Sonntag, Dezember 22, 2024
Digitale Lieferketten
(Titelbild: iStock)

Von Strecken-Optimierung über Barcode-Scanner bis zu überwachten Supply Chains: Die Transport- und Logistikbranche hat schon früh auf neue Technologien vertraut. Der wichtige Wirtschaftszweig zählt auch heute zu den Treibern digitaler Innovationen – und steht mehr denn je unter Druck.

Jeder 17. in Österreich erwirtschaftete Euro ist laut einer Studie des Forschungsinstituts Economia heimischen Logistikunternehmen zuzurechnen. In den Jahren 2019 bis 2021 wuchs die Branche stärker als die Gesamtwirtschaft, nämlich um 5,9 Prozent jährlich, und trug 14,7 Milliarden Euro (4,0 %) zur gesamtösterreichischen Bruttowertschöpfung bei.

Die Branche gilt als volkswirtschaftlicher Multiplikator – geopolitische und ökonomische Herausforderungen treffen somit auch eine ganze Reihe anderer Wirtschaftszweige. Die Coronapandemie, Transportblockaden, Handelsbeschränkungen und die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine beeinflussten das Wachstum und machten zugleich deutlich, wie fragil und anfällig eine über den Erdball gespannte Kette von logistischen und produktionstechnischen Prozessen sein kann. Allein die Havarie der »Ever Given«, die im März 2021 sechs Tage lang den Suez­kanal blockierte, führte zu einem täglichen Transportausfall von Ladungsgütern im Wert von über neun Milliarden US-Dollar. 

Zu viele Schnittstellen

Die Transportbranche steuert und optimiert Materialströme über Land, Meer oder Luft. Neue Marktteilnehmer, Kapazitätsausbau und multimodale Verkehrskonzepte verändern die Voraussetzungen ebenso fundamental wie die digitale Transformation, die nahezu in alle logistischen Prozesse eingreift.

Österreich spielt als wichtigster Logistik-Hub in Zentral- und Osteuropa eine wesentliche Rolle im internationalen Güterverkehr. Um den Wirtschaftsstandort zu sichern, ist eine zukunftsfähige Infrastruktur unerlässlich. »Funktionierende Lieferketten sind entscheidend für den Erfolg der heimischen Industrie«, bestätigt Peter Koren, Vize-Generalsekretär der Industriellenvereinigung. »In Zeiten der Glokalisierung kann die Industrie regionale Produktion erleichtern, grenzüberschreitende Transporte verringern und so die Versorgungssicherheit und internationale Wettbewerbsfähigkeit Österreichs gewährleisten.«

Die Branche steht vor tiefgreifenden Herausforderungen. Einige Faktoren – etwa die Energiepreise oder die Dauer des Ukraine-Kriegs – liegen außerhalb ihres Einflussbereichs. Dennoch gibt es Lösungsansätze, um Lieferketten flexibler und resilienter zu gestalten. Eine lückenlose digitale Überwachung fungiert als Frühwarnsystem, wenn sich Schwierigkeiten ankündigen. Für jedes Kettenglied sollte es nach Möglichkeit mindestens eine Ausweichmöglichkeit geben, auf die ohne größere Umstände umgeschwenkt werden kann. Viele Abläufe sind trotz Digitalisierung aber noch immer personalintensiv aufgestellt. Durch unterschiedliche Systeme fehlen einheitliche digitale Prozesse, zu viele Schnittstellen verursachen Fehler.

Peter Koren, IV: »In Zeiten der Glokalisierung kann die Industrie die Versorgungssicherheit Österreichs gewährleisten.« (Foto: Alexander Müller/ IV)


Resiliente Lieferketten

Jedes Unternehmen sollte auf plötzlich auftretende Lieferkettenprobleme vorbereitet sein. Vier Tipps von Boston Consulting:

  1. Die Lieferanten der Lieferanten verstehen: Obwohl Unternehmen seit Jahren in einem Netz globaler Lieferketten tätig sind, verfügen viele nicht über einen vollständigen Bestand ihrer Lieferanten, geschweige denn über die Lieferanten ihrer Lieferanten. Um die Risiken einzuschätzen, können KI-Tools wichtige Daten der Lieferkette überprüfen und überwachen.

  2. Auf Veränderungen vorbereiten: Stellen Sie sicher, dass Ihre Teams über die Ressourcen und technischen Fähigkeiten verfügen, um die Risiken zu bewerten, die durch Eingriffe in Lieferketten entstehen. Erstellen Sie verschiedene Szenarien und entwickeln Sie Strategiepläne, die exponierte Unternehmensbereiche fit für die Zukunft machen.

  3. Neue Möglichkeiten suchen: Unternehmen, die schnell handeln und umdisponieren können, sind klar im Vorteil. Die Ära des Just-in-Time ist vorbei, für viele Branchen beginnt die Ära des Just-in-Case. Erstellen Sie Pläne zur Erweiterung der Produktionskapazität oder identifizieren Sie neue Lieferanten angesichts politischer oder wirtschaftlicher Veränderungen.

  4. Notfallpläne bereithalten: Berücksichtigen Sie, dass auch Ihre Belegschaft geopolitischen Risiken ausgesetzt sein könnte. Viele Unternehmen haben beispielsweise Forschungs- und Entwicklungslabore in mehreren Ländern eingerichtet und grenzüberschreitende private oder öffentliche akademische Partnerschaften aufgebaut. 

Umbruch

Mit der Frage, wie eine nachhaltige Güterlogistik aussehen könnte, beschäftigte sich das Qualifizierungsnetz »DeNaLog« in einem von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützten Projekt. In einem Zeitraum von zwei Jahren nahmen 17 Logistikunternehmen an Schulungen in den Bereichen Digitalisierung, E-Commerce und Nachhaltigkeit teil. Als Wissensvermittler beteiligten sich die Universität Innsbruck, die Fachhochschulen Salzburg und Steyr, die JKU Linz, sowie V-Research, Thinkport Vienna und der Verein Netzwerk Logistik.

Das Projekt lief bis März 2023, Koordinator Markus Mailer, Institut für Infrastruktur an der Universität Innsbuck, ist zuversichtlich, dass dieses Netzwerk »den Austausch zwischen Wirtschaft und Wissenschaft in diesem Zukunftsfeld nachhaltig befördert«. Insgesamt nahmen 76 Personen aus den unterschiedlichsten Unternehmensbereichen an den Workshops teil, in denen umfassendes Know-how unter anderem zu Plattformen, Risikomanagement, alternativen Antriebssystemen, Data Mining, Cybersecurity und Green and Smart Logistic angeboten wurde. »Die Logistikbranche steht vor einigen drängenden Problemen, allen voran einem Fachkräftemangel, aber auch vor Herausforderungen, die neue Technologien mit sich bringen«, verweist Elisabeth Stich, Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Intelligente Verkehrssysteme, auf den aktuellen Umbruch in der Branche. 


Case Study: Spar

Spar optimiert seine Lieferketten. (Foto: Spar International)

Relex Solutions, Anbieter von integrierten Lösungen für den Einzelhandel und Supply-Chain-Planung, wird künftig die Lieferketten von SPAR International optimieren. Das Netzwerk von unabhängigen Einzel- und Großhändlern unter der Marke Spar umfasst derzeit 13.900 Märkte in 48 Ländern. Relex wird künftig Know-how für Prognosen und Nachschub, Preisgestaltung, Verkaufsförderung, Flächenmanagement und Personaloptimierung zur Verfügung stellen. Ziel der Kooperation sind neben effizienteren Prozessen auch die Reduzierung von Lebensmittelabfällen und die Sicherstellung der zeitgerechten Lieferungen.

Relex arbeitete in der Vergangenheit bereits erfolgreich mit mehreren SPAR-Unternehmen zusammen. Die Software für Prognosen und Nachfrage wird bereits von der Henderson-Gruppe für ihre 450 Märkte in Nordirland und die 300 Märkte von C.J. Lang in Schottland eingesetzt. Dagrofa, eines der führenden Lebensmittelunternehmen Dänemarks, nutzt Relex für drei Distributionszentren.  


Ökologisch und effizient

Beim diesjährigen SAP Purchasing Forum stand die Digitalisierung der Supply Chain im Mittelpunkt. »Klassische Lieferketten, wie wir sie bisher kannten, funktionieren nicht mehr«, betonte Stefan Braun, Präsident des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik. »Der Fokus muss stärker auf die wertschöpfenden Prozesse gelegt werden und das geht nur mit Automatisierung.«

Das Thema Nachhaltigkeit gewinnt in der Lieferkette immer mehr an Bedeutung – nicht zuletzt durch das EU-Lieferkettengesetz und die ESG-Kriterien. Auch wenn derzeit erst ein Prozent der Unternehmen betroffen sind, wird erwartet, dass die Großbetriebe die Richtlinien auf ihr gesamtes Zuliefernetz ausdehnen und somit auch KMU erfassen. Um Lieferketten transparent abbilden zu können und nicht den Verdacht des Greenwashing zu wecken, ist digitales Supply Chain Management inzwischen unverzichtbar.

Um den Gütertransport schneller, moderner und ökologischer zu gestalten, hat auch die ÖBB Rail Cargo Group begonnen, Services und Leistungen in die digitale Welt überzuleiten. Ein Beispiel ist die Partnerschaft mit den Österreichischen Bundesforsten (ÖBf): Gemeinsam wurde der gesamte Bahnlogistikprozess beim Holztransport digitalisiert – vom elektronischen Frachtbrief über die Leerwagenbestellung bis hin zu zukünftigen Transport-Statusmeldungen und ETA-Prognosen über die voraussichtliche Ankunftszeit.

Die ÖBB Rail Cargo Group digitalisierte mit den Österreichischen Bundesforsten die Holztransporte. (Foto: ÖBB Rail Cargo Group)

Durch den vernetzten Datentransfer und die Beseitigung der Medienbrüche in der Logistik wurden die Prozesse vereinfacht, interne wie externe Abläufe konnten beschleunigt und zugleich transparenter gestaltet werden. »Wir wissen nicht nur auf Knopfdruck, wo sich der Holztransport gerade befindet, sondern können auch lückenlos nachvollziehen, woher jeder einzelne Baum, der in unseren Wäldern geerntet wird, kommt und wohin er geliefert wird«, erklärt ÖBf-Vorstand Rudolf Freidhager. 

Zukunftsvision Robotrucks

In Zukunft sollen autonome Fahrzeuge die Transportlogistik revolutionieren. Die großen Hersteller arbeiten mit Hochdruck an selbstständig fahrenden Lkw – Prototypen befinden sich bereits im Testbetrieb. Bis alle technischen und gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind, wird es nach Meinung von Expert*innen noch in die 2030er-Jahre dauern.

Die Daimler Truck AG will ab 2030 Roboter-Lkw des Levels 4 auf die Straße bringen. Zumindest auf Teilstrecken, etwa Autobahnen, könnten damit Waren von Produktionsbetrieben in Zentrallager am Rande großer Städte geliefert werden. Auf diese Weise würde sich auch das Personalproblem der Transportbranche lösen. Robotrucks wurden allerdings Anfang der Jahrtausendwende bereits ab 2020 in Aussicht gestellt – diese kühne Vision hat sich freilich längst überholt.

Mehr zum Thema: 50 Jahre Barcode - Wie das Strichsymbol unser Einkaufsverhalten veränderte.

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