Sonntag, Dezember 22, 2024
Faktor Arbeit - zu teuer?
Der Report fragt nach: Drei Expert*innen, drei Fragen, ein aktuelles Thema. (Fotocredit: iStock)

Der Faktor Arbeit wird in Österreich sehr hoch belastet. Zählt man Einkommenssteuer, Sozialversicherungsabgaben und die Lohnnebenkosten der Dienstgeber zusammen, gehört Österreich zu den drei OECD-Ländern mit den höchsten Abgaben. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt die Abgabenquote aktuell bei 43 Prozent – die ÖVP hat erneut als Zielwert »unter 40« ausgegeben. Ist das realistisch? Und welche Effekte hätte eine Senkung der Lohnnebenkosten? Report(+) hat drei Expert*innen um ihre Einschätzung gebeten.

1. Schafft eine Senkung der Lohnnebenkosten tatsächlich neue Jobs?

Martin Halla
Professor für Gesundheitsökonomie und Digitalisierung an der WU Wien

Je mehr die Arbeitgeber von der Senkung der Lohnnebenkosten profitieren, desto stärker fallen die Kosten des Faktors Arbeit und umso mehr sollte die Nachfrage nach Arbeit steigen. Für eine vollständige Bewertung müssen aber auch die Auswirkungen auf den Märkten berücksichtigt werden, auf denen die Arbeitgeber ihre Güter und Dienstleistungen anbieten. Bei starkem Wettbewerb könnten auch die Konsument*innen von einer Senkung der Lohnnebenkosten in Form von leichten Preissenkungen profitieren. Dies reduziert den Effekt auf die Nachfrage nach Arbeit.

Dieter Pock
Steuerberater und Partner bei TPA Österreich

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(Foto: TPA)

Eine Senkung der Lohnnebenkosten ist ein wesentlicher Schritt zur Reduktion der Gesamtkosten des Faktors Arbeit. Neben Kosten sind aber auch Verfügbarkeit und richtige Qualifikation der Arbeitskräfte entscheidend, damit Unternehmen offene Stellen überhaupt besetzen können. Digitalisierung und Automatisierung spielen in vielen Branchen eine zunehmend bedeutsame Rolle und helfen Unternehmen – in Kombination mit den richtigen Skills ihres Personals –, konkurrenzfähig zu bleiben. Nur Unternehmen, nach deren Produkten und Leistungen Nachfrage besteht, werden neue Jobs schaffen.

Margit Schratzenstaller
Senior Economist am WIFO, Forschungsgruppe Makroökonomie und Öffentliche Finanzen

Empirische Studien legen nahe, dass hohe Abgaben auf Arbeit für die Unternehmen vor allem bei bestimmten Gruppen problematisch sind: Menschen mit geringen Qualifikationen, ältere oder langzeitarbeitslose Arbeitnehmer*innen, deren Qualifikationen sich entwerten, und jüngere Arbeitnehmer*innen mit noch wenig Arbeitserfahrung. Bei diesen Gruppen kann eine Reduktion der Lohnnebenkosten durchaus für mehr Beschäftigung sorgen, während allgemeine Entlastungen weniger wirksam sein dürften.


2. Wer profitiert davon eher, die Arbeitnehmer*innen oder die Unternehmen?

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Martin Halla ist Professor für Gesundheitsökonomie und Digitalisierung an der WU Wien. (Foto: WU Wien)

Martin Halla: Formal zahlen die Arbeitgeber die Lohnnebenkosten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie diese Kosten auch tatsächlich tragen. Man muss hier – wie bei einer Steuer – zwischen der sogenannten formalen Inzidenz und der effektiven Inzidenz unterscheiden. Wenn man Abgaben verändert, so hat dies einen Effekt auf die Preise (im konkreten Fall auf die Löhne). Die effektive Inzidenz ergibt sich aus der sogenannten Elastizität des Angebotes von Arbeit und der Nachfrage nach Arbeit. Jene Marktseite, welche weniger Alternativen hat und weniger (= unelastischer) auf Preisänderungen reagiert, trägt einen größeren Anteil der Abgaben und profitiert auch weniger von Abgabensenkungen. Wer mehr profitiert, ist daher eine empirische Frage und kann auch zwischen Branchen variieren.

Dieter Pock: Vordergründig profitieren Unternehmen von einer Senkung der Lohnnebenkosten. Diese können ohne einschränkende gesetzliche Regelung entscheiden, ob die ersparten Kosten zur Ergebnisverbesserung genutzt oder in die eigene Leistungskapazität investiert werden. Besonders in Branchen, in denen Fachkräftemangel herrscht, können gesenkte Lohnnebenkosten Unternehmen den nötigen Spielraum geben, um ihren Mitarbeiter*innen höhere Löhne/Gehälter zahlen zu können. Allgemein ist aber nicht zu erwarten, dass diese Maßnahme 1:1 zu höheren Löhnen/Gehältern führen wird.

Margit Schratzenstaller: Allgemein zeigt sich in empirischen Untersuchungen, dass eine Senkung der Lohnnebenkosten beide Seiten entlastet: die Arbeitnehmer*innen in Form höherer Nettolöhne, die Unternehmen in Form höherer Gewinne. Wie sich die Entlastung auf Unternehmen und Arbeitnehmer*innen verteilt, hängt von mehreren Faktoren ab, unter anderem von der Arbeitsmarktsituation. Herrscht Arbeitskräftemangel, so wie derzeit in vielen Bereichen in Österreich, dürften die Arbeitnehmer*innen stärker profitieren.


3. Wie könnte diese Maßnahme finanziert werden?

Martin Halla: Unbestritten ist, dass die Senkung der Lohnnebenkosten (zumindest kurzfristig) einer Gegenfinanzierung bedarf. Wo hier gespart wird, ist eine politische Entscheidung. Österreich hat eine sehr hohe Abgabenquote. Mittelfristig sollte angestrebt werden, das bestehende Niveau an öffentlichen Leistungen mit weniger Mitteln zu finanzieren.

Dieter Pock: Steuersenkungen können durch Ausgabenreduktion (z. B. Verwaltungskosteneinsparung, Leistungskürzungen) oder Erhöhung anderer Steuern finanziert werden. Am Ende ist es eine (gesellschafts-)politische Entscheidung, welchen Weg man beschreiten möchte. Wenn der Umfang der Sozialleistungen, deren Budget durch Lohnnebenkosten gespeist wird, erhalten werden soll, müssten diese Mittel aus anderen Quellen kommen. Dabei sollten die Bemühungen der letzten Jahre, die in Österreich nicht gerade geringe Abgabenquote zu senken, im Auge behalten werden.

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Margit Schratzenstaller ist Senior Economist am WIFO und Teil der Forschungsgruppe Makroökonomie und Öffentliche Finanzen. (Foto: Alexander Müller)

Margit Schratzenstaller:
Sollen Leistungskürzungen vermieden werden, wenn etwa der Beitrag zum Familienlastenausgleichsfonds oder der Wohnbauförderungsbeitrag reduziert wird, sind die Einnahmenausfälle aus dem Steueraufkommen auszugleichen. Damit die erforderlichen Mittel nicht anderweitig fehlen oder höhere Schulden gemacht werden müssen, sind im Gegenzug andere Steuern zu erhöhen: beispielsweise die Grundsteuer oder Steuern auf Emissionen und Umweltverbrauch. Die Abgabenstruktur würde so beschäftigungsfreundlicher und ökologisch nachhaltiger.

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