Sonntag, November 24, 2024
Last Exit Restrukturierung?
Bild: iStock

Die Restrukturierungsordnung (ReO) ermöglicht eine proaktive Sanierung, bevor das Unternehmen zahlungsunfähig ist. Welche Anforderungen erfüllt werden müssen und weshalb das Verfahren bisher kaum Anwendung findet, hat Gottfried Gassner, Partner bei Binder Grösswang Rechtsanwälte, für Report(+) analysiert.

 

Seit Juli 2021 gibt es in Österreich – neben den Konkurs- und Sanierungsverfahren nach der Insolvenzordnung – auch eine Restrukturierungsordnung (ReO). Dieses Gesetz will Unternehmen die Sanierung durch ein gerichtliches Restrukturierungsverfahren eröffnen, bevor Insolvenz eingetreten ist. Denn Sanierungschancen sind am größten, wenn solche Verfahren möglichst früh in Angriff genommen werden. Die ReO basiert auf einer EU-Richtlinie. Ähnliche Gesetze gibt es daher auch in anderen EU-Mitgliedstaaten.

Unternehmen können bereits bei »wahrscheinlicher Insolvenz« ein ReO-Verfahren beantragen. Dadurch soll eine frühzeitige, proaktive Herangehensweise an Sanierungen ermöglicht werden. Auf der anderen Seite gilt: Ist Zahlungsunfähigkeit bereits eingetreten, steht der Weg in ein Restrukturierungsverfahren nicht mehr offen. Damit die Gläubiger die Restrukturierung nicht torpedieren können, steht Schuldnern auf Antrag für drei bis insgesamt sechs Monate eine Vollstreckungssperre zur Verfügung, die alle Arten von Forderungen erfassen kann. Gläubiger ihrerseits können keinen Antrag auf Eröffnung eines Restrukturierungsverfahrens stellen. Sollen nur Finanzgläubiger (also vor allem Banken) von den geplanten Restrukturierungsmaßnahmen betroffen sein, steht ein vereinfachtes (schnelles) Restrukturierungsverfahren zur Verfügung.

Selektives Verfahren
Die Verfahren nach der Insolvenzordnung (Konkurs, Sanierungsverfahren mit/ohne Eigenverwaltung) sind »kollektive« Verfahren. Sie erfassen automatisch alle Gläubiger, Arbeitnehmer*innen, Vertragspartner etc. des Schuldners; es werden auch keine Klassen von Insolvenzgläubigern gebildet. Das Restrukturierungsverfahren hingegen ist ein »selektives« Verfahren. Der Schuldner kann die Verfahrensinstrumente auf einzelne Gläubigerklassen beschränken (ausgenommen sind insbesondere Arbeitnehmerforderungen, die nicht einbezogen werden dürfen). Es müssen also nicht alle Gläubiger erfasst werden.

Dies eröffnet auch die Möglichkeit, dass das Verfahren möglichst geheim bleiben kann. Nur wenn der Schuldner das möchte, wird das Verfahren in der Ediktsdatei veröffentlicht. Konkurs- und Sanierungsverfahren werden hingegen immer veröffentlicht. Öffentlichkeit ist aber Gift für Sanierungen.

Ähnlich dem Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung behält der Schuldner grundsätzlich die Kontrolle über seine Vermögenswerte und den Betrieb seines Unternehmens. Dennoch: Das Verfahren ist ein Gerichtsverfahren, es kommt (meist) ein Restrukturierungsbeauftragter hinzu, das heißt, es spielen weitere Player mit.

Die Mehrheit schafft an
Die ReO steht theoretisch allen Unternehmen und damit auch KMU oder Einzelunternehmer*innen offen (ausgenommen ist z. B. der Finanzsektor). In vielen Fällen kann oder muss das Gericht einen Restrukturierungsbeauftragten zur Seite stellen. Das Verfahren bedarf aber teils umfassender Vorarbeiten etwa im Zusammenhang mit dem Inhalt des Restrukturierungsplans und der auf- und auszuarbeitenden Unterlagen, den anzustellenden Berechnungen und Kalkulationen etc. Das ist mit einem entsprechenden (Beratungs-)Aufwand und Kosten verbunden. Praktisch kommt das Verfahren daher nur für Unternehmen ab einer gewissen Größe in Frage.

Der Restrukturierungsplan kann die vorgesehenen (nur in engem Rahmen möglichen) Restrukturierungsmaßnahmen gegen den Willen einer widersprechenden Minderheit durchsetzen. Wird pro Gläubigerklasse eine 75-prozentige Summen- und eine einfache Kopfmehrheit erreicht, ist der Plan für sämtliche davon betroffenen Gläubiger bindend (sogenannter cram down). Dadurch sollen einzelne Gläubiger, die eine von der breiten Mehrheit mitgetragene Sanierung blockieren (sogenannte Akkordstörer), überstimmt werden können. Für außergerichtliche Sanierungen kann dies unter Umständen als Drohszenario dienen und ein Einlenken ermöglichen.

Selten angewandt
Trotz vieler positiver Ansätze finden Verfahren nach der ReO bisher in der Praxis de facto keine Anwendung. Warum ist das so?

- Viele Unternehmen befassen sich mit der Thematik ganz einfach zu spät; die Zahlungs(un)fähigkeit und deren Aufrechterhaltung während des Verfahrens versperrt oft den Weg in das ReO-Verfahren.

- Aufwand und mögliche Kosten schrecken ab.

- Es gibt eine gut funktionierende, bewährte Praxis außergerichtlicher Sanierungen. Auch bei den Sanierungsverfahren gibt es viele Beispiele, an denen man sich orientieren kann (im Guten wie im Schlechten).

- Die möglichen Maßnahmen, die man durch den Plan rechtlich erzwingen kann, sind zu eng. Insbesondere, dass Eigentümerpositionen »unangreifbar« sind, ist hier oft ein Thema – in Ländern, die weitergehende Maßnahmen erlauben, ist die Akzeptanz solcher Verfahren wesentlich größer.

- Es gibt bislang keine öffentlich bekannten Erfolgsbeispiele von Sanierungen durch ReO-Verfahren, die als Vorbild für andere dienen könnten.

Bekanntlich steigt aktuell die Zahl an Insolvenzen rasant an. Es kann also gut sein, dass damit auch die ReO nochmals eine Chance bekommt!

 

Der Autor

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Gottfried Gassner ist Rechtsanwalt und Partner bei Binder Grösswang Rechtsanwälte (www.bindergroesswang.at) und verfügt über rund 20 Jahre Erfahrung in den Bereichen Restrukturierung & Insolvenzrecht sowie Gesellschaftsrecht und M&A. Er ist Verfasser zahlreicher Publikationen zu diesen Rechtsbereichen sowie Vortragender bei Fachkonferenzen und Seminaren.

 

Hintergrund: Der Restrukturierungsplan

Das Gesetz gibt die Informationen, die im Restrukturierungsplan enthalten sein müssen, detailliert vor. Zum einen sind das viele formale Angaben, zum anderen sind aber auch die Restrukturierungsmaßnahmen etc. zu beschreiben.

Ein Kernpunkt ist die Zuteilung der von den Restrukturierungsmaßnahmen betroffenen Gläubiger in Klassen (für KMU gelten Ausnahmen):

1. Gläubiger mit besicherten Forderungen (z. B. Pfandrechte oder Ähnliches)
2. Gläubiger mit unbesicherten Forderungen
3. Anleihegläubiger
4. Schutzbedürftige Gläubiger (das sind insbesondere Gläubiger mit Forderungen unter 10.000 Euro)
5. Gläubiger nachrangiger Forderungen

Der Plan kann allerdings in Verträge mit Gläubigern nur in einem sehr engen Rahmen eingreifen, nämlich im Wesentlichen nur durch die Möglichkeiten zur Änderung von Laufzeiten, zur Stundung und zur Forderungskürzung. Der Fokus liegt also erkennbar auf Finanzierungen.
Anders als in Konkurs- und Sanierungsverfahren können aber Verträge nicht (bevorrechtet) gekündigt werden. Man kann Vertragspartner auch nicht die Änderung von Konditionen aufdrängen. Bestehende Kreditsicherheiten bleiben unangetastet.

Auch in die Rechte der Gesellschafter/Aktionäre kann nicht eingegriffen werden. Zum Beispiel können nicht gegen den Willen der Gesellschafter/Aktionäre der Einstieg eines Investors erzwungen oder Forderungen in Anteile umgewandelt werden (debt to equity swap). Andere Rechtsordnungen sind hier deutlich flexibler.

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