiane Noll: Damals habe ich bei dem Softwareanbieter update den Bereich Marketing und Vertrieb verantwortet sowie Niederlassungen aufgebaut. Der Begriff CRM war noch nicht erfunden, wir sprachen von Kunden-Informations-Systemen, die wir anboten. update wuchs irre schnell– bis zu einem Börsengang und einem Mitarbeiterstand von 350 Leuten zu Spitzenzeiten. Nach 16 Jahren bin ich dann zu Microsoft gewechselt und blieb dort sechseinhalb Jahre – für mich als Bereichsleiterin war das eine sehr spannende Zeit. Der Sprung dann zur Geschäftsführung von Avanade hat sich fast logisch ergeben.

Über das Unternehmen: Avanade ist ein Anbieter von digitalen Services, Business- und Cloud-Lösungen sowie Anwendungen auf Basis des Microsoft-Ökosystems. Weltweit arbeiten 30.000 Menschen in 24 Ländern für das Unternehmen, das 2000 von Accenture und Microsoft gegründet worden ist. 

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