Dienstag, November 26, 2024

Nach sechs turbulenten Jahren hat die Wirtschaftskrise die Welt noch immer fest im Griff. Die Eurozone steckt in der Rezession, der Welthandel schwächelt, die Unsicherheit der Unternehmen wächst. Österreich behauptet sich inmitten dieses Szenarios tapfer. Ob und welche Maßnahmen dennoch nötig wären, hat Report (+) PLUS bei renommierten Wirtschaftsforschern nachgefragt.

Frage 1: Im Wahlkampf werden traditionell gerne Geschenke versprochen. Ist jetzt der richtige Zeitpunkt für ein Konjunkturpaket?

Ulrich Schuh, Wissenschaftlicher Vorstand von EcoAustria – Institut für Wirtschaftsforschung: Seit dem zweiten Quartal des Vorjahres stagniert die österreichische Wirtschaft. Ursache der wirtschaftlichen Schwäche ist das mangelnde Vertrauen der Konsumenten und Investoren in die Stabilität der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Europa. In diesem Umfeld können konventionelle Konjunkturpakete sogar kontraproduktiv wirken, insbesondere wenn deren Finanzierung nicht glaubhaft dargestellt wird. In Wahlkampfzeiten ist es für die Regierung allerdings schwer, sich dem öffentlichen Druck nach Aktivität zu entziehen.

Markus Marterbauer, Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft der AK Wien:
Die Zahl an Arbeitslosen liegt in Österreich 2013 um fast 90.000 höher als vor der von Banken und Finanzmärkten ausgelösten Wirtschaftskrise und um fast 30.000 höher als 2012. Ein Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpaket ist deshalb sinnvoll und dringend. Die österreichische Regierung muss zudem auf einen raschen Kurswechsel auf EU-Ebene drängen: Die neoliberale Sparpolitik ist gescheitert, sie ist nicht in der Lage, die Staatsschulden zu senken, hat aber die Zahl der Arbeitslosen um drei bis fünf Millionen erhöht.

Christian Glocker, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo): Das aktuelle Konjunkturpaket kommt zu spät: In der zweiten Jahreshälfte sollte die Konjunktur anziehen und das Wachstum der Wirtschaftsleis­tung 2014 leicht über dem Potenzialwachstum liegen. Da der Großteil der geplanten Maßnahmen erst nächstes Jahr wirksam wird, ist es vor allem für  2013 zwecklos. Ohnehin sind nationale Konjunkturprogramme für eine kleine offene Volkswirtschaft wie Österreich nur begrenzt wirksam. Stützungsmaßnahmen haben zudem vor dem Hintergrund der notwendigen Sanierung der öffentlichen Haushalte und der steigenden Staatsschulden zu erfolgen. Im laufenden Jahr sollten deshalb Vorschläge erarbeitet werden, wie die Mehrbelastung rasch durch Kürzungen von Budgetpositionen mit geringer Nachfragewirksamkeit wieder ausgeglichen werden kann, um den fiskalpolitischen Handlungsspielraum für zukünftige Interventionen zu stärken.


Frage 2: Durch welche Maßnahmen könnte die Regierung nachhaltige Impulse für die Wirtschaft erzielen?

Ulrich Schuh: In einer kleinen offenen Volkswirtschaft sind die Möglichkeiten der Konjunkturpolitik sehr eng eingeschränkt. Es ist daher sinnvoll, in einer Phase schwacher Nachfrage in jene Bereiche zu inves­tieren, die es ermöglichen, in der künftigen Aufschwungphase stärker zu profitieren. Es bietet sich daher an, in einer Schwächephase die aktive Arbeitsmarktpolitik und generell Bildungsinvestitionen zu forcieren. Ein besonderer Schwerpunkt sollte hier auf die Jugendlichen gelegt werden, die besonders stark von der Konjunktur betroffen sind.

Markus Marterbauer: Die Politik muss langfristig notwendige Strukturreformen mit kurzfristig positiven Beschäftigungseffekten kombinieren: Das ist bei Investitionen in soziale Mietwohnungen, Kindergärten und Pflege der Fall. Hier besteht hoher Bedarf an zusätzlichen Leistungen und es werden viele Jobs geschaffen. Deshalb ist das Konjunkturpaket der Regierung geglückt. Es muss um stärkere Anstrengungen in der Vermittlung und Qualifizierung von Arbeitslosen und innovative Formen der Verkürzung der Arbeitszeit (sechste Urlaubswoche) ergänzt werden.

Christian Glocker: Sinnvolle nachhaltige Impulse für die Wirtschaft wären jene, welche die »Krisenresistenz« stärken. Um Fehlentwicklungen innerhalb des Finanzsystems in Zukunft vorzubeugen, sollte der Ausbau einer effektiven makroprudenziellen Politik zur Stärkung des Verlustabsorptionspotenzials beschleunigt werden. Aber auch Unternehmen sollten Anreize erhalten, um den Eigenkapitalaufbau zu fördern und dadurch die Verlustkapazität zu stärken. Die Volatilität der Auftragseingänge hat seit 2008 deutlich zugenommen. Dies stellt vor allem die Personalpolitik der Unternehmen vor große Herausforderungen. Eine zunehmende Flexibilisierung entlang der Anpassung des aggregierten Arbeitsvolumens auf Basis der Pro-Kopf-Stunden könnte die Effizienz des Arbeitseinsatzes erhöhen und damit die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Unternehmen stärken.


Frage 3: Im europäischen Vergleich steht der österreichische Arbeitsmarkt noch immer gut da. Ist es damit angesichts der jüngsten Großinsolvenzen vorbei?

Ulrich Schuh: Der österreichische Arbeitsmarkt steht im internationalen Vergleich unvermindert gut da. Großinsolvenzen finden laufend statt, sie werden lediglich bei schwacher Konjunktur weitaus sensibler wahrgenommen und in der Regel deutlich überbewertet. Auch die aktuellen Anlassfälle werden die Arbeitslosenstatistik nicht entscheidend beeinflussen. Allerdings muss schon erkannt werden, dass Personen mit geringer Qualifikation – ungeachtet der Konjunkturlage – zunehmend unter Druck geraten. Zudem fällt Österreich bei den Arbeitsmarktindikatoren gegenüber Deutschland mittlerweile zurück.

Markus Marterbauer: Hinter der relativ niedrigen Arbeitslosigkeit in Österreich stehen der funktionierende Sozialstaat, die sozialpartnerschaftliche Lohnpolitik und die antizyklische Budgetpolitik. Wenn wir diese Prinzipien bewahren, dann sichern wir unsere Spitzenposition in der EU, auch wenn die wirtschaftliche Lage aufgrund des Versagens der europäischen Politik in den nächsten Jahren schwierig bleibt. Die österreichische Politik muss sich auf europäischer Ebene stärker für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der sozialen Ungleichheit einsetzen.

Christian Glocker: Die Gefahr bei Großinsolvenzen besteht vor allem darin, dass aufgrund von engen wirtschaftlichen bzw. finanziellen Verflechtungen auch andere Unternehmen existenzbedrohende Verluste verzeichnen könnten (Dominoeffekt). Selbst gesunde Firmen können hier in eine wirtschaftliche Schieflage geraten. Inwieweit Großinsolvenzen adverse Effekte auf den Arbeitsmarkt mit sich bringen, lässt sich schwer einschätzen. Dies hängt unter anderem davon ab, inwieweit andere Firmen die Aufträge bzw. die Mitarbeiter des insolventen Unternehmens übernehmen, aber auch ob aufgrund von Dominoeffekten andere Firmen Entlassungen aus Kostengründen vornehmen müssen.

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