Donnerstag, Juli 18, 2024
Wer sich nicht wandelt, verliert

Wir laufen aktuell in den Klimakollaps und damit in einen wirtschaftlichen Abschwung. Eigentlich wissen wir seit Jahrzehnten, was zu tun ist, und dennoch passiert nach wie vor zu wenig. Was müssen Entscheider*innen dringend tun und was hält sie davon ab, die notwenige Klimatransformation umzusetzen?

Von Mario Buchinger, Buchinger|Kuduz

Wir sind im Jahr 2023. Das ist 44 Jahre nach der ersten Weltklimakonferenz in Genf, acht Jahre nach der Pariser Klimakonferenz, in der das 1,5 Grad Ziel festgelegt wurde, und 17 Jahre nach der ersten Veröffentlichung des Stern-Reviews. Der britische Ökonom Nicolas Stern hat schon 2006 deutlich beschrieben, dass die Kosten der Klimakrise wesentlich höher sein werden als die Investitionen dagegen.

Das alles hat sich bestätigt. Die Munich Re hat für 2021 einen weltweiten Schaden von über 280 Mrd. USD als Folge von Naturkatastrophen ausgewiesen. In den 1980er Jahren lag dieser Wert noch bei ca. 50 Mrd. USD. Die Zahlen sind also völlig eindeutig und dennoch warnen heute noch einige vermeintliche Wirtschaftsexpert*innen vor zu viel Klimaschutz um nicht die Wirtschaft und den Wohlstand zu gefährden. Doch sie vergessen dabei eines: Wer noch immer Wirtschaft gegen Klimaschutz ausspielt, erzeugt damit den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand.

„Aber es passiert ja schon so viel"

Wirklich? Diese Aussage hört man von Verantwortlichen in Teilen der Politik und Wirtschaft, wenn bemängelt wird, dass noch immer (fast) nichts passiert. Doch letztlich ist es egal, ob man mit 200 km/h oder 190 km/h gegen die Wand fährt. Die Folgen sind identisch. Noch immer steigen jedes Jahr die Emissionen und wir befinden uns aktuell auf einem +3 Grad-Pfad gegenüber dem vorindustriellen Temperaturniveau. Für Mitteleuropa bedeutet das durchschnittlich 5 bis 6 Grad mehr. Trotz dieser nüchternen Feststellung glauben einige aber noch immer, die Wirtschaft würde es schon selbst richten und es brauche keine Regulierung und Gesetze.

Warum passiert zu wenig?

Eine Erklärung ist die räumliche und zeitliche Entkopplung von Koinzidenz und Kausalität. Die Folgen sind großräumig über längere Zeitskalen. In dem Punkt sind viele Menschen nicht viel weiter als das berühmte Kind, das auf die heiße Herdplatte fasst. Sind die Auswirkungen des eigenen falschen Handelns nicht unmittelbar spürbar, fehlt es am Verständnis.

Dazu kommen kurzfristige Anreizsysteme in Unternehmen, bei denen Boni und Dividenden auf Basis von Monaten und Jahren anstelle von Jahrzehnten ausgezahlt werden. Laut einer Studie des UN Global Compact von 2021 haben nur 8 % der befragten Unternehmen klimarelevante Ziele gesetzt. Intrinsische Veränderungsfähigkeit ist leider eine Ausnahme.

Die Ignoranz von heute sind die Pleiten von morgen

Der deutsche Verkehrsminister hat mal einen spannenden Satz gesagt: „Deutschland baut die besten Verbrenner der Welt". Das ist ohne Zweifel richtig. Deutschland hat auch mal die besten Röhrenfernseher der Welt gebaut. Und wen interessiert das heute noch?

Dass die Ära der Verbrenner zu Ende ist, ist eigentlich nicht schwer zu verstehen: Zu ineffizient, zu dreckig, zu teuer. Es gibt dazu längst bessere Ideen, die andere seit Jahren konsequent umsetzen. Der derzeit dominierende Automarkt in China wird hauptsächlich von eigenen Herstellern bedient. Neben den lokalen Größen wie BYD, die aktuell dabei sind VW und Toyota von den Spitzenpositionen zu verdrängen, hat nur noch Tesla eine Chance. Die deutschen Hersteller kommen nur marginal vor.

Die Ursache für dieses Versagen: Zu lange hat man sich auf den alten Lorbeeren ausgeruht. Während der Lobbyverband VDA deutsche Politiker*innen immer dazu gedrängt hat, strengere Grenzwerte in Brüssel zu verhindern, haben andere Teile der Welt die Transformation begonnen und sind entsprechend Jahre voraus. Welche Folgen diese Ignoranz für die deutsche Wirtschaft und tausende Arbeitsplätze haben wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Das Schicksal teilen auch andere Branchen wie zum Beispiel die erneuerbaren Energien, Gebäudetechnik und all die vielen digitalen Geschäftsmodelle, die fast ausschließlich außerhalb Europas entstehen.

Wir haben uns an die Verschwendung gewöhnt

Die Klimatransformation ist ein Muss. Es kommt drauf an, wie man Wohlstand definiert und welche Geschäftsmodelle man daraus ableitet. Wohlstand kann nicht immer nur Verschwendung bedeuteten. Wir haben uns an den Wahnsinn der letzten Jahrzehnte gewöhnt: Riesiger Ressourcenverbrauch über die natürlichen Grenzen hinaus und die Einbringung von Substanzen in unseren Lebensraum mit nicht absehbaren Folgen, werden mit einem Schulterzucken abgetan. Der Glaube daran, dass Energie im Überfluss und ständig billig sein muss, war schon immer falsch und befeuert die Klimakrise.

Raus aus dem bekannten Lösungsraum

Man muss daher verstehen, was die eigentlichen Bedürfnisse sind und in dem Bereich können völlig neue Geschäftsmodelle entstehen. Die Möglichkeiten sind riesig: Von neuen digitalen Dienstleistungen über den Hebel in Handwerk und Gewerbe die Veränderungen voranzutreiben bis hin zu tatsächlicher Kreislaufwirtschaft in bestehenden Industrien. Letztlich haben wir keine andere Wahl als diese neuen Modelle zu etablieren. Die, die das Alte bewahren, verschwinden in der Bedeutungslosigkeit. Die Teile der Wirtschaft, die diese Klimatransformation schaffen, werden auch weiterhin eine Chance am Markt haben. Beispielsweise erwirtschaftete die österreichische Umweltbranche 2020 fast 42 Milliarden Euro und konnte sich seit 2010 um 31 Prozent steigern.

Fazit: Die Wirtschaft von morgen ist eine andere

Dem Planet ist es herzlich egal, aber wir sind auf einen intakten und stabilen Lebensraum angewiesen. Die Grenzen setzt die Natur und diese können wir nicht verändern. Das erfordert völlig andere Modelle für eine funktionierende Wirtschaft, welche mit bestehenden Dogmen brechen. Die Transformation der Wirtschaft ist alternativlos. Solange wir von uns aus die notwenige Klimatransformation einleiten und umsetzen, haben wir Freiheitsgrade. Tun wir das nicht, zwingt uns die Natur. Aber das wird dann extrem teuer und die Gewinne und den Wohlstand machen andere.

Über den Autor
Mario Buchinger ist Ökonomie-Physiker, Musiker und Autor. Der Spezialist für Veränderungsfähigkeit ist ausgebildeter Lean-Manufacturing-Consultant und war bei Daimler und Bosch als Führungskraft tätig. https://www.buchingerkuduz.com/

Bild: iStock

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