Mit dem Vorschlag einer Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 41 Stunden bei gleicher Bezahlung konterte die Industriellenvereinigung dem Wunsch der SPÖ nach einer Senkung auf 32 Stunden. Auch wenn diese Forderungen zum Teil der hitzigen Wahlkampfrhetorik geschuldet sind, steckt doch ein wahrer Kern in der Debatte. An welchen Schrauben müsste gedreht werden, um wirtschaftliche Einbußen infolge des Arbeitskräftemangels abzuwenden? Report(+) hat drei Expert*innen um ihre Einschätzung gebeten.
1. Ist die Forderung nach einer Erhöhung der Wochenarbeitszeit gerechtfertigt?
"Die Diskussion darüber ist dringend notwendig, wenn wir als Industrie am Standort Österreich weiter wettbewerbsfähig sein wollen. Es wird sich nicht ausgehen, dass wir immer weniger arbeiten, wenn der Rest der Welt mehr arbeitet. Unsere international höchsten Sozialstandards müssen weiter finanziert werden und das wird nur möglich sein, wenn die Industrie weiterhin ihren großen Beitrag leistet."
Kari Ochsner, Geschäftsführer Ochsner Wärmepumpen und Präsident der Industriellenvereinigung Niederösterreich
"Nein, eine Arbeitszeitverlängerung ist absurd. Wir müssen die Arbeitszeit reduzieren – und zwar bei vollem Lohnausgleich. Schon jetzt arbeiten Vollzeitbeschäftigte in Österreich durchschnittlich fast 41 Stunden pro Woche und zählen damit zu den Spitzenreitern in der EU. Eine Verlängerung der Arbeitszeit würde einen Schaden von rund 3,2 Milliarden Euro für die Arbeitnehmer*innen bedeuten, wenn diese Stunden nicht vergütet würden. Würden die rund 2,3 Millionen Vollzeitbeschäftigten jede Woche eine Stunde über die bisherige Normalarbeitszeit hinaus arbeiten, ergäbe das etwa 120 Millionen Arbeitsstunden, die dann eben nicht extra vergütet würden. Bei schon jetzt fast 47 Millionen unbezahlten Überstunden, würde dadurch ein eklatanter Lohnraub legalisiert werden. Dazu kämen noch weitere 250 Millionen Euro, die Teilzeitbeschäftigte durch die Verringerung ihres Stundenlohns bzw. -gehalts verlieren würden."
Ingrid Reischl, Bundesgeschäftsführerin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes
"Viele Betriebe haben Probleme, offene Stellen zu besetzen. Um vorhandene Geschäftschancen dennoch zu realisieren, liegt es nahe, die vorhandenen Beschäftigten dazu zu bringen, länger zu arbeiten. Das ist aber keine Aufgabe für den Gesetzgeber. In erster Linie muss das der bzw. die Arbeitgeber*in mit der Belegschaft aushandeln; die Sozialpartner könnten dafür einen Rahmen schaffen. Der Arbeitskräftemangel bringt Beschäftigte in eine starke Position, darum wird es höhere Arbeitszeit nur mit Lohnausgleich geben."
Holger Bonin, Direktor des Instituts für Höhere Studien
2. Wie kann die hohe Teilzeitquote gesenkt werden?
Wir müssen Vollzeitarbeit finanziell attraktiver gestalten. Aktuell ist das Steuer- und Sozialversicherungssystem nicht darauf ausgerichtet, Teilzeitkräfte für mehr Arbeitsstunden zu motivieren. Bei der Verdopplung der Arbeitszeit von 20 auf 40 Stunden wird 100 Prozent mehr gearbeitet, aber nur um 60 Prozent mehr bezahlt. Das ist schlicht und einfach unattraktiv. Ich sehe aber auch die Bedeutung von Teilzeitarbeit, insbesondere bei Müttern, die eine Familie gegründet haben und zurück ins Berufsleben kommen. Sorgen macht mir der zunehmende Trend, besonders unter jungen Männern, Freizeit zu bevorzugen und weniger zu arbeiten. Dies hat langfristige Auswirkungen auf unser Pensionssystem, denn wer weniger einzahlt, kann nicht erwarten, dass die Gesellschaft später die Differenz ausgleicht. Es ist wichtig, diese Realität offen zu kommunizieren.
Kari Ochsner, Geschäftsführer Ochsner Wärmepumpen und Präsident der Industriellenvereinigung Niederösterreich
"Die Frage ist nicht nur, wie die Teilzeitquote gesenkt werden kann, sondern vor allem, warum in Österreich jede zweite Frau in Teilzeit arbeitet. Die Antwort liegt auf der Hand: Care-Arbeit übernehmen nach wie vor hauptsächlich Frauen. Fehlende kostengünstige und flächendeckende Kinderbetreuung führt dazu, dass sie in Teilzeit bleiben, obwohl sie mehr Stunden arbeiten wollten. Zu bedenken ist auch, dass selbst wenn eine Aufstockung der Stunden gewünscht ist, es nicht immer möglich ist, in Vollzeit zu wechseln – weil Dienstverträge zum Beispiel nur in Teilzeit angeboten werden. Aus Sicht des ÖGB wäre es wichtig, Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen, Lösungen für die gerechte Aufteilung von Care-Arbeit zu schaffen und die Wochenarbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigung zu senken."
Ingrid Reischl, Bundesgeschäftsführerin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes
"Auch hier spielen die Arbeitgeber eine zentrale Rolle. Flexiblere Arbeitszeitmodelle sind eine essenzielle Antwort auf die Wünsche nach Work-Life-Balance. Aktives Karrieremanagement, Weiterbildung und gesundheitsorientierte Arbeitsgestaltung tragen dazu bei, dass Menschen länger arbeiten wollen und können. Die Politik kann dabei unterstützen: indem sie bedarfsgerechte hochwertige Kinderbetreuung bereitstellt und die Fehlanreize im Steuer- und Transfer-System, Teilzeit statt Vollzeit zu arbeiten, beseitigt."
Holger Bonin, Direktor des Instituts für Höhere Studien
3. Sollte das Pensionsantrittsalter angehoben werden?
"Ein wesentlicher erster Schritt ist, dass einmal das gesetzliche Pensionsalter erfüllt wird. In Schweden zum Beispiel gehen Männer und Frauen gemäß den gesetzlichen Bestimmungen im Alter von 65 Jahren in den Ruhestand, während in Österreich das Durchschnittsalter bei 61,05 Jahren liegt. Langfristig muss das Pensionsantrittsalter an die Lebenserwartung der Menschen kontinuierlich angepasst werden. Es ist auch wichtig, dass Arbeit über das Pensionsalter hinaus finanziell attraktiver wird. Denn: »Performance has no age« – Leistung muss sich in jeder Lebensphase lohnen."
Kari Ochsner, Geschäftsführer Ochsner Wärmepumpen und Präsident der Industriellenvereinigung Niederösterreich
"Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache: Unser Pensionssystem ist nachhaltig. Statt einer Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters wäre es höchste Zeit, das Arbeitskräftepotenzial zu heben, indem die strukturellen Rahmenbedingungen für eine gerechte Aufteilung der Care-Arbeit geschaffen werden. Wichtig dabei ist auch, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Schließlich muss die Arbeitswelt an die Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer*innen angepasst werden. Dazu zählen Maßnahmen wie die Förderung guter Work-Life-Balance, Weiterbildungsmöglichkeiten und altersgerechte Arbeitsplatzgestaltung. Auf diese Weise würde sich das faktische (tatsächliche) Pensionsantrittsalter automatisch erhöhen."
Ingrid Reischl, Bundesgeschäftsführerin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes
"Kurzfristig nicht, denn die Menschen brauchen Zeit, um ihre Lebensplanung an neue Regeln anzupassen. Auf lange Sicht kommt Österreich aber nicht umhin, sich der Realität zu stellen, dass das Pensionsalter der weiter steigenden Lebenserwartung folgen muss. Wie das konkret umgesetzt wird, sollte die Politik schon jetzt regeln, auch wenn man wenigstens zehn Jahre Vorlauf braucht, bis die Anhebung beginnt. Das gibt Planungssicherheit für die notwendigen Anpassungen in der Arbeitswelt, damit Betroffene länger erwerbstätig bleiben können."
Holger Bonin, Direktor des Instituts für Höhere Studien