Sonntag, Dezember 22, 2024

2022 war für die internationalen Kapitalmärkte ein desaströses Jahr. Der Krieg in der Ukraine, die Inflation und das steigende Zinsniveau belasteten die Bilanzen. Zum Jahreswechsel kündigte sich auch noch eine Rezession an. Die Wiener Börse zeigte sich wie gewohnt deutlich volatiler als andere Märkte – der ATX verliert in Abschwung-Phasen erfahrungsgemäß stärker, holt aber im Aufschwung überproportional auf. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis fiel auf einen historischen Tiefstand und bietet somit gute Einstiegsgelegenheiten. Stimmt die Prämisse, sollte der österreichische Leitindex heuer out-performen. Wo sich Investments lohnen, hat Report(+)PLUS bei Österreichs Top-Analyst*innen nachgefragt.

Die drei Fragen an unsere Experten:

1. Gibt es trotz der starken Volatilität noch ein positives Vertrauen in die Kapitalmärkte?
2. Welche Rolle werden die Notenbanken hinsichtlich der hohen Inflation spielen?
3. Wo liegt das größte Potenzial für Anleger*innen?

Tipp: Frage nicht mehr im Kopf? Durch Klick auf „Zu Frage ...“ gelangen Sie wieder hierher zur Übersicht.


Friedrich Mostböck
Head of Group Research, Erste Group Bank AG

Zu Frage 1: Ich denke, an Vertrauen mangelt es den Kapitalmärkten nicht. Vielleicht gelten Aktien in Österreich oft als böses Spekulationsobjekt, international ist die Aktie aber meist als langfristiges Vorsorgeinstrument in entwickelten Industriestaaten vollkommen anerkannt. Oft fehlen auch wirkliche Investitionsalternativen – und vom Sparbuch unter Berücksichtigung der Inflation rede ich jetzt gar nicht. Natürlich haben Pandemie und Krieg für Volatilität gesorgt. Vieles ist aber an den Märkten vorweggenommen und das Pendel wird mit Sicherheit wieder in die andere Richtung schlagen.

Zu Frage 2: Das Handeln der Notenbanken angesichts der gestiegenen Inflation war absolut richtig und dies ist eine wichtige Zusatzmaßnahme. Über den Zeitpunkt und das Ausmaß der Zinserhöhungen kann man streiten. Man muss aber meiner Meinung nach schon anmerken, dass die Inflation infolge des Krieges großteils über die Energiepreise kommt und auch folglich in andere Branchen weitergegeben wird. Wer glaubt, dass Notenbanken mit ihren Maßnahmen Inflation wie folglich Energiepreise steuern können, irrt und ist Fantast.

Zu Frage 3: Ich denke, dass Aktien zum jetzigen Zeitpunkt ein sehr geeignetes langfristiges Veranlagungs- wie Vorsorgeinstrument sind, da vieles an Negativem von Pandemie, Krieg, Konjunktur, Inflation, Zinsen etc. vorweggenommen ist. Vorausgesetzt es kommt zu keiner neuerliche Eskalation im Krieg oder einer anderen Krise, ist es schwer vorstellbar, dass auf ein solch negatives Jahr 2022 ein zweites folgt. Alles z. B. auf Gold zu setzen, wäre falsch. Gold sollte man als Beimischung mit 5 bis max. 10 % zum Veranlagungsvolumen sehen. Zum anderen erscheinen teils auch Anleihen infolge gestiegener Zinsen wieder interessant. Wir denken zum Beispiel, dass Unternehmensanleihen im High-Yield-Bereich in der besten Rating-Kategorie im BB-Segment interessant sind.

Mein Tipp: In Österreich sind unsere Top-Empfehlungen Andritz, OMV, Wienerberger und DO & CO. Viele Aktien sind sehr günstig bewertet. Ich würde aber als Privatinvestor mein Vermögen breiter streuen. Wahrscheinlich ist es am effizientesten, in einen globalen, länder- wie branchenweise breit gestreuten Fonds zu investieren und dabei wohl am besten noch mit einem Fondssparplan zusätzlich über die Zeit hinweg Risiken zu reduzieren. Ich kann den auf Basis unserer internationalen Erste Group Research-Empfehlungsliste gemanagten Erste Equity Research Fund empfehlen.

Nils Kottke
Mitglied des Vorstandes im Bankhaus Spängler

Zu Frage 1: Das Interesse an Wertpapieren ist aus unserer Sicht nach wie vor hoch. Denn an Aktien kommt man für den realen Kapitalerhalt nicht vorbei. Dabei sollten Investoren allerdings einen langen Anlagehorizont haben.

Zu Frage 2: Die Notenbanken sind bestrebt, mit weiteren Zinsanhebungen der hartnäckigen Inflation entgegenzuwirken. Zugleich werden sie damit versuchen, die aus dem Ruder gelaufenen Inflationserwartungen zu reduzieren. Bis die Inflation auf das Zielniveau der Notenbanken zurückkommt, wird noch einige Zeit vergehen.

Zu Frage 3: Entscheidend ist, nicht alles auf eine Karte zu setzen, sondern breit zu diversifizieren. Anleihen sind im Zuge des starken Renditeanstiegs der letzten Monate attraktiv geworden. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass die Realzinsen aufgrund der hohen Inflation noch klar negativ sind. Auch Aktien sind attraktiver geworden. Viele Unternehmen sind mittlerweile vergleichsweise günstig bewertet.

Mein Tipp: Aufgrund der attraktiven Bewertungen halte ich Aktien nach wie vor für interessant. Regional betrachtet habe ich eine Präferenz für amerikanische Aktien, da die Rahmenbedingungen für Unternehmen dort in vielen Bereichen (z. B. bei Energiekosten) besser sind. 

Oliver Prinz
Leiter Investment Strategy der UniCredit Bank Austria

Zu Frage 1: 2022 war ein sehr herausforderndes Jahr. Ich sehe jedoch das Vertrauen in die Kapitalmärkte nicht erschüttert. Trotz der starken Schwankungen haben die Finanzmärkte so reagiert, wie es zu erwarten war. Höhere Zinsen lassen einen Renditeanstieg erwarten und wirtschaftliche Unsicherheit bringt Aktienmärkte unter Druck. Veranlagungen an den Kapitalmärkten sind immer mit Schwankungen verbunden. 2022 war dies schmerzlich, aber bietet auch Nährboden für die Zukunft.

Zu Frage 2: Die Zinserhöhungen können Preissteigerungen, die durch Angebotsknappheit entstanden sind, nicht regulieren. Aber die Nachfrage wird eingebremst, wodurch sich die Inflationsraten rückläufig entwickeln sollten. Die Kunst wird darin bestehen, die Inflation einzudämmen, ohne die Wirtschaft in eine länger anhaltende Rezession zu führen. Anzeichen für einen tiefen, lang anhaltenden Abschwung sind derzeit nicht ersichtlich.

Zu Frage 3: Die Antwort lautet weiterhin, dass ein diversifiziertes Portfolio eine hohe Priorität hat. Gerade in Zeiten, die von hoher Unsicherheit geprägt sind, ist die Diversifikation des Vermögens extrem wichtig.

Mein Tipp: Investitionen in die Schwellenländer – sowohl bei Aktien als auch bei Anleihen in lokalen Währungen.

Gunter Deuber

Head of Raiffeisen Research, Raiffeisen Bank International

Zu Frage 1: Teils ja, teils nein. Das Vertrauen in Notenbanken und den Anleihemarkt mag bei vielen Anleger*innen angeknackst sein. Eine Veranlagungsform, die gerne als sicher betrachtet wird, brachte aktienmarktähnliche Verluste von 15 bis 20 Prozent in wenigen Monaten. Anders am Aktienmarkt: Hier haben wir Kursrücksetzer im »Normalbereich« für Aktienanleger*innen gesehen, während wir nun teils wieder normalere Bewertungen von teils »inflationierten« Niveaus – auch durch die Geldpolitik der letzten Jahre – erreicht haben. Die Volatilität am Aktienmarkt ist zudem (gemessen etwa am VDAX) so niedrig wie seit einem Jahr nicht mehr.

Zu Frage 2: Das große Potenzial für Anleger*innen besteht darin, dass Diversifikation in verschiedene Anlageklassen wieder Sinn macht. Die Zeiten negativer bzw. minimal positiver Renditen bei Anleihen – gepaart mit hohen Durations- und Kursrisiken – sind passé. Die »Monopolstellung« des Aktienmarktes zur »sicheren« Einkommensgenerierung ist vorbei. Europäische Aktien versprachen Dividendenrenditen von drei Prozent und mehr, während Anleihen mit halbwegs guter Bonität nur einen Bruchteil dieser (potenziellen) Rendite abwarfen. Dieses Missverhältnis wurde nun beseitigt.

Zu Frage 3: Die großen Notenbanken geben sich trotz ersten Erfolgen in der Inflationsbekämpfung weiter »falkenhaft« und wollen die Inflation mittels zusätzlicher Leitzinsanhebungen nachhaltig eindämmen. Die Marktteilnehmer*innen scheinen seit einigen Wochen schon weit über den Horizont hinaus zu blicken; gestützt auf in den USA seit dem Sommer und in der Eurozone seit dem Spätherbst 2022 rückläufigen Inflationsraten. Die Inflationsangst hat gedreht in Richtung Hoffnung auf nachhaltige Inflationsrückgänge, die eher früher denn später zu einem Stopp der Leitzinserhöhungen bzw. -senkungen führen könnten. Derzeit sehen wir die Märkte zu optimistisch positioniert. Angesichts der Inflationsprognosefehler der großen Notenbanken der letzten 12 bis 18 Monate erwarten wir sehr vorsichtige Zinssenkungen frühestens in 2024. Notenbanken haben ihre Reaktionsfunktion geändert und werden weniger schnell als früher bei einer Abschwächung gleich den Leitzins nach unten anpassen. Aber derzeit spielt der Markt gegen die Fed!

Mein Tipp: Rückkehr zur klassischen Kapitalanlage mit breiter Streuung über verschiedene Anlage- und Risikoklassen, bei Beachtung des Aktienmarktes als langfristiger Performance-Bringer. Nach der drastischen zinsseitig ausgelösten Anpassung können US-Technologietitel wieder interessant werden, während nachhaltige höhere Inflationsraten prinzipiell Sektoren und Unternehmen mit hoher Preissetzungsmacht begünstigen.

Erich Stadlberger
Leiter Private Banking & Asset Management der Oberbank AG

Zu Frage 1: Ja. Wir beobachten, dass die Inflationserwartungen weiter sinken. Zuletzt unterstützten zwei »positive Schocks« – ein starker Rückgang der Gaspreise und die Wiedereröffnungsmaßnahmen in China. Beides sollte sich positiv auf die Konjunktur und auf die Gewinnsituation der europäischen Unternehmen auswirken. Vor diesem Hintergrund gehen wir von einem Sinken der Volatilitäten aus. Damit sollte auch das Vertrauen in die Kapitalmärkte wieder steigen. Die geopolitische Risiken bleiben aber weiter hoch.

Zu Frage 2: Global betrachtet werden sich Geschwindigkeit und Ausmaß der Zinserhöhungen der Notenbanken in diesem Tempo nicht mehr fortsetzen. Wichtige Leitzinsen, wie in den USA, sind schon in der Nähe des erwarteten Plateaus. Daher gehen wir davon aus, dass sich auch das Inflationsniveau reduzieren wird.

Zu Frage 3: Wir beobachten nach wie vor eine relativ hohe Skepsis am Markt, es gibt aber immer wieder auch positive Überraschungen. Die Rückkehr der Assetklasse Anleihen ist eine wirklich gute Nachricht, hier sehen wir ein attraktives Chancen-Risiko-Verhältnis, insbesondere bei europäischen (Unternehmens-)Anleihen.

Mein Tipp: Die Transformation der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit ist alternativlos und muss und wird sich noch weiter beschleunigen. Dementsprechend fokussieren wir auf europäische Unternehmen mit attraktiven nachhaltigen Geschäftsmodellen.

Herta Stockbauer
Vorstandsvorsitzende der BKS Bank AG

Zu Frage 1: Das Vertrauen kommt nach den schwachen Vorgaben aus dem Jahr 2022 wieder zurück. Wirtschaftlich wurde für 2023, vor allem für die Eurozone, eine Rezession erwartet. Allerdings gehen einige Analyst*innen im Moment – wenn überhaupt – nur noch von einer sehr milden Rezession aus.

Zu Frage 2: Die Notenbanken werden ihr geldpolitisches Korsett auch im Jahr 2023 enger schnüren. Es werden aber für das Jahr 2023 kleinere Leitzinserhöhungen als im Jahr 2022 erwartet, die aus heutiger Sicht überwiegend im ersten Quartal 2023 erfolgen sollten. Nach einer Evaluierungsphase über den Sommer und Herbst werden für das Jahresende 2023 wieder kleinere Leitzinssenkungen erwartet. Welche Schritte genau gesetzt werden, wird aber von der Entwicklung der Inflation abhängen. Nach den hohen Inflationsraten im Jahr 2022 wird für 2023 jedenfalls erwartet, dass sich die Raten kontinuierlich nach unten bewegen sollten. 

Zu Frage 3: Anleihen sind nach dem kräftigen Renditeanstieg im Jahr 2022 äußerst attraktiv. Dies betrifft insbesondere das Segment der Unternehmensanleihen. Aber auch Aktien sind zum Teil so günstig wie seit Jahren nicht mehr – insbesondere zinssensitive US-Wachstumsaktien, die im Jahr 2022 zum Teil kräftig Federn lassen mussten. 

Mein Tipp: Wir sind der Meinung, dass Vermögen möglichst breit gestreut werden soll. Dies gelingt am besten mit global investierenden, vermögensverwaltenden Fonds. Diese bieten eine breite Streuung und werden an den sich aus der schwachen Entwicklung im Jahr 2022 ergebenen Opportunitäten bestmöglich partizipieren können. 

(Bilder: iStock, Erste Bank/Daniel Hinterramskogler, Bankhaus Spängler, UniCredit Bank Austria, Sara Tomic, Oberbank AG, Gernot Gleiss)

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