Psychische Erkrankungen kosten Staat und Wirtschaft 3,3 Milliarden Euro pro Jahr. Seit 1991 haben sich die Krankenstandstage infolge psychischer Beschwerden verdreifacht. Die seit 1. Jänner 2013 geltende Novelle des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) sieht vor, dass Arbeitgeber Präventivmaßnahmen für die psychische Gesundheit der Beschäftigten setzen müssen. Report(+)PLUS hat sich bei Experten umgehört, was das für die Unternehmen bedeutet.
1. Was macht Menschen am Arbeitsplatz krank?
2. Wie lässt sich der starke Anstieg psychischer Erkrankungen erklären?
3. Wie können Unternehmen »Fehlbeanspruchungen« ihrer Mitarbeiter-
Innen vorbeugen?
>>Susanne Hickel, Leiterin des arbeitspsychologischen Zentrums bei Health Consult
1. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Arbeitswelt rasant verändert. Automatisierung, Globalisierung und die sprunghafte Entwicklung neuer Technologien bringen neue Herausforderungen und veränderte Gesundheitsrisiken mit sich – allem voran: Stressfolgeerkrankungen. Typische Stressfaktoren bei der Arbeit sind z.B. häufige Unterbrechungen, Unter- und Überforderung, Konflikte, unklare Kompetenzen, holprige Arbeitsabläufe, hohe Verantwortung bei geringem Entscheidungsspielraum, fehlende Anerkennung. Krankmacher Nr. 1 sind jedoch hoher Arbeitsdruck, Allzeit-Erreichbarkeit und damit das Fehlen echter Erholungsphasen. Viele Menschen fahren im Job mit ihrer Energie zu lange »auf Reserve«.
2. Psychische Erkrankungen sind zweifellos stark gestiegen – dafür gibt es unterschiedliche Erklärungen. Neben dem tatsächlichen Anstieg spielt auch die Enttabuisierung und damit erhöhte Wahrnehmung eine Rolle. In der Arbeitswelt machen zunehmende Beschleunigung, Stress und Konkurrenzdruck immer mehr Menschen zu Verlierern. Auch gesellschaftlich driften wir in eine ungesunde Richtung: »Glücksfaktoren«, die Stabilität geben und sinnstiftend sind, wie z.B. erfüllende Beziehungen zu Freunden, Familie, fordernde/fördernde Freizeitaktivitäten, Spiritualität etc. fallen zunehmend dem vollen Terminkalender zum Opfer, Ersatzbefriedigungen aus der Konsumwelt können die Lücke nicht füllen.
3. Eine »gesundheitsgerechte« Gestaltung der Arbeit kann weitaus mehr, als nur Fehlbeanspruchungen vorzubeugen: Es geht darum, optimale Bedingungen für Leistungsbereitschaft wie auch für Leistungsfähigkeit zu schaffen. »Gesundheitsgerecht« heißt, bei der Arbeitsgestaltung die Funktionsweise und die Leistungsgrenzen von Wahrnehmung, Denken und Fühlen zu berücksichtigen. Besonders wichtig: gutes Sozialklima und Rückendeckung durch Vorgesetzte. Unternehmen können Fehlbeanspruchungen vorbeugen, durch die gezielte Gestaltung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen. Präventivfachkräfte – insbesondere Arbeits- und Organisationspsychologen – unterstützen dabei. Eine sauber durchgeführte Evaluierung stellt einen sinnvollen ersten Schritt dar. Meist gibt es im Unternehmen selbst bereits gute Ansätze und Ideen zur Optimierung, die lediglich etwas »Bergehilfe« benötigen, um nach oben zu kommen.
>>Eckehard Bauer, Leitung Business Development bei Quality Austria
1. Neben den Krankheitsursachen mechanische und chemische Belastungen, welche durch eindeutige rechtliche Vorgaben und technische Verbesserungen in den letzten Jahrzehnten drastisch gesunken sind, sind es vor allem die psychischen Belastungen, die auf die MitarbeiterInnen einwirken und krankheitsbedingte Ausfälle verursachen. Das Probleme der Schwere und Ausfalldauer bei psychischen Erkrankungen ist der Zeitraum, bis die Krankheit erkannt (akzeptiert) und behandelt wird. Deshalb ist bei psychischen Belastungen die Prävention besonders wichtig und ernst zu nehmen. Bei den Krankheitsauslösern ist auch die Wechselwirkung zwischen dem privaten- und dem beruflichen Umfeld nicht zu vernachlässigen.
2. Die fachliche und terminliche Überforderung, die Dynamik der Veränderung in der Wirtschaft, der empfundene Zeitdruck, permanent zunehmende und teilweise unklare Kompetenzen und Verantwortungen, aber auch die mangelnde Arbeitsplatzsicherheit bilden eine Basis für die psychischen Erkrankungen. Der Mangel an Regeneration, der Pausenverzicht, ständiger Termindruck und die permanente Erreichbarkeit (Wochenende und Urlaub) bilden zusätzlich Auslöser für psychische Erkrankungen. Durch die verstärkte öffentliche Sensibilisierung zum Thema psychische Erkrankung werden manche psychische Erkrankungsursachen vorzeitig erkannt, bevor sie unter anderen Symptomen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Alkoholismus, usw. in der Krankenstandsstatistik aufscheinen.
3. Der beste Weg, Fehlbeanspruchungen vorzubeugen, ist der langfristige und nachhaltige Weg, beginnend bei der verpflichtenden Evaluierung. Die Evaluierung kann jedoch nur dann vorbeugend wirken, wenn diese sys-
tematisch und kontinuierlich durchgeführt wird. Durch die Einführung eines Managementsystems (z.B. ISO 9001, OHSAS 18001, usw.) kann der Nachhaltigkeitsansatz die gesamte Organisationen durch klare Strukturen, Zuständigkeiten, effektive, effiziente und optimierte Arbeitsabläufe sowie eine Weiterentwicklung der MitarbeiterInnen-Kompetenzen systematisch positiv beeinflussen. Das Managementsystem soll verhindern, dass Evaluierungserkenntnisse in einem Ordner verschwinden. Die Nachhaltigkeit wird in solch einem strukturierten System durch den kontinuierlichen Verbesserungsprozess sichergestellt. Richtig aufgebaute und gelebte Managementsysteme wirken durch die Strukturierung und Prävention in allen Organisationsbereichen stressreduzierend.
>>Paul Jiménez, Institut für Psychologie an der Universität Graz
1. Neben physischen Gefahren sind es vor allem psychische Einflüsse, die krank machen. Das sind einerseits die typischen Stressquellen wie Arbeitsmenge, zu wenig Zeit, aber auch Verstecktes wie fehlende Anerkennung und Wertschätzung für gute Arbeit, kritische Führung, fehlende Gerechtigkeit und anderes. Dies kann zu psychischen, aber auch physischen Folgen führen und zu handfesten Erkrankungen, mindes-
tens aber zu Demotivation und Rückzug der MitarbeiterInnen. Ein positives Arbeitsumfeld verringert diese Risiken und erhöht die Motivation und betriebswirtschaftliche Leistung eines Unternehmens.
2. Wir stellen einen Anstieg in der Arbeitsmenge und eine Verdichtung insgesamt fest. Durch den allgemein ansteigenden wirtschaftlichen Druck gibt es viel geringere Reserven für vieles in den Unternehmen. Der Druck wird leider nach unten weitergegeben. Die Gesellschaft wird ebenfalls sensibler, sodass wir viele Symptome und Fehlbeanspruchungsfolgen nun richtigerweise als psychisch bedingt erkennen. Eine Folge der fehlgeleiteten Zielsetzungen in manchen Managementstrategien (Stichwort Erhöhung der Leistungsziele pro Jahr um ein paar Prozent) ist auch die nichtlineare Steigerung der Erwartung an Gewinne. Sinnvolle, gesunde Ziele in der Wirtschaft korrespondieren mit Gesundheit bei Menschen.
3. Bei der Prüfung der Verbesserungspotenziale und der Belastungsquellen sind Arbeits- und OrganisationspsychologInnen die ExpertInnen. Mit der Novelle des ASchG kann die Verpflichtung zur Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen für Unternehmen sogar als Chance gesehen werden. ExpertInnen garantieren dabei, dass mit den Ergebnissen der Arbeitsplatzevaluierung sogar mehr als nur das gesetzliche Ziel, nämlich Fehlbeanspruchungsrisiken zu identifizieren, erreicht wird. Mit einer qualitativ guten Evaluierung können auch Ressourcen erkannt werden, die ein Unternehmen insgesamt stärken.