Seit Monaten liegt Österreichs Inflation deutlich über jener der Eurozone. Wirtschaftsforscher*innen schlagen Alarm, die Regierung beruft Krisengipfel ein. Wie kritisch ist die Situation wirklich und welche Maßnahmen wären sinnvoll, um das Problem in den Griff zu bekommen? Der Report hat drei Expert*innen um ihre Einschätzung gebeten.
Hat Österreich zur Senkung der Inflation an den falschen Hebeln angesetzt?
Helene Schuberth
Leiterin des Volkswirtschaftlichen Referats im Österreichischen Gewerkschaftsbund
»Preise wirken lassen und Haushalte entlasten«: Österreich ist diesem Credo gefolgt, während andere Länder früh mit preissenkenden Maßnahmen reagiert und in der Folge zum Teil weitaus niedrigere Inflationsraten haben. Man hätte zunächst sofort in den Energiemarkt eingreifen müssen, um die Inflationsspirale frühzeitig zu durchbrechen. Ein temporäres Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel sowie eine Mietpreisbremse wären weitere, sofort wirksame Maßnahmen gewesen, die den Inflationsanstieg gebremst hätten.
Christoph Badelt
Präsident des Fiskalrates
Die Strategie, nicht durch direkte Preiseingriffe Knappheitserscheinungen (z. B. bei der Energie) zu riskieren, sondern die Kaufkraft der Bevölkerung zu erhalten und insbesondere jene Menschen zu unterstützen, die durch die Inflation in eine unhaltbare Situation gekommen sind, war prinzipiell richtig. Allerdings wurden manche Hilfen zu breit gestreut (»Gießkanne«). Dies hat die fiskalischen Kosten unnötig stark gesteigert und hatte außerdem die Tendenz, die Inflation zu befeuern.
Monika Köppl-Turyna
Direktorin des Wirtschaftsforschungsinstituts Eco Austria
Die Inflation ist auch eine direkte Folge des starken Wirtschaftsbooms nach der Coronakrise. Die großzügigen Hilfen haben hohe Arbeitslosigkeit und Einkommensverluste verhindert, aber als Nebenwirkung eine enorme Inflation verursacht. In einem solchen Umfeld hätten die Hilfen (etwa für Energie) etwas treffsicherer sein sollen. Dennoch war dieser Weg ein besserer als etwa Preiskontrollen, die meistens nur zu Rationierungen und ähnlichen Problemen führen.
Tragen die Unternehmen bzw. bestimmte Branchen eine Mitschuld?
Helene Schuberth: Spätestens ab dem Zeitpunkt des drastischen Energiepreisanstiegs konnten viele Unternehmen – unter teils gefälliger Beobachtung einiger Mitglieder der Bundesregierung – ihre Marktmacht auf Kosten der Konsument*innen voll ausreizen. Sie haben im Windschatten eines steigenden Preisniveaus Preise über die Kosten hinaus erhöht und die seit Sommer letzten Jahres sinkenden Großhandelspreise nicht weitergegeben. Inflation ist in erster Linie Ergebnis von Profiten, insbesondere in den Bereichen Energie, Handel und Gastronomie.
Christoph Badelt: Im Sinne einer kurzfristigen Gewinnmaximierungsstrategie haben Unternehmen manchmal Preise in einem Ausmaß erhöht, das sich nicht durch Kostensteigerungen erklären lässt. Politisch wurden die dadurch erzielten Gewinne dann als »Übergewinne« bezeichnet. So eine Konstellation war vor allem dort zu beobachten, wo (Welt-)Marktpreise sehr stark stiegen, die konkreten österreichischen Unternehmen aber beträchtliche Kostenvorteile hatten bzw. haben. (z. B. Energieunternehmen).
Darüber hinaus haben Unternehmen sicherlich auch die »Gunst der Stunde« genutzt, ihre Preise einfach zu steigern, selbst wenn sie z. B. keine besonderen Kostensteigerungen bei der Energie hatten.
Monika Köppl-Turyna: Die Frage der Schuld ist irrelevant, es ist aber wichtig zu verstehen, was die Ursachen der Inflation sind. Es sind zum Teil höhere Produktionskosten, zum Teil hoher Druck auf die Löhne – durch den herrschenden Arbeitskräftemangel, aber auch zum Teil durch die hohe Nachfrage, die dazu geführt hat, dass es in manchen Branchen möglich war, die Margen zu erhöhen. Solche boomenden Branchen waren etwa die Bauwirtschaft oder die Gastronomie.
Welche Rolle spielt der private Konsum?
Helene Schuberth: Das Argument, die hohe Inflation in Österreich sei durch die vielzitierte »Gießkanne«, die die Konsumnachfrage angetrieben habe, zu erklären, wird durch die Fakten nicht gestützt. Infolge des sich beschleunigenden Inflationsauftriebs ab dem Frühjahr 2022 kam es zu hohen Reallohn- und -einkommensverlusten. In der Folge ist der Konsum eingebrochen.
Breite Teile der Bevölkerung haben gar keine andere Wahl, als die hohen Preise für Wohnen, Energie und Lebensmittel zu zahlen. Das hat nichts mit nachfragegetriebenem Preisauftrieb zu tun.
Christoph Badelt: Der makroökonomische Konsum ist ein wichtiger Teil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit auch eine Determinante des Wirtschaftswachstums. Die stark expansive Finanzpolitik hat zweifellos auch den privaten Konsum beflügelt. Im Laufe der letzten Monate sind daher die nachfrageseitigen Bestimmungsgründe der Inflation wichtiger geworden, während am Anfang die angebotsseitigen Effekte überwogen.
Monika Köppl-Turyna: Eine Große! In ganz Europa hat die Lockerung der Corona-Maßnahmen dazu geführt, dass viel zusätzliche Nachfrage generiert wurde, unterstützt durch großzügige Staatshilfen. In einem solchen Umfeld ist Inflation unvermeidbar. Aus diesem Grund ist es wichtig, weitere Hilfen so treffsicher wie möglich zu gestalten, um die Inflation nicht zu verlängern. Mittelfristig wäre es wichtig, strukturelle Maßnahmen zu setzen, etwa in Bezug auf den Arbeitsmarkt.
(Bilder: iStock, Foto Weinwurm, Fiskalrat, ÖGB/ Elisabeth Mand)