Samstag, Dezember 21, 2024



Technologien mit künstlicher Intelligenz sind den Kinderschuhen entwachsen und für Unternehmen und Organisationen bereits geschäftskritisch. Report (+) PLUS hat aktuelle Vorzeigeprojekte gesammelt – und mit den Pionieren einer neuen Wirtschaftswelt gesprochen. Eine Serie der Plattform »eAward«.


In Zeiten von Ressourcenknappheit, steigenden Energiekosten und Fachkräftemangel sind schlanke Prozesse und smarte System zur Unterstützung des Menschen in allen Bereichen der Wirtschaft gefragt. Einer der Vorreiter intelligenter Abläufe in der Fertigung ist der Industriespezialist ­Stiwa mit Sitz in Attnang-Puchheim. Die Oberösterreicher*innen haben für den deutschen Fahrzeugtechnik-Zulieferer Knorr-Bremse eine KI-Lösung eingesetzt. Um Fehlerquoten in der Produktion massiv zu senken, Ausschuss zu vermeiden beziehungsweise fehlerhafte Komponenten nachzubearbeiten, gewinnen datenbasierten Analysen zunehmend an Bedeutung.

Der Hersteller von Bremssystemen baut bereits seit 2011 auf Softwarelösungen von Stiwa in diesen Bereichen. Mit der neuen Lösung, die das Handling auch direkt am Arbeitsplatz in der Produktion verbessert, wurde im vergangenen Jahr ein weiterer Schritt gesetzt. Werner Schlapak, Account Manager Stiwa Software, spricht mit Projekten wie diesem generell Produktionsunternehmen an, die ihre Prozesse langfristig stabil halten und die Nacharbeit höchstmöglich optimieren wollen. »Mit den steigenden Anforderungen an Präzision und Genauigkeit und der damit verbundenen höheren Prozesskomplexität wird dieses Ziel immer schwieriger«, weiß er. »Gründe für Fehler, Messwerte, Chargen-Informationen und Prozesskurven werden automatisch angezeigt und ermöglichen damit schnelle Entscheidungen in der Auswahl der nötigen Schritte in der Nacharbeit«, so der Experte. 



Bild: Das Stiwa Software-Team (Werner Schlapak li.) verbessert Abläufe in der Industrie auf Basis von nutzerfreundlichen Systemen und KI.

In Zukunft automatisiert das Rework-Analyse-Tool bei Knorr-Bremse einen Großteil jener Analyseprozesse, die bisher nur speziell ausgebildeten Anlagenführern vorbehalten waren. Für Schlapak war die Entwicklung der Algorithmen in Richtung Machine Learning bei diesem Projekt die größte Herausforderung. »Die Entwicklungsarbeit hat sich bezahlt gemacht und ist nun eine fundierte Basis, um das System weiter zu standardisieren und in Richtung Predictive Maintenance zu erweitern«, ist er zufrieden. Der Kunde plant nun, die Lösung von Bayern aus im gesamten internationalen Umfeld auszurollen.


Synthetische Basis
Auch wenn sie künstlich gebaut sind, unterscheiden sich KI-Lösungen nicht von Kleinkindern: Sie müssen lernen. Doch woher die Daten nehmen? Das Team des Wiener KI-Pioniers Mostly AI hilft hier mit sogenannten synthetischen Daten. Sie sehen wie echte Daten aus und enthalten alle statistisch-relevanten Informationen der Originaldaten, allerdings ohne deren persönliche Datenpunkte: KI-basierte synthetische Daten werden auf Basis eines Originaldatensatzes kreiert. Sie sind vollständig anonymisiert und lassen damit keinerlei Rückschlüsse auf Originaldaten zu und gelten somit auch als datenschutzkonform.



Bild: Andreas Ponikiewicz, VP Global Sales und Melanie Hartl, Customer Success Manager bei Mostly AI freuen sich über die Zusammenarbeit mit Daniela Pak-Graf, Co-Geschäftsführerin Merkur Innovation Lab und Harald Neubauer, Chief Digital Officer der Merkur Versicherung.

Mostly AI stellt seinen »Synthetic Data Generator« Nutzer*innen aus Wirtschaft und Wissenschaft auch unentgeltlich zur Verfügung. Der Vorteil: KI-generierte synthetische Daten können innerhalb und außerhalb von Organisationen geteilt werden sowie zum Training von KI- und Machine-Learning-Modellen oder auch für das Softwaretesting eingesetzt werden.

Jüngster Kunde der Wiener*innen ist die Merkur Versicherung, die als erstes Versicherungsunternehmen österreichweit synthetische Daten einsetzt. Dazu hat das konzerneigene Start-up Merkur Innovation Lab einen dreijährigen Partnerschaftsvertrag mit den KI-Spezialist*innen abgeschlossen. »Unser tägliches Brot ist die Innovation. Dazu brauchen wir Datenquellen und vernetzen sie, um Einblicke zu bekommen, die niemand vorher hatte. Mit dieser zukunftsstarken Partnerschaft werden wir den gesetzlichen und öffentlichen Anforderungen an den Datenschutz nicht nur gerecht, wir heben ihn dank Mostly AI auf ein neues Level, und das im Sinne unsere Kunden«, freut sich Daniela Pak-Graf, Co-Geschäftsführerin des Merkur Innovation Lab. »Synthetische Daten helfen, eine datengetriebene Unternehmenskultur zu etablieren und KI-basierte Innovation voranzutreiben«, kommentiert Mostly AI-CEO Tobias Hann die erfolgreiche Zusammenarbeit. 


Robuste Markierungen
Die Nachverfolgbarkeit von Komponenten in der Fertigung ist insbesondere für die in Österreich starke Zulieferbranche, meist Partnerunternehmen der großen europäischen Hersteller, wichtig. Der Industriespezialist Alpine Metal Tech hat mit »AMTident« eine Lösung entwickelt, die Markierungen für eine komplexe Produktpalette unter besonders herausfordernden Umgebungsbedingungen mit verschiedensten Technologien wie konventionelle Fotografie, Infrarotaufnahmen und 3D-Laserscan aufzeichnet und auf Basis von Machine Learning und Deep Learning automatisiert auswertet. Damit wird die Lesbarkeit der Markierungen nach dem Markierprozess verifiziert. Zudem kann AMTident überall im Materialtracking eingesetzt werden, um den geplanten Materialfluss sicherzustellen. Eine manuelle Kontrolle durch die Bediener*innen wird damit überflüssig und es werden hohe Folgekosten durch nicht identifizierbare oder falsch markierte Fabrikate vermieden. Die smarte Lösung wird bereits erfolgreich zum Erkennen von Präge-, Farb-, Laser- und Flammspritzmarkierungen im Stahl- und Automotivebereich eingesetzt.

»Hauptaugenmerk liegt auf der Qualitätssicherung, um sicherzustellen, dass das richtige Produkt weiterverarbeitet wird, oder um zu garantieren, dass vor der Auslieferung alle notwendigen Kennzeichnungen vorhanden sind«, erklärt Dominik Göbl, Head of R&D bei Alpine Metal Tech.



Bild: »Bei heißen Produkten, zum Beispiel bei Brammen im Stahlwerk, kommen auch Aspekte wie Arbeitssicherheit hinzu, da eine visuelle Kontrolle vor Ort durch Bedienpersonal entfallen kann«, erklärt Dominik Göbl, Alpine Metal Tech.

Göbls Team konnte bei der Produktentwicklung und Abwicklung der Projekte neben der Expertise im Bereich Software auf umfassendes Know-how in den Bereichen Sensorik und Markiertechnologie zurückgreifen. »Die beste KI hilft nichts, wenn das zugrundeliegende Bildmaterial unzureichend ist. Durch die perfekte Abstimmung aller Komponenten erreichen unsere Systeme die besten Resultate«, ist er überzeugt. Dazu hat Alpine Metal Tech fehlertolerante Bildverarbeitungsalgorithmen entwickelt, um bei schwierigen Oberflächenbeschaffungen entsprechend hohe Leseraten zu erreichen.


KI hilft bei unerfülltem Kinderwunsch
Dass künstliche Intelligenz auch bei gesundheitlichen Fragenstellungen unterstützen kann, zeigen seit Jahren unterschiedlichste Daten- und Bildanalyse-Verfahren mit maschinellem Lernpotenzial. Betroffene Patient*innen oder Nutzer*innen mit teilweise hohem Leidensdruck sind Frauen und Paare mit dem oft viel Jahre unerfüllten Wunsch nach eigenen Kindern. Ein Ansprechpartner dazu ist das KUK Kinderwunsch Zentrum des Kepler Universitätsklinikums. Gemeinsam mit dem Software Competence Center Hagenberg arbeiten die Mediziner*innen an einer verbesserten Beurteilung von Blastozysten – Embryos im Frühstadium – mit Hilfe von künstlicher Intelligenz. Denn eine In-Vitro-Fertilisation ist mit hohem Aufwand und Kosten sowie körperlichen und psychischen Belastungen für die Patientinnen verbunden.

Ziel eines Forschungsprojektes war es, die Qualitätsbewertung der Blastozysten zu automatisieren und dabei Ergebnisse zu erzielen, die mit der Bewertung durch Expert*innen vergleichbar sind. Dabei bestimmen nun verschiedene neuronale Netze unter anderem die Qualität der vorhandenen Blastozyste oder die potentielle Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft, um den Embryologen eine Entscheidungsunterstützung zu stellen. Florian Kromp, Researcher und Senior Data Scientist, zielt gemeinsam mit dem Team des Software Competence Center Hagenberg und in Zusammenarbeit mit Univ.-Prof. Thomas Ebner vom KUK Kinderwunsch Zentrum auf mehrere Vorteile durch die Lösung ab: eine Standardisierung des Selektionsvorgang und eine Unterstützung der Mediziner*innen bei Entscheidungen für oder gegen bestimmte Blastozysten.



Bild: Team Software Competence Center Hagenberg: ­Florian Kromp, Clara Schachner und Lukas Fischer 

»Die Bewertung der Blastozysten unserer Partnerklinik mit den von uns im Einsatz befindlichen Methoden funktioniert verlässlich, der nächste Schritt erfolgt gerade«, steht Kromp nun vor einer Erweiterung des Forschungsprojektes als Modell für andere Kliniken. Als zu lösende Aufgabe gilt nun noch, die Diagnostikdaten auf die Ressourcen und medizinischen Geräte anderer Gesundheitseinrichtungen abzustimmen und anzupassen – eine typische Herausforderung in biomedizinischen Bereichen, wie er weiß. »Was uns am Markt hervorhebt, ist die wissenschaftliche Expertise im KI-Bereich, da wir ja auch in vielen anderen Disziplinen wissenschaftlich tätig sind und nicht nur in der Reproduktionsmedizin«, betont der Wissenschaftler.


Vertrauen in die Technik
Sind Systeme mit künstlicher Intelligenz nun eine »Blackbox« – am Ende weiß keiner, wie es zum Ergebnis kommt – oder nicht? Bei Österreichs größtem IT-Dienstleister für die Verwaltung, dem Bundesrechenzentrum ist man überzeugt, dass Technologie nur dann erfolgreich sein kann, wenn Menschen Vertrauen dazu haben und Transparenz auch in den Entscheidungen gegeben ist.

So ist eine »vertrauenswürdige KI« seit mehreren Jahren einer der Schwerpunkte in der Arbeit des BRZ. Was das bedeutet: Jede österreichische Bürgerin und jeder Bürger soll künftig wissen, wenn die Verwaltung algorithmische Entscheidungsunterstützung bei Verfahren einsetzt. Im sensiblen Bereich der öffentlichen Verwaltung ist es besonders schwierig, ethische Themen zu behandeln. Um von Beginn an möglichen Widerständen entgegenzuwirken, konzentriert sich der BRZ-Ansatz auf die Risikoeinschätzung algorithmischer Entscheidungsunterstützung – kurz gesagt: Die KI unterstützt, der Mensch entscheidet. Wichtig ist dabei eine Sensibilisierung aller Beteiligten. Die ersten Anwendungen eines umfassenden BRZ-Frameworks »Vertrauenswürdige KI« im Rahmen mehrerer »Proof of concepts« haben bereits gezeigt, dass man auf dem richtigen Weg ist.

Wolfgang Kabelka, stellvertretender Abteilungsleiter AI im Bundesrechenzentrum, hat mit seinem Team eine Toolbox erarbeitet, die Kund*innen ein gemeinsames Verständnis zum Thema vertrauenswürdige KI vermitteln soll. Gleichzeitig zeigt sie auf, welche Risiken mit dem Einsatz eines KI-Systems verbunden sind und wie man diese bei gleichzeitiger Nutzenmaximierung reduziert.

»Der höchste Nutzen beim Einsatz der Toolbox liegt in der gemeinsamen Diskussion der Fragen, den dadurch generierten Lösungsansätzen und der Entwicklung einer Kultur zum Einsatz vertrauenswürdiger KI, welche die öffentliche Verwaltung als Maßstab setzt«, verrät der Experte.



Bild: Das BRZ-Projektteam für vertrauensvollen Einsatz von KI: Wolfgang Kabelka, Katharina Birner, Michael Kainz, Katharina Eibensteiner und Dominik Steineder.


Prüfen ohne Prüfer*in
Der Softwareexperte und IT-Dienstleister Objentis ermöglicht das automatisierte Testen, Betreiben oder auch Überwachen von Anwendungen mit Hilfe der bereits bestehenden Computerschnittstellen – ohne Notwendigkeit für einen Zugriff auf das zu automatisierende System. Im Unterschied zu herkömmlichen Automationssystemen arbeitet das System vollständig unabhängig von der im Prüfling verwendeten Technologie, ohne Verschränkung zwischen Testautomation und der zu testenden Software.

Die Analyse und die korrekte Ansteuerung des Prüflings erfolgt über Module, die auf künstlicher Intelligenz (Deep Learning) basieren. Die Kommunikation mit dem Prüfling bildet die Mensch-Maschine-Interaktion nach. Das System »sieht« den Prüfling, wie es ein Mensch tun würde. Das Bild wird mit KI-Modulen analysiert und interpretiert. Analog zu menschlicher Bedienung erfolgt die Interaktion mit dem Prüfling genau in jener Form, wie ein Mensch die Anwendung benutzen würde. In Form von natürlicher Sprache, wie zum Beispiel Deutsch, werden dem System Aufgaben mitgeteilt – unabhängig von der Anwendung, dem Betriebssystem oder der Plattform. Damit sind technische Vorkenntnisse der Betreuer*innen nicht mehr nötig.



Bild: Das fachkundige Objentis-Team prüft und testet die Funktionsfähigkeit von Anwendungen auf unterschiedlichsten Endgeräten.

Für Roland Tscheinig, Geschäftsführer Objentis Software Integration, besticht die Lösung »Drvless« durch die Einfachheit: »Die Eingabe erfolgt in natürlicher Sprache, Scripting- oder Progammierkenntnisse sind für den Einsatz nicht erforderlich.« Das System sei technologie-agnostisch verspricht er. »Idente Testabläufe auf unterschiedliche Plattformen, etwa auf Desktops, Tablets und Smartphones werden in identischer Weise automatisiert, eine spezifische Anpassung ist nicht nötig«, unterstreicht Tscheinig die Vorteile des KI-basierten Systems für die Testautomation. »Da keine Installation erforderlich ist, kann sogar in der Produktionsumgebung automatisch getestet werden, auch in sicherheitskritischen Umgebungen.«

Fotos: Alpine Metal Tech, Stiwa, Mostly AI SCCH BRZ/Rommelt Pineda, Objentis

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