Vor einem Jahr porträtierte der Report die »Contras« – Unternehmen, die der Krise Kreativität und Bodenhaftung entgegensetzten. Was die Contras heute denken, wie sie durch die schweren Zeiten steuern, wie sie die Zukunft sehen.
Jahr eins nach der Krise? Da könnte sich Widerspruch regen. Das Ende der Krise wurde immerhin schon einmal ausgerufen – im Frühsommer 2008. Notenbanker, Finanzminister und Bankmanager signalisierten damals fast unisono »alles grün«. Die Rating-Agenturen protzten nur so mit Triple A für »systemische« Banken – die ein paar Monate später bankrott waren oder nur deshalb noch existieren, weil sie milliardenschwer am Staatstropf und am Säckel des Steuerzahlers hängen. Systemisch eben, was so viel heißen dürfte wie systematischer Megabetrug und Boni-Generierung eines durchgeknallten Systems, das die Bodenhaftung verloren hat. Wirtschaftsweise oder Nobelpreisträger wie Joseph Stieglitz, die vor Fehlentwicklungen schon lange warnten und statt dem Ende der Krise erst ihren Anfang sahen, wurden als Zauderer und Miesmacher verunglimpft, als lästige Störenfriede einer exzessiven Party, die Gier und Bereicherung zum Motto hatte. Manchmal waren es aber gerade kleinen Meldungen, die stutzig machten. Nachdem die Eliten im Frühsommer 2008 die Krise »offiziell« bereits abgesagt hatten, vermeldete das amerikanische Provinzblatt Wichita Eagle aus Kansas, dass die Produzenten von Handfeuerwaffen restlos ausverkauft sind. Ein kleines Indiz dafür, dass nicht einmal »gewöhnliche« Amerikaner den Beteuerungen ihrer Eliten glaubten und sich für den »Ernstfall« vorbereiteten.
Geändert hat sich trotzdem nicht viel. Da mögen selbst Kaliber wie Barack Obama oder Angela Merkel noch so sehr über die Gier der Manager schimpfen, das »Systemische« hat die Welt fest im Griff. Gekostet hat die exklusive Party für wenige Nutznießer nach letzten Schätzungen der Weltbank so um die zwölf Billionen Dollar, 20 Millionen zusätzliche Arbeitslose und Millionen von zusätzlich Unterernährten oder gar Hungertoten. »Astronomische« Zahlen sollte man in Zukunft vielleicht also besser »ökonomische« Zahlen nennen. Selbst der Staatsfunk ORF war ob der Dimension schon des Öfteren desorientiert und verwürfelte bisweilen munter Millionen, Milliarden oder englische billions and trillions.
Auch der österreichische Steuerzahler darf bluten. »Systemisch« war nicht nur die kleine Bank Medici oder eine Kommunalkredit, noch viel »systemischer« waren scheinbar noch die Geschäfte der Kärntner Hypo Group Alpe Adria, die die Österreicher letzten Dezember unfreiwillig kaufen durften. Vermutetet mafiöse Connections inklusive, über die seit Jahren Gott und die Welt berichtet und spekuliert hatten. Lediglich die Kärntner Staatsanwaltschaft schaltete auf taubstumm. Was insofern beachtlich ist, als der Restösterreich aufgenötigte Finanzmüll die Steuerzahler und die Wirtschaft noch auf Jahrzehnte beschäftigen dürfte.
>> Zwischen Mut und Bodenhaftung <<
Dass »systemisch« etwas im Argen liegt, formulieren nicht nur internationale Leader wie Obama oder Merkel. »Alte« Werte wie Nachhaltigkeit oder Augenmaß, gepaart mit Verantwortung und unternehmerischem Mut, sind wieder auf der Überholspur. Zumindest rhetorisch, wie Wolfgang Niessner, Vorstandsprecher von Gebrüder Weiss (GW), trocken befindet (siehe Interview). »Jetzt entdeckt man Augenmaß als Wert, über den man vor kurzem noch gelacht hat«, so der GW-Boss. Vor zwei, drei Jahren hätte man GW noch für »langweilig« gehalten, heute »seien alle auf die rund 50-prozentige Eigenkapitalquote neidisch«. Fast schon Mitleid empfindet Niessner für Manager-Kollegen, die sich der von Börse und Analysten getriebenen »Quartalspanik« hingeben müssen. Über die Banken kommt Niessner kein schlechtes Wort über die Lippen – aber auch kein gutes. Die »fehlende Abhängigkeit« des GW-Konzerns von Fremdkapital bezeichnet der Manager als »keinen Fehler«. Dafür freut sich Niessner über den Rückhalt der Eigentümerfamilien. Man halte den Kurs, verantwortungsvoll investiert wurde auch im Krisenjahr 2009.
Und GW lebt scheinbar sehr gut damit. In den letzten zehn Jahren hat das Unternehmen Umsatz und Mitarbeiterstand verdoppelt und ist heute weltweit in 25 Ländern mit 137 Standorten vertreten. Dass GW schon 1330 erstmals in Steuerlisten auftauchte und auch schon Goethe bei seinen Italienreisen über die Alpen transportiert hat und damit wahrscheinlich eines der ältesten noch existierenden Unternehmen der Welt ist, sei am Rande erwähnt.
Überhaupt scheinen alte Werte, die mit Unternehmertum verknüpft sind, ein kleines Revival zu erleben. Auch »Juniorlöwe« Robert Hartlauer trotzt der Krise. Dass es Hartlauer überhaupt noch gibt, grenzt eigentlich schon an ein kleines Wunder. Der ehemaligen Erzkonkurrent Herlango ist schon lange verblichen, der ProMarkt hat die Segel gestrichen, Niedermeyer ist übernommen. Aber Hartlauer hat alle Krisen überlebt und hat dem Druck durch die allmächtige Metro-Gruppe standgehalten. Das Rezept sind clevere Nischen wie der Optikbereich, die schon »Altlöwe« Franz Josef Hartlauer besetzte. Ein Weg, den Junior Robert konsequent fortsetzte. Zu Banken hat auch Robert Hartlauer ein eher distanziertes Verhältnis, das sich aus der Unternehmensgeschichte erklärt. Wie Vater Franz Josef Anfang der 90er mit Insolvenz und Banken kämpfte, dürfte sich bei Sohn Robert Hartlauer tief ins Gedächtnis eingegraben haben. Er hat »gesunden Respekt« vor Banken – und setzt statt übermäßigem Fremdkapital lieber auf »Eigenkapital und organisches Wachstum«. Und eine Portion unternehmerischen Mut. Vor einem Jahr hat Hartlauer im Report angekündigt, kontrazyklisch in der Krise zu investieren – und hat Wort gehalten. Ausgerechnet im Krisenjahr 2009 wurden sieben »Handy pur«-, wie die neue Mobilfunkschiene heißt, und zwei »Optik pur«-Geschäfte eröffnet. Dazu kamen Umbauten und Renovierungen in Flagship-Stores quer durch Österreich.
>> Querulanten im Vormarsch <<
Was es noch braucht, sind ein Quäntchen Querulantentum und Durchhaltevermögen, ohne das schon Vater Franz Josef das ehemalige Monopol der Optiker nicht brechen hätte können. Robert Hartlauer kämpft seit bald zehn Jahren für eine Zahntechniksparte – auch vor Gericht.
Auch aus dem Immo-Sektor, und das ist angesichts der angespannten Lage bemerkenswert, kommen gute Nachrichten. RE/MAX- Austria Geschäftsführer Alois Reikersdorfer hat vor einem Jahr angekündigt, wachsen zu wollen – und hat es geschafft. Die RE/MAX konnte das Transaktionsvolumen ihres Maklernetzwerkes trotz harter Zeiten um 3,6 %
erhöhen. Für 2010 erwartet Reikersdorfer sogar einen moderaten Aufschwung für seine Branche, wobei sich Wohnimmobilien besser als Gewerbeobjekte entwickeln sollen. Reikersdorfers Kalkulation: Eigentumswohnungen liegen als sicherer »Anlagehafen« weiterhin im Trend. Wer sich Eigentum wegen fehlender Kreditfinanzierung nicht leisten kann, greift auf Mietobjekte zu. Beides Faktoren, die den RE/MAX-Boss auch für heuer zuversichtlich stimmen: »Auch wenn ein Transformationsprozess stattfindet, die Einschätzungen sind wesentlich ausgeglichener und entspannter als im vorigen Jahr.«
>> Der Chef als Volksheld <<
Von Transformationsprozessen kann auch Wolfgang Grupp ein Lied singen. Der schwäbische Unternehmer ist so etwas wie der letzte Mohikaner der europäischen Textilindustrie. Alleine in Heimatort des Jesuitenzöglings haben 28 Textilunternehmen auf die Billigschiene zwischen Indien und China gesetzt – und kein Einziger hat das überlebt. Grupps Trigema-Konzern aber hat das Kunststück mit einer höchst »unzeitgemäßen« Strategie geschafft. Produziert wird nicht nur ausschließlich im Hochlohnland Deutschland, Grupp zahlt aus Selbstverständnis und Überzeugung auch noch höchst anständige Löhne, für die er im Hartz-4-gebeutelten Niedriglohnland Deutschland fast schon als Volksheld verehrt wird.
Grupps Motto: Wer Leistung will, muss leistungsgerecht bezahlen. Manager und Politiker putzt er als gefragter Talk-Show-Gast geschliffen und wortgewaltig herunter. Wegen Gier, Inkompetenz und mangelnder Verantwortung sei man drauf und dran, den eigenen Wirtschaftsstandort abzuwracken. Für solche Sager und die faire Entlohnung geht die Belegschaft für »ihren« Industriellen durchs Feuer. Aber auch Grupp klagt darüber, dass der Handel nicht mehr »seine Funktion« wahrnimmt. Bei Klagen bleibt es aber nicht: Grupp forcierte einfach die neue Online-Schiene oder eigene Outlets, die bald die Hälfte des Umsatzes generieren.
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»Schräge Hohepriester des Kapitalismus«
Wolfgang Niessner ist Vorstandsprecher von Gebrüder Weiss, des größten privaten Logistikkonzerns Österreichs. Weltweit ist das Unternehmen in 25 Ländern mit 137 Standorten und rund 4.500 Mitarbeitern vertreten, die regionalen Schwerpunkte liegen in Europa und Osteuropa, Asien und den USA. In den letzten zehn Jahren wurden Umsatz und Mitarbeiterstand verdoppelt.
(+) plus: Vor einem Jahr haben Sie Karl Valentin bemüht: Prognosen seien schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Wie sind Sie durch das Krisenjahr 2009 gesteuert, wie wird 2010?
Niessner: Anfang des Jahres haben wir Sorgen gehabt. Dank Prozessoptimierung und Kostensenkung war der Abschluss 2009 jedoch klar positiv, wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten sogar kräftig investiert. Durch Übernahmen in Serbien oder Tschechien bauen wir unsere Position in diesen Ländern aus, durch den Einstieg bei Tricon Shipping erhöhen wir unsere Schlagkraft im komplexen indischen Markt. 2010 wird schwierig bleiben, wir hoffen trotzdem auf Ergebnisverbesserungen. Wunder werden aber nicht passieren. Das zeigen auch Gespräche mit unseren Kunden, die kein Indikator für großartiges Wachstum sind.
(+) plus: Läuft das Ostgeschäft noch als viel gepriesener Wachstumsmotor?
Niessner: Das wird je nach Land sehr unterschiedlich sein. Generell kann man sagen, dass auch dort die Kaufkraft nicht mächtig steigen wird. Der Osten muss und wird sich konsolidieren. Das ehemalige Wunderland Slowenien wurde beispielsweise zum Normalfall, der Boom in Rumänien hat sich verflacht.
(+) plus: Zum Anfang der Krise waren Sie glücklich darüber, dass Ihr Konzern nicht von Banken oder Analysten abhängt. Wie ist Ihre Befindlichkeit heute?
Niessner: Ich würde sagen, das Glück ist sogar noch gestiegen. Unsere Gesellschafter agieren umsichtig und halten den Kurs auch in der Krise. Dass es bei uns keine Quartalspanik gibt, ist ein Segen für eine gesunde und nachhaltige Entwicklung. Vor zwei, drei Jahren hat man uns langweilig gefunden, heute schauen alle neidisch auf unsere 50-prozentige Eigenkapitalquote. Jetzt entdeckt man das Augenmaß als Wert, über den man früher gelacht hat. Man muss nach den Sternen greifen, die Füße sollten dabei aber immer auf dem Boden bleiben.
(+) plus: Exzessive Manager-Boni grassieren munter weiter. Fehlt es da an Augenmaß?
Niessner: Natürlich muss Leistung anständig bezahlt werden, auf allen Ebenen. Aber Boni sind unmoralisch, wenn sie sich am Börsenkurs orientieren. Das ist nur ein Motiv für Bilanztricks. Wenn ein System solche Auswüchse erlaubt, ist am System selbst etwas faul. Die schrägen Hohepriester des Kapitalismus haben uns den Shareholder-Value und das kurzfristige Denken bis Quartalsende als der Weisheit letzten Schluss verkauft. Das Resultat ist bekannt. Jetzt wird wenigstens wieder viel über Werte gesprochen. Ich fürchte nur, es wird aber wenig getan.