Chaos, Intransparenz, Angst – in Konzernen klaffen Image und Realität oft auseinander. Mit weitreichenden Folgen: Enttäuschte Mitarbeiter, hohe Fluktuation und negativer Ruf.
Text: Angela Heissenberger
Benefits sollen Mitarbeiter*innen locken, motivieren und möglichst langfristig an ein Unternehmen binden. Gratisgetränke und Öffi-Tickets können über Missstände im Betrieb jedoch nur kurzfristig hinwegtäuschen. Um Arbeitnehmer*innen als echte Fans zu gewinnen, braucht es eine gelebte Unternehmenskultur statt leerer Versprechungen. Mittelständische Unternehmen verstehen oftmals besser als Großbetriebe, dass die Zufriedenheit ihrer Belegschaft weniger in üppigen Obstkörben, sondern in einer werteorientierten und vertrauensvollen Führung liegt. Lean Management und agiles Arbeiten sind auch für den Mittelstand keine Lippenbekenntnisse. Aber für eine leistungsfördernde und motivierende Arbeitsumgebung sorgen hier vor allem ein wertschätzendes Management sowie eine Politik der offenen Türen.
Zuletzt geriet der deutsche Spielwarenkonzern Playmobil in Misskredit. Ein schlechtes Arbeitsklima, kein Mitspracherecht der Mitarbeitenden, Gehaltsunterschiede bei gleicher Aufgabenstellung und keine Möglichkeiten für innovative Ideen lauteten die Vorwürfe gegen das zuletzt ins Straucheln geratene Traditionsunternehmen. Sie sind symptomatisch für so manchen Big Player, egal welcher Branche: Fühlen sich Mitarbeiter*innen in ihren Erwartungen enttäuscht und von der Führungsspitze hinters Licht geführt, sind Kündigungswellen sowie Reputations- und Wirtschaftsschäden in vielen Fällen die Konsequenz.
Als attraktiver Arbeitergeber nach innen und außen authentisch in Erscheinung zu treten, muss deshalb zur zentralen Zielsetzung von Unternehmen werden. Hier lohnt sich der Blick auf mittelständische Firmen: Attribute wie flache Hierarchien, schnelle Entscheidungswege und ein familiäres Betriebsklima decken sich mit der mehrheitlichen Erwartungshaltung von Arbeitnehmer*innen. Fälle wie Playmobil zeigen, dass positive Markenimages noch lange keine Rückschlüsse auf die gelebte Unternehmenskultur zulassen. Trotzdem blenden Konzerne mit ihrer Bekanntheit und ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Dabei müssen sich kleine und mittelständische Firmen keinesfalls verstecken. Im Gegenteil – Betriebe »von nebenan« dienen auch als Lernschulen für die Großen.
Eine aktuelle zeag-Studie in Zusammenarbeit mit dem Leadership Institute der Universität St. Gallen stützt diese These. Demnach haben mehr als 75 Prozent der gesunden und produktiven KMU im Jahr 2022 ein transformationales Führungsklima etabliert. Mehr als 90 Prozent der befragten Firmen verfügen über eine moderne Unternehmenskultur, die auf Diversität, emotionalisierende HR-Maßnahmen und gezielte Weiterentwicklung Wert legt. Mittelständische C-Level-Akteure binden ihre Mitarbeitenden aktiv in Unternehmensentscheidungen ein – sie fördern auf diesem Weg eigenverantwortliches Handeln und regen eine offene Fehlerkultur an. Auch hier unterstreicht die zeag-Studie den partizipativen Kurs: 75 Prozent der Mitarbeitenden in gesunden Unternehmen empfinden ihre Arbeit als sinnvoll und kohärent mit dem eigenen Lebensstil.
Dass KMU künftig eine Extrameile gehen müssen, um als Arbeitgeber gegenüber Großunternehmen mehr Sichtbarkeit zu erlangen, ist unumstritten. Denn vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels wetteifern Unternehmen aller Größenordnungen um fähiges Personal. Versuchen mittelständische Betriebe hier bei Benefits und hohen Gehältern mitzuhalten, scheitern sie zwangsläufig. KMU müssen auf vielfältigen Kanälen und in hoher Frequenz glaubwürdiges Storytelling betreiben, um jene Qualitäten zu betonen, die sie im Kern stark machen. So gelingt es, auch High Potentials anzusprechen und gleichzeitig die Mitarbeiterbindung zu festigen.
Lernschule Mittelstand
Vom Erfolg der Mittelständler können Konzerne lernen.
- Mitarbeiterbefragungen durchführen: Das Arbeitsklima in der Belegschaft zu erfassen, stellt für Konzerne häufig einen Drahtseilakt dar. Der Anonymitätsgrad ist groß und eine dialogorientierte Kommunikation nicht immer gegeben. Regelmäßige Befragungen der Mitarbeiter*innen helfen jedoch, Blind Spots und Pain Points sichtbar zu machen. Kurze Puls-Checks überbrücken die Zeit zwischen den groß angelegten Stimmungstests.
- Unternehmensvision (vor-)leben: Eine kollektive Identifikation der Mitarbeitenden mit der Strategie und Unternehmensvision herstellen – das geht Hand in Hand mit der Unternehmensentwicklung. Das Management sollte das übergeordnete Zukunftsbild glaubhaft vorleben und den Beitrag jedes bzw. jeder Einzelnen auf dem Weg ins Ziel (be-)greifbar machen.
- Inspirierende Führung kultivieren: Ein wirkungsvoller Führungsstil weckt Enthusiasmus. Gepaart mit ergebnisorientierter Führung, die klare Zielvereinbarungen und häufiges, fundiertes Feedback beinhaltet, gibt den Mitarbeitenden Halt und Orientierung.
- Mitarbeitende stärken: Wer die Mitarbeitenden empowert, also ihnen Verantwortung überträgt und sie ermutigt, auch schwierige Aufgaben zu bewältigen, stärkt ihr Selbstwertgefühl und stimuliert die intrinsische Motivation. Eine agile Kultur, die von einem starken Miteinander geprägt ist, schafft die Basis für ein gesundes und erfolgreiches Unternehmen.
- Talente fördern: Ein umfassendes Entwicklungsmanagement zu integrieren, kommt dem Aufbau einer internen Talentschmiede gleich. Führungskräfte, die ihre Mitarbeitenden nach ihren individuellen Fähigkeiten, Zielen und Präferenzen bestmöglich fördern und weiterentwickeln, zahlen damit langfristig auf die unternehmerische Wachstums- und Innovationskraft ein. Parallel dazu wächst die Loyalität und Leistungsbereitschaft innerhalb der Belegschaft.