Energieexperte Karl Rose hält das 1,5-Grad-Ziel für nicht mehr erreichbar – die Energiewende sei dennoch grundsätzlich zu schaffen. Er regt eine Überprüfung der Roadmap an.
Österreich will bis 2040 klimaneutral werden. Welchen Beitrag kann die Sanierungsoffensive der Bundesregierung dazu leisten?
Karl Rose: Die wenigsten Probleme haben wir in der Stromerzeugung – hier liegen wir bei 75 Prozent erneuerbarer Energie, 100 Prozent sind durchaus machbar. In den Bereichen Wärme und Mobilität ist am meisten zu tun. Um die Energiewende zu schaffen, braucht es einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Dafür fehlen aber vor allem qualifizierte Arbeitskräfte und teilweise auch das Material.
Am politischen Willen mangelt es nicht. Die praktische Umsetzung gestaltet sich aber mitunter schwierig. Ein Einfamilienhaus kann leicht auf eine Pellets- oder Hackschnitzelheizung umsteigen. In Graz werden wir in Zukunft wahrscheinlich massiv in Geothermie investieren – die Energie wird direkt in das Fernwärmenetz eingespeist. Aber wie soll man bei einer bestehenden Wohnhausanlage Wärmepumpen installieren? Vor allem in Wien gibt es große Mietshäuser, die meisten Wohnungen werden mit Gasthermen geheizt.
Welche Auswirkungen hätte es, wenn gerade im Gebäudesektor nichts unternommen wird?
Rose: Das 1,5-Grad-Ziel werden wir mit großer Sicherheit verfehlen. Wir können es uns aber nicht leisten, nichts zu tun. Ein Unterschied ist schon ab zwei Grad Klimaerwärmung spürbar, es wird zunehmend Starkregen und extreme Trockenheit geben. Die Kosten dafür tragen die nachfolgenden Generationen. Die Welt ist noch zu 78 Prozent fossil ausgerichtet. Wir sind jedoch gezwungen, bis 2050 noch rund sieben Billionen Euro in fossile Energien zu investieren – sonst wäre ein totaler Stillstand die Folge. Die Energiewende ist grundsätzlich zu schaffen. Allerdings wird sie länger dauern, vermutlich bis 2075, und teurer werden, als die Politik verspricht.
Welche Anstrengungen braucht es zusätzlich, damit die Energiewende gelingen kann?
Rose: Ich habe noch nie eine solche Differenz zwischen politischen Zielsetzungen und den tatsächlichen Möglichkeiten gesehen. Zwischen dem normativen Ansatz à la »Ich wünsch mir eine bessere Welt« und dem explorativen Ansatz, was wirtschaftlich und technisch umsetzbar ist, liegen tiefe Gräben. Wir halten verzweifelt am 1,5-Grad-Ziel fest – die Wahrscheinlichkeit, dass es noch erreicht wird, liegt aber nur noch bei wenigen Prozent. Hier wäre eine Überprüfung der Roadmap dringend nötig. Alle Akteure sollten sich gemeinsam an einen Tisch setzen.
Wir sind dabei, die strategische Abhängigkeit von russischer Energie in eine Abhängigkeit von China zu tauschen: Nahezu alle Komponenten für Solaranlagen kommen aus China. Auch bei anderen neuen Technologien ist China als Hersteller so dominant, dass der Rest der Welt einen Ausfall kaum verkraften würde – das macht die Problematik um Taiwan ähnlich brisant wie den Ukraine-Krieg. Wasserstoff als Energieträger wird sich frühestens 2035 durchsetzen. Abu Dhabi investiert bereits massiv in die Produktion von grünem Wasserstoff, der Strom kommt aus riesigen Solarparks. Handels- und Exportmöglichkeiten werden jetzt schon ausgelotet.
Kann die Klimaproblematik überhaupt gelöst werden, wenn sich einzelne Staaten der Verantwortung entziehen?
Rose: Alle internationalen Wirtschaftsmächte sehen die Klimastrategie als geopolitisches Instrument. Ihre Anstrengungen sind durch Eigeninteressen getrieben. Jeder Krieg war letztlich vom Zugang zu fossiler Energie bestimmt. China kann im Gegensatz zu den USA vom Zugang zu Öl abgeschnitten werden und investiert deshalb enorme Summen in andere Energiequellen – in Solar ebenso wie in Kohle.
Indien wird China im nächsten Jahrzehnt als größter Emittent ablösen und den Erfolg einer globalen Energiewende entscheidend beeinflussen. Die Bevölkerung wächst stark, das Land ist chaotisch und das Stromnetz stammt zum Teil noch aus der Zeit des britischen Empire. In Indien wird so argumentiert: Ihr im Westen hattet eure industrielle Revolution, nun ist unsere Zeit gekommen. Und es gibt noch einen weiteren »weißen Elefanten« im Raum: Afrika wird im Klimadiskurs bisher überhaupt nicht genannt.
Werden die Energiepreise also noch länger auf dem hohen Niveau bleiben?
Rose: Die Preise werden heuer relativ bald sinken, allerdings nicht mehr auf das niedrige Niveau vor dem Ukraine-Krieg. Ich möchte den Menschen, die die Teuerung beklagen, gerne in Erinnerung rufen: Wir alle waren in der Vergangenheit schon sehr verwöhnt. Der Anteil der Energiekosten am Haushaltseinkommen war früher deutlich höher, der Anteil der Lebensmittelkosten ebenfalls. Energiesparen verringert die Abhängigkeit von russischem Gas um zehn bis 15 Prozent. Dass höhere Energiepreise durchaus zu Änderungen im Konsumverhalten führen können, haben wir in diesem Winter gesehen, als 20 Prozent weniger Gas verbraucht wurde.
Zur Person
Karl Rose, geb. 1961 in Graz, studierte an der Montan-Universität Leoben Erdölwissenschaften. Nach seiner 25-jährigen internationalen Karriere bei Royal Dutch Shell war er als Chefstratege für die Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) tätig. Von 2010 bis 2017 leitete er als Senior Director des World Energy Council in London die Agenden Internationale Energiepolitik und Entwicklung von globalen Energieszenarien 2050. Rose hält Professuren an der Karl-Franzens-Universität Graz und der Technischen Universität Graz. Er sitzt im Aufsichtsrat der OMV und ist Aufsichtsratsvorsitzender der Energie Steiermark AG.
(Titelbild: beigestellt)